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Denis Scheck empfiehlt: "Babel" von Rebecca F. Kuang

Denis Scheck empfiehlt: "Babel" | Video verfügbar bis 26.03.2026 | Bild: NDR

Ich möchte Ihnen einen Roman über Kolonialismus, Rassismus und Klassismus vorstellen – und über die Macht der Vielsprachigkeit. "Babel" heißt dieses erstaunliche Werk, seine Autorin ist die 26 Jahre junge chinesischstämmige Amerikanerin Rebecca F. Kuang. Für mich ist "Babel" das Aufregendste im Fantasygenre seit Harry Potter.

"Babel" ist ein erstaunlich gelehrtes Buch. Kein Wunder, spielt es doch hauptsächlich an der Universität Oxford, wo R.F. Kuang tatsächlich studiert hat. Allerdings unterscheidet sich das Oxford im viktorianischen England des 19. Jahrhunderts von Kuangs Roman ein wenig von der uns vertrauten Historie. Kuang erfindet ein "Königliches Institut für Übersetzung", genannt "Babel", denn in diesem Roman gründen Imperien mindestens so sehr auf Kanonen, Soldaten und Schiffen wie auf Silber und Vielsprachigkeit. In dieser Alternativwelt beruht die Kolonialmacht Großbritanniens unter Königin Viktoria auf in Silber gespeicherter Wortmagie. Genauer: auf der Kunst der Übersetzung und der Differenz zwischen zwei Sprachen. Werden zwei gut gewählte Begriffe aus zwei Sprachen in einen Silberbarren geschmiedet, lässt sich das nutzen, um Technik zu optimieren: Schiffe segeln schneller, Kutschen fahren sicherer – und Gewehre treffen besser. Oder in den Worten eines Professors am Übersetzungsinstitut: "Die Macht der Barren liegt in den Worten. Genauer gesagt in dem, was durch Worte nicht ausgedrückt werden kann – das, was wir verlieren, wenn wir zwischen den Sprachen vermitteln. Das Silber fängt ein, was verloren ging, und verschafft ihm Existenz."

Nun gibt sich Kuang nicht mit dieser hochpoetischen Idee zufrieden, sondern verleiht ihrem Roman einen hochpolitischen Twist. Ein Geheimbund namens Hermes versucht mittels Hermeneutik gegen den Kolonialismus zu rebellieren, die ausbeuterischen britischen Handelsbeziehungen zu torpedieren, Revolutionen vorzubereiten. Deshalb trägt R.F. Kuangs Roman im Original den Titel "Babel, or the Necessity of Violence". Die Notwendigkeit der Gewalt, mit der man ungerechte Verhältnisse ändert, wollte der Eichborn Verlag seinen deutschen Lesern offenbar nicht zumuten. Das ändert nichts an der literarischen Größe und politischen Aktualität dieses phantastischen Romans. Also vertrauen Sie mir, ich weiss, was ich tue, und lesen Sie R.F. Kuangs Roman "Babel" in der deutschen Übersetzung von Heide Franck und Alexandra Jordan.

Rebecca F. Kuang: "Babel" (Eichborn Verlag)

Stand: 15.04.2023 23:34 Uhr

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