SENDETERMIN Mo., 03.02.20 | 23:30 Uhr | Das Erste

Geschichte im Ersten: Versuchskaninchen Heimkind

In manchen Einrichtungen wurden Kinder auch der schmerzhaften und medizinisch umstrittenen Pneumoencephalographie unterzogen. Um Gehirnschäden im Röntgenbild festzustellen, wurde Hirnwasser mittels Punktion aus dem Rückenmarkskanal entnommen und durch Luft ersetzt  (Reenactment).
In manchen Einrichtungen wurden Kinder auch der schmerzhaften und medizinisch umstrittenen Pneumoencephalographie unterzogen. Um Gehirnschäden im Röntgenbild festzustellen, wurde Hirnwasser mittels Punktion aus dem Rückenmarkskanal entnommen und durch Luft ersetzt. | Bild: SWR / Bildersturm Filmproduktion

Es ist ein Skandal, der lange verschwiegen wurde: Seit Beginn der Bundesrepublik bis in die 1970er Jahre werden Kinder und Jugendliche in Heimen und Psychiatrien Opfer von Ärzten und Pharmakonzernen: Sie werden mit Medikamenten ruhiggestellt, für medizinische Versuchsreihen missbraucht sowie schmerzhaften und schon damals umstrittenen Diagnoseverfahren unterzogen. Bis heute leiden viele von ihnen unter den Folgen.

Heime, Ärzte und Pharmakonzerne

In den Wirtschaftswunderjahren wird die glückliche Kleinfamilie zum gesellschaftlichen Idealbild. Verhaltensauffällige Kinder sowie Kinder aus schwierigen Familienverhältnissen dagegen werden oft in völlig überfüllte Heime und Psychiatrien abgeschoben, wo sie weitgehend von der Außenwelt abgeschottet und oft einer autoritären Erziehung ausgeliefert sind. In vielen Heimen werden Kinder mit Medikamenten vollgepumpt, damit sie ruhiggestellt werden. Doch damit nicht genug: In Zusammenarbeit mit Pharmakonzernen nutzen Ärzte die Situation in solchen Einrichtungen aus, um auch neue Medikamente und Behandlungsmethoden auszuprobieren - und verstoßen dabei gegen schon damals geltende fachliche und ethische Standards. Nicht wenige der Ärzte sind in die Verbrechen der Nationalsozialisten wie den Mord an körperlich und geistig behinderten Kindern verstrickt gewesen.

Die Kinder- und Jugendpsychiatrie Wunstorf in Niedersachsen. Hier fanden zwischen Ende der 1950er und Anfang der 1970er Jahre Medikamententests mit Kindern und Jugendlichen statt
Die Kinder- und Jugendpsychiatrie Wunstorf in Niedersachsen. Hier fanden zwischen Ende der 1950er und Anfang der 1970er Jahre Medikamententests mit Kindern und Jugendlichen statt. | Bild: SWR / Bildersturm Filmproduktion

Spurensuche mit Opfern

Gemeinsam mit der Tochter und Enkelin von beteiligten Ärzten und drei ehemaligen Heimkindern begibt sich der Film auf Spurensuche. Durch die sehr persönlichen Schilderungen von ihren Qualen und den Folgen der Behandlungsmethoden öffnet der Film immer wieder neue Türen in die Geschichte der Heimerziehung und der Kinder- und Jugendpsychiatrie und deckt die Verflechtungen zwischen Ärzten und Pharmakonzernen im Nachkriegsdeutschland auf. Historiker und Experten erklären, warum es möglich war, dass Ärzte auch um ihrer Karriere und ihrer finanziellen Vorteile willen an wehrlosen Opfern forschen konnten.

Ein Film von Daniela Schmidt-Langels

"Versuchskaninchen Heimkind" ist eine Produktion der Bildersturm Filmproduktion im Auftrag des SWR.

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