Mo., 12.12.16 | 00:05 Uhr
Das Erste
Denis Scheck kommentiert die Top Ten Belletristik
Platz zehn:
Matthias Brandt: "Raumpatrouille"
Harmloses Schnurren über eine Kindheit im Kanzleramt, die aus Respekt vor Willy Brandt und der schauspielerischen Leistung von Matthias Brandt vom deutschen Feuilleton erstaunlich wohlwollend rezensiert wurden. Immerhin ein nettes nostalgisches Büchlein ohne großen Anspruch.
Platz neun:
Charlotte Link: "Die Entscheidung"
Ein deutscher Winterurlauber in der Provence wird durch seine Entscheidung, einer jungen Frau zu helfen, die er auf einem Strandspaziergang kennenlernt, in eine immer abstrusere Geschichte über Mord, Prostitution und osteuropäischen Frauenhandel hineingezogen. Weit bedrückender als diese detailliert geschilderten Verbrechen empfand ich Charlotte Links Verstümmelung der deutschen Sprache.
Platz acht:
Lucinda Riley: "Die Schattenschwester"
Wenn die Hauptfigur eines Romans "Star d'Aplièse" heißt, darf man einiges an rosarotem Kitsch erwarten. Diese dümmliche Schwarte setzt aber einen neuen Maßstab. Nach dem Tod ihres schwerreichen Adoptivvaters erhalten sechs Schwestern Nachricht von ihrer wahren Herkunft. Star d"Aplièse Suche nach ihrem Ursprung führt sie nach England und in eine kleine Buchhandlung. Auf Seite 576 las ich den Satz: "Meine Tränen tropften aufs Papier." Geweint habe ich bei diesem Buch schon viel früher: und zwar aus Wut über die Sentimentalität und schmalzige Prosa in Vollfettstufe.
Platz sieben:
Michael Kobr und Volker Küpfl: "Himmelhorn"
Sicher nicht der stärkste Roman um den Allgäuer Kommissar Kluftinger, aber immer noch trägt der Witz der Hauptfigur, eines cholerischen Buddhas, über einige holprige Stellen in diesem Krimi um drei tote Bergsteiger hinweg.
Platz sechs:
Elke Heidenreich: "Alles kein Zufall"
Miniaturen von einer oder auch nur einer halben Seite: Ein bisschen hat dieser Band ja schon etwas von Kehraus im Zettelkasten. Aber zusammengehalten werden diese heterogenen Texte von der unverwechselbaren Persönlichkeit der meinungsfreudigen Autorin, deren bildstarke Sprache die Anekdoten, Beobachtungen und Erinnerungen zu einem an reizvollen Ganzen verklammert.
Platz fünf:
Simon Beckett: "Totenfang"
Ein langatmiger, überraschungsloser Leichenporno, schon der fünfte um den forensischen Anthropologen Dr. David Hunter: kein Pageturner, eher eine Einschlafhilfe.
Platz vier:
Elena Ferrante: "Meine geniale Freundin"
Eine Frau verschwindet, schneidet sogar ihre Silhouette aus den Familienfotos, und ihre beste Freundin rekonstruiert durch die Erzählung, die wir in Händen halten ihr Leben: so die Ausgangssituation im Neapel der 50er Jahre, wo Bildungschancen noch ganz vom Einkommen der Eltern abhängen und Gewalt auch den Alltag der Kinder bestimmt. Ein fesselnder Roman, der Lust auf die drei Fortsetzungsbände macht.
Platz drei:
Nele Neuhaus: "Im Wald"
Der Fluch der deutschen Gegenwartsliteratur heißt Regionalkrimi. Im achten von Nele Neuhaus führt ein Mord den Ermittler zurück in seine Kindheit in den 70er Jahren im Taunus. Ein Roman wie ein Jägerschnitzel: fad, plump und geschmacklos.
Platz zwei
Sebastian Fitzek: "Das Paket"
Eine als Kind durch ihren cholerischen Vater traumatisierte Psychiaterin wird als Erwachsene auf einem Kongress in Berlin vergewaltigt, tötet daraufhin ihren Nachbarn und ihren Ehemann, weil sie in ihnen den Täter vermutet, worauf sich ihre beste Freundin umbringt, die ein Verhältnis mit dem Ehemann der Psychiaterin hatte, dabei war der Vergewaltiger ein befreundeter älterer Anwalt, der zum Serienkiller an Prostituierten wurde, weil er die Ehre der Psychiaterin retten wollte, in die er sich als Dreijährige verliebte. So haarsträubend dämlich wie der Plot von Fitzeks Romans ist seine ärmliche Sprache, die unplausible Motivation seiner Figuren sowie der bedrückend enge intellektuelle Kosmos dieses angeblichen Psychothrillers. So spannend wie ein ausgefülltes Kreuzworträtsel.
Platz eins
J.K. Rowling, John Tiffany und Jack Thorne: "Harry Potter und das verwunschene Kind"
Auch ich bin nicht frei von literarischer Sentimentalität. Daher hat mir das Wiedersehen mit dem inzwischen 19 Jahre älteren Harry Potter durchaus zunächst Freude bereitet, insbesondere weil die Autoren in die Zeitreisehandlung einige nette Gags eingebaut haben. Insgesamt aber ist das Theaterstück um die Söhne von Harry Potter und Draco Malfoy und einen Sprößling von Lord Voldemort so ungeschlacht, dass keine Bühne der Welt diesen Schmarren inszenieren würde, wenn nicht J.K. Rowling als Autorenname draufstünde. Als Lesedrama ist dieser Text leider eine Zumutung.
Stand: 12.12.2016 08:52 Uhr
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