Jobst Christian Oetzmann im Gespräch

v.l.n.r: Ciaballa (Jonas Minthe), Liebig (Luc Veit), Kunkel (Roland Wolf), Anais (Florence Kasumba), Charlotte (Maria Furtwängler).
Die weiteren Ermittlungen führen die beiden Kommissarinnen zu einer zweiten Leiche und einem offenbar fehlgeschlagenen Auslandseinsatz der Bundeswehr in Mali … | Bild: NDR / Manju Sawhney

Jobst Christian Oetzmann im Gespräch

Regie

»Die Figuren, die mit der Aufklärung des Falls betreut sind, werden selber Opfer dieser Technik.«

Haben Sie mit Ihrem 'Tatort' einen Ausflug ins Science- Fiktion-Genre unternommen?

Als ich das Drehbuch gelesen habe, war mein erster Gedanke: Das ist ziemlich gewagt. Tragt ihr nicht ein bisschen dick auf? Damit verbindet sich die Frage: Wie kann man diese Geschichte erzählen, damit sie spannend ist, und wie muss man sie erzählen, damit es inhaltlich funktioniert, und die Leute sich nicht abwenden: Lasst mich damit in Ruhe, es gibt genügend Verschwörungstheorien! Wir leben in einem Land, das im Zweiten Weltkrieg weltweit führend war in der Herstellung von Militärtechnik. Teile davon sind weitergeführt worden, daher gibt es immer noch ein paar First-Class-Produkte, die aus deutschen Waffenschmieden kommen. Nun wollten wir aber keinen Lehrfilm drehen, der in die Militärtechnik einführt, sondern wir beschäftigen uns mit dem gewissenlosen Einsatz moderner Waffensysteme und ihren Wirkungen. Wir erzählen einen politischen Skandal über ein militärisches Experiment, das schiefgegangen ist. Das ist der Motor der Geschichte. Alles weitere Geschehen dient dem Zweck, diesen Vorfall zu vertuschen. Und die Mittel werden so eingesetzt, wie es im Krieg üblich ist, nämlich ohne Rücksicht auf Verluste. Dazu gab es etwas, dass mich als Regisseur sofort überzeugt hat, dabei sein zu wollen: Die Figuren, die mit der Aufklärung des Falls betreut sind, werden selber Opfer dieser Technik. Die Technologien richten sich direkt gegen die Kommissarinnen. Das ist ein erzählerischer Vorteil gegenüber dem investigativen Whodunit-Prinzip, bei dem man im Nachhinein aufrollt, was passiert ist.

Sind Sie fasziniert von der Zukunftstechnik oder überwiegen die Ängste?

Auch wenn ich eher konservativ und bedingt technikbegeistert bin, ziehe ich doch meinen Hut vor den Ingenieursleistungen, die dahinterstehen. Man merkt, da haben Teams viele Jahre hart gearbeitet. Aber es gibt einen Teil in mir, der sehr beunruhigt ist. Man weiß ja nicht, wer die Technik einsetzt. Meine Skepsis wächst in dem Moment, an dem Forscher eine Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine konstruieren. Über Interfaces, die man im Kopf implantiert hat, kann ein Mensch externe maschinelle Gliedmaßen kraft seiner Gedanken steuern. Das klingt nach Science Fiction, es ist mittlerweile aber Realität.

Technologien müssen entweder erklärt werden oder man zeigt, was sie bewirken. Wie sind Sie vorgegangen?

Als Regisseur war meine Aufgabe, glaubwürdig darzustellen, wie die Militärtechnik der Bundeswehr im kommenden Jahrzehnt aussehen könnte. Aber ich konnte nicht einfach bei der DARPA, der Forschungsagentur des Pentagon, anrufen und fragen: Kollegen, seid ihr so freundlich und stellt uns eure neuesten Waffen für einen Kriminalfilm zur Verfügung? Wir haben einen Modellbauer damit beauftragt, uns einen Gefechtshelm mit High-Tech-Anmutungen auszustatten, uns dann bei den Gamern umgeschaut, wie dort dystopische Szenarien geschaffen werden. Deren Welten wirken mal sehr futuristisch, mal sehr martialisch. Für uns galt: nicht zu wenig, nicht zu viel. Wir sind ja nicht in 'Star Wars'. Im Zweiten Weltkrieg hat man Wehrmachtsoldaten die Droge Pervitin verabreicht, um sie 48 Stunden und länger auf den Beinen zu halten. Heute können die Kämpfer durch Magnetstimulatoren im Helm wachgehalten werden. Das muss für die Zuschauer emotional nachvollziehbar sein, damit nicht die Frage aufkommt: Wie kann das sein? Wir nehmen die Zuschauer mit auf eine Reise in das Horrorkabinett der Militärtechnik.

Ihr Film beginnt mit einem Showdown.

Anaïs rettet ihrer Kollegin Charlotte durch einen finalen Rettungsschuss das Leben. Das ist schrecklich. Wenn man mit solch einer hochgeladenen Szene in den Film einsteigt, steht man vor der Frage, wie intensiv darf es sein, damit niemand am Anfang verprellt wird. Wir sind sehr zurückhaltend mit den Auswirkungen des finalen Rettungsschusses umgegangen – kein Splatter, kein Tarantino –, wir haben sie im Grunde ausgeblendet. Wichtiger ist die erzählerische Absicht hinter der Exposition. Wir haben zwei Charaktere, die beide einen hohen Anspruch an sich und an ihren Job haben. Beide gehen aus dieser Szene beschädigt heraus und müssen einen Weg finden, das extreme Erlebnis zu verarbeiten. Die eine versucht es mit Disziplin, realisiert aber, wie knapp sie mit dem Leben davongekommen ist. Die andere negiert die erfahrene Erschütterung, um zu erkennen, dass alte Ängste in ihr aufsteigen, die ihr Verhältnis zur eigenen Mutter berühren. Es gibt diesen schönen Satz von William Wyler, der 'Ben Hur' gedreht hat: Man sollte einen Film mit einem Erdbeben beginnen und sich dann langsam zum Höhepunkt steigern. Das haben wir eine Nummer kleiner probiert.

Florence Kasumba kommt vom Tanz. Spürt man das als Regisseur?

Tänzer gehen anders an erzählerische Inhalte heran, weil sie sich in der Regel nicht sprachlich ausdrücken. Aber Florence Kasumba ist auch als Schauspielerin sehr erfahren und hat in allen möglichen Arten von Filmen gespielt. Am Set sagte sie mir einmal: Wenn ich mich bewegen kann, bin ich glücklich. Wir haben in der Inszenierung versucht, die Szenen im Büro immer mit Bewegung zu kombinieren. Damit sie sich beim Drehen entfalten kann und sich wohl fühlt.

Fühlt sich auch Maria Furtwängler wohl in ihrer 'neuen' Rolle?

Diesen Eindruck habe ich. Es ist uns gelungen, ein schönes Miteinander zu schaffen. Beide Darstellerinnen waren immer auf den Punkt und pflegten einen feinen kollegialen Umgang. Da kann ich als Regisseur nur sagen: danke! Dass sich ihre Harmonie in die Szenen übertragen hat, freut mich natürlich sehr.

Die Kommissarinnen legen sich mit Rüstungsindustrie und Geheimdienst an. Kommt man gegen so mächtige Gegner heute nur noch mit Hilfe von Whistleblowern an?

Die Neurowissenschaftlerin Verena Leyh, gespielt von Viktoria von Trautmannsdorff, ist die stille Heldin des Films. Als sie merkt, was schiefläuft, beginnt sie die Kommissarinnen verdeckt mit Informationen zu füttern und begibt sich in äußerste Lebensgefahr. Die Erzählung ist so geführt, dass sie sich lange nicht zu erkennen gibt. Erst will sie testen, ob die Kommissarinnen die Kraft und Ausdauer besitzen, diesen Fall aufzuklären. Die Geschichte der Wissenschaft ist in unserem Film genauso packend wie der Krimi, den wir erzählen.

Siegt am Ende die Politik über die Machenschaften des Geheimdienstes?

Der Film hält – klein, aber klar – die Fahne der aufrechten Demokraten hoch. Das ist ein Aspekt, der mir wichtig ist. In dem Moment, wo die Kriminalität auf die staatlichen Institutionen überspringt, zeigt es sich, dass unsere Kontrollmechanismen noch funktionieren, weil aufrechte Einzelne zu zivilem Ungehorsam bereit sind. So soll es bitte bleiben.

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