Marija Erceg über ihr Drehbuch
Haben Sie im „Tatort“ auch ihre eigene Geschichte verarbeitet? Gibt es Parallelen zwischen Ihnen und den Kriegsflüchtlingen im Film?
Ich bin Gastarbeiterkind. Mein Vater kam Anfang der 60er-Jahre aus einem dalmatinischen Bergdorf nach Deutschland. Wie die meisten Gastarbeiter wollte er genug Geld verdienen, um uns in der alten Heimat eine Existenz aufzubauen. Das ist ihm nicht gelungen und wir blieben. Je länger wir blieben, desto schwerer wurde es zu gehen, unter anderem weil die Kinder in der neuen Heimat Wurzeln schlugen. In meinem Fall fragile Luftwurzeln, denn ich bin mit dem Bewusstsein aufgewachsen, dass es nicht richtig ist, dass ich in Deutschland aufwachse, nicht nur, aber vor allem, weil es vom Gastland nicht erwünscht war. Ich hatte also nie das Gefühl, dass ich ein Recht habe, in Deutschland zu leben. Und das ist bis heute so. Ich betrachte mich als eine Art Kollateralschaden des Wirtschaftswunders. Weder die Legalität unserer damaligen Einreise noch meine deutsche Staatsbürgerschaft können an diesem Gefühl etwas ändern. Ich dieser Hinsicht kann ich keinen Unterschied zwischen mir und den Migranten empfinden, die Europas Grenzen belagern, schon gar nicht den sogenannten Wirtschaftsflüchtlingen. Bittere Armut treibt sie über die Kontinente, wie sie auch meine Familie nach Argentinien, Brasilien, Australien und Deutschland verstreut hat. Der Impuls für die Geschichte kam von den sich zuspitzenden Migrations- und Integrationsdebatten, die zwischen Kriegs- und Wirtschaftsflüchtlingen, Muslimen und Christen, Männern und Frauen unterscheiden, also zwischen guten und schlechten Migranten. Doch vorrangig geht es weniger um die, die sich auf die Reise gemacht haben, sondern um das lebende Gepäck, das sie mitgenommen haben: ihre Kinder – und was diese unternehmen, um ihr Schicksal selbst zu bestimmen.
Sie treiben in Ihrer Geschichte ein Spiel mit wahren und falschen Identitäten. Wie wird ein Krimi daraus?
Zu meinem Leben gehört ja das ständige Wandern zwischen sozialen und kulturellen Milieus und das Bewusstsein, wie wenig von dem, was mein Leben bestimmt hat, selbstverständlich war. Und wie anders alles hätte kommen können, wenn meine Familie zum Beispiel nach Australien gegangen wäre – wie von meinem Vater zunächst geplant. Wer wäre ich dann geworden? Diese Frage treibe ich mit einer der Episodenhauptfiguren etwas auf die Spitze. Ein junger Mann hat unter existenziellem Druck eine radikale Entscheidung getroffen, um Kontrolle über sein Leben zu gewinnen. Man könnte sagen, er musste sich selbst aufgeben, um als er selbst weiterleben zu können. Im Krimi ist das Spiel mit Identitäten natürlich ein Tatbestand, es wird zu Falle und fordert auf tragische Weise ein Menschenleben.
Stößt Kommissar Falke, der helfen will, in diesem Fall an seine Grenzen?
Ein Mensch, der zur Sicherung seiner Existenz so sehr von der Hilfe anderer abhängt, muss wohl in jedem emphatischen Gegenüber einen Retter suchen und übersieht dabei die Grenzen des Möglichen, die Überforderung, die Not der scheinbar Privilegierten. Das Rettungsseil, das ein Helfer auswirft, legt sich oft als Schlinge um den eigenen Hals. Im Film fordert Denis Hilfe mit dem Messer an der Kehle seiner Helfer. Mit Falke verbindet ihn eine besondere, lange zurückliegende Geschichte. Schon in einigen „Tatorten“ ist ja jemand aus Falkes Vergangenheit aufgetaucht. Das wollte ich aufgreifen – mit einer kleinen Pointe: Falke erkennt Denis nicht und kann ihn auch gar nicht erkennen. Die Konfrontation der beiden ist eine Schlüsselszene: Denis braucht Hilfe, kann sich aber nicht zu erkennen geben, bevor er weiß, ob er in seiner prekären Lage Falke vertrauen kann. Falke kann ihm nichts zusagen, ohne zu wissen, wen er vor sich hat und worum es geht. Zuviel Widerstreitendes prallt da zusammen, die Begegnung muss verunglücken und löst eine tödliche Dynamik aus. Wie Grosz durch diese Geschichte geht, war durch den Wunsch von Franziska Weisz weitgehend vorbestimmt. Doch im Schluss wollte ich auch bei ihr die Tragik von Opfern und Helfern aufscheinen lassen.
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