Gespräch mit Maria Furtwängler

Charlotte Lindholm

Tereza (Bibiana Beglau) und Charlotte Lindholm (Maria Furtwängler) sind unter den Gratulanten
Tereza und Charlotte Lindholm sind unter den Gratulanten. | Bild: NDR / Christine Schröder

In diesem „Tatort“ sehen wir eine Kommissarin, die ihrem Bedürfnis nach Nähe und Zärtlichkeit einen Abend lang nachgeht. Ohne zuviel verraten zu wollen – was war Ihnen an diesen Szenen wichtig? Wie war dabei die Zusammenarbeit mit ihren Kolleg*innen Daniel Donskoy und Florence Kasumba?

Bei Szenen mit Intimität ist es enorm wichtig, dass man einander respektiert und auch gut riechen kann. Das war bei uns auf jeden Fall so.

Eine Spur des Falls führt in Charlotte Lindholms direkte Umgebung. Erst langsam realisiert Charlotte, dass jemand, der ihr nahesteht, seine Ehepartnerin grausam misshandelt. Als sie dem Opfer ihre Hilfe anbietet, wird das Angebot energisch abgelehnt.

Ich glaube, das ist nur realistisch. Dieses Thema ist mit so viel Scham behaftet, dass es Opfern oft schwerfällt, sich auf Hilfsangebote einzulassen. Uns war vor allem wichtig zu zeigen, dass Partnerschaftsgewalt, dass Femizide überall passieren. Sie sind nicht ein Problem eines speziellen Milieus, oder einer Altersgruppe, sie sind überall – auch dort, wo man sie nicht vermuten würde. Seit Jahren engagieren Sie sich mit Ihrer „MaLisa“-Stiftung für die Stärkung von Frauenrechten und beschäftigen sich dort auch mit dem Thema häusliche Gewalt. Die Opfer sind überwiegend Frauen. Wie erklären Sie es sich, dass viele der Opfer nach wie vor nicht die Täter melden? Man könnte doch meinen, durch die #MeToo-Bewegung hätte sich da inzwischen etwas geändert … Statt der Frage, warum viele Opfer die Täter nicht melden, finde ich es interessanter zu fragen, warum so viele Männer ihren Partnerinnen Gewalt antun und warum so viele Menschen im Umfeld immer noch häufig die Täter schützen und den Frauen nicht glauben. In Deutschland ist es nach wie vor so, dass gewaltbetroffenen Frauen häufig nicht geglaubt wird. Beispielsweise wird ihnen unterstellt, sie würden einen Mann zu Unrecht beschuldigen, um sich an ihm zu rächen oder Vorteile daraus zu gewinnen. Und häufig ist es schwer, eine Tat zu beweisen, weil es keine Zeug*innen gibt. Manche Frauen möchten auch nicht als Opfer wahrgenommen werden, insbesondere Frauen aus höheren sozialen Schichten. Manche schämen sich sogar, dass sie in eine solche Lage geraten sind, obwohl sie doch eigentlich als „starke Frau” gelten. Unter diesen Vorzeichen ist es durchaus nachvoll - ziehbar, dass Frauen nicht bei der Polizei Anzeige erstatten oder sich Menschen in ihrem Umfeld anvertrauen wollen. Gleichzeitig ist das eine untragbare Situation, denn es führt dazu, dass die Täter (meist sind es Männer, die die Gewalt ausüben) ungestraft davonkommen.

Was würden Sie Menschen empfehlen, die häusliche Gewalt in ihrer nächsten Umgebung beobachten? An wen sollten sie sich wenden, wenn das Opfer Hilfe ablehnt?

Für diese Fragen gibt es Fachleute, die dazu fundiert beraten können, z. B. beim Hilfetelefon Gewalt gegen Frauen (Nummer 116 016). Dort bekommen sowohl gewaltbetroffene Frauen als auch Personen, die Betroffene unterstützen möchten, kompetente Beratung, rund um die Uhr und in 18 Sprachen. Ein wichtiger Grundsatz ist, den Betroffenen zu signalisieren, dass man sich nicht abwendet, auch wenn sie zunächst die Hilfe ablehnen, sondern dass man weiterhin für sie da ist und bereit zu helfen, wann immer die Person soweit ist. Jeden Tag versucht ein Mann, seine (Ex-)Partnerin umzubringen.

Charlotte Lindholm war schon immer ein einsamer Wolf, aber in dieser Folge wirkt sie besonders verloren. Ihre Sehnsucht nach einem Gefühl von Heimat und Zugehörigkeit macht sie verletzlich und angreifbar. Das ist ungewöhnlich für eine Kommissarsfigur, vor allem eine weibliche. Wie kam es dazu?

Kommissarinnen sind eben auch Menschen, die in bestimmten Lebensphasen besonders angefasst sind oder reagieren. Wichtig ist für mich, dass – egal, ob Mann oder Frau – Verletzlichkeit und Professionalität sich nicht ausschließen müssen, bisweilen im Gegenteil. Eine ermittelnde Person ohne Empathie für Opfer würde mir eher Angst machen.

Durch die Rückkehr Charlotte Lindholms nach Hannover wird dies der vorerst letzte Niedersachsen-„Tatort“ sein, der in Göttingen spielt. Dadurch werden auch die Kommissarinnen Lindholm und Schmitz in diesem „Tatort“ das letzte Mal gemeinsam ermitteln. Die Zusammenarbeit der beiden ungleichen Frauen war immer wieder spannungsgeladen. Was war für Sie das Besondere an dieser Figurenkonstellation?

Ein bisschen steckt die Antwort in der Frage. Oft sieht man ja zwei Menschen, die sich nach anfänglichem Fremdeln zusammenraufen. Die Spannung zwischen den beiden ist über die gemeinsamen Jahre jedoch nie ganz abgeklungen, auch wenn es Momente großer Nähe gab. Diese fehlende Gemütlichkeit einer Konstellation habe ich als große Qualität erlebt. Nicht nur die Fälle, auch die Beziehung der Hauptfiguren ist spannend.

Was, meinen Sie, würde Charlotte Lindholm der Kollegin Schmitz als Rat mitgeben? Werden die beiden in Kontakt bleiben?

Das würde ein bisschen viel vom Film verraten, aber wenn Charlotte und Anaïs sich trennen, dann ist das wirklich mit ganz viel Verbundenheit und auf Augenhöhe. Charlotte würde ihr sagen: Du bist die Richtige für den Job und du wirst das rocken! Und natürlich: Vergiss mich nicht, ich werde dich auch nie vergessen. Until we meet again.

In dem Lied „Göttingen“ der französischen Chansonistin Barbara heißt es: „Paris besingt man immer wieder, von Göttingen gibt’s keine Lieder“. Sie haben mit Ihren „Tatorten“ nun ein Lied über Göttingen geschaffen. Könnten Sie dem Chanson eventuell eine oder zwei Zeilen hinzufügen?

Oh Göttingen, Dein Name ist mir Glück/in ihm steckt die Göttin, welch ein starkes Stück!

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