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Denis Scheck empfiehlt: "Rude Girl"

Denis Schecks Empfehlung
Denis Scheck empfiehlt: "Rude Girl" | Bild: BR

Am Anfang dieses buchlangen Comics steht eine Erfahrung von Ärger. Die in Ostafrika aufgewachsene Star-Zeichnerin Birgit Weyhe sieht sich auf einer Tagung US-amerikanischer GermanistInnen mit dem Vorwurf konfrontiert, in ihren Comics kulturelle Aneignung zu betreiben. Zunächst reagiert Weyhe beleidigt. Aber sich ärgern kann ja – ich weiß, wovon ich rede – manchmal auch eine Einladung zum klüger werden sein. Niemand hindert uns daran, ein intellektuelles Upgrade zu erfahren. So ergeht es auch Birgit Weyhe, als sie, zurück in Berlin, eine Interviewanfrage einer Professorin aus Berkeley in Kalifornien erreicht: Priscilly Lane heißt diese Frau.

Und Birgit Weyhe ist zunehmend fasziniert von dieser klugen Literaturwissenschaftlerin – so fasziniert, dass sie in "Rude Girl" den Lebensweg dieser afroamerikanischen Germanistin mit karibischen Wurzeln erzählt. Priscilla Lane erfuhr in ihrer Jugend Ablehnung, sexuellen Missbrauch und rassistische Ausgrenzung. Heimat fand sie in der Skinhead-Szene, in der Musik – und in ihrer Liebe zur deutschen Sprache und Literatur. Durch die geniale Konstruktion dieser Graphic Novel räumt Weyhe dem Objekt ihrer Biographie die Möglichkeit ein, zum Subjekt zu werden und die Darstellung einzelner Lebensstationen Kapitel um Kapitel selbst zu kommentieren: auf diese Weise entsteht eine angenehm komplexe Sicht auf einen nicht einfachen Lebensweg, bestimmt vom Hochstapler-Syndrom in ihrer akademischen Karriere, privatem Glück und Frust in ihrer Beziehung mit einem ostdeutschen Bauarbeiter-Skin und politischen Einsichten.

"Endlich ist auch bei euch angekommen, dass Fragen zu Identität und Rassismus nicht bloß in den USA relevant sind. Weiße Deutsche können nicht einfach so tun, als ob sie farbenblind wären und als ob institutioneller Rassismus nicht existieren würde", lässt Weyhe Priscilla Lane sagen. Und weil Weyhe das auch in eine bannende Bildsprache umzusetzen weiß, deshalb überzeugt "Rude Girl" von der ersten Seite an.

Manchmal übertreibt es Weyhe mit der Didaktik. Aber geschenkt. Was zählt, sind Weyhes profunde Einsichten in der Beschäftigung mit dem Stoff, zum Beispiel: "Ich wünsche mir (…), dass alle die Freiheit haben können … auch aus der Perspektive eines anderen Geschlechts, einer anderen Hautfarbe, Religion oder Klasse erzählen zu dürfen. Dass wir als Beobachtende und Lernende die Welt um uns herum wahrnehmen. Dass wir darüber diskutieren, Fehler machen und diese eingestehen können." Das sind in meinen Augen tiefe Wahrheiten. Also vertrauen Sie mir, ich weiß, was ich tue, und lesen Sie Birgit Weyes "Rude Girl", erschienen im Avant Verlag.

Stand: 15.04.2023 23:44 Uhr

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