Mo., 06.07.20 | 22:50 Uhr
Das Erste
Story im Ersten: Kreuzfahrt in der Krise – Land in Sicht?
So hat er sich das nicht vorgestellt. Kapitän Jens Thorn fährt seit 56 Jahren zur See. Ein bis zwei Jahre will er noch machen – eigentlich. Doch statt das Kreuzfahrtschiff MS Amera durch die Weltmeere zu führen, sitzt der Seemann nun in Emden fest. Zusammen mit einer rund hundertköpfigen Rumpfmannschaft hält er das Schiff in Schuss.
Das Corona-Virus hat die Kreuzfahrtindustrie in die Knie gezwungen. Täglich "verbrennen" die Schiffe im Dock Millionen Euro, doch die Reedereien halten sie in Betrieb und wollen die Zeit für ihre Zukunft nutzen. Doch wie lange können sie durchhalten?
Für den Naturschutzbund Deutschland – kurz NABU – ist der Stopp der Kreuzfahrtindustrie ein zweischneidiges Schwert. Zwar hat sich die CO2-Emission durch den Stopp drastisch reduziert, doch die Verbesserung ist nicht nachhaltig. Das Problem: Der Schadstoffausstoß durch die Luft belastet die Städte, in denen die Schiffe gerade liegen. Auf der anderen Seite könnte die Krise zu einer Marktbereinigung führen. Doch auch hier ist das Dilemma: Werden alte Schiffe aus Geldgründen abgewrackt, kann das auf Kosten von Mensch und Natur gehen.
Ohne das Geld aus der Kreuzfahrtbranche wird nicht in umweltfreundliche Antriebe investiert
Und auch die Forschung sieht die Krise kritisch. Bislang war das Kreuzfahrtschiff die "Cash Cow" auf See. Um den Kreuzfahrtschiffen umweltfreundliche Antriebe zu verkaufen, haben besonders Werften oder Motorenzulieferer in Entwicklung und Forschung investiert. Fehlen die Milliarden aus der Kreuzfahrtbranche, geht es mit der Suche nach umweltfreundlichen Technologien nicht mehr weiter. Mehr als zehn Jahre lang wuchs die Kreuzfahrtindustrie jährlich um ein Prozent. Der Stopp trifft die Menschen, die ihren Lebensunterhalt damit verdient haben, hart.
Josh Withrow war als Erster Offizier auf MS Amera. Nun hängt er in Kiel fest, ohne Arbeit, ohne Geld, ohne eine Ahnung, wie es weitergeht. Nahe Kaiserslautern hat der ehemalige Zweite Offizier Christian Baumann ein Reisebüro für Kreuzfahrten eröffnet, um sesshaft zu werden. Nun kämpft er um seine Existenz.
Die Einheimischen finden den Ist-Zustand nicht schlecht
Nicht nur in Deutschland, auf der ganzen Welt kämpfen Reiseführer, Busunternehmen, Souvenirläden um ihre Existenz und sehnen sich nach Touristen. Doch was für die einen Hoffnung ist, ist vor allem für die Einwohner wahr gewordene Horrorvorstellung. Noch vor wenigen Monaten haben Touristenschwärme ihre Heimat überflutet. Jetzt, wo die Touristen ausbleiben, wollen sie am Liebsten den Ist-Zustand festhalten und lehnen sich gegen den zukünftigen "Overtourism" auf.
Die Cruise Line International Association – kurz CLIA – vertritt 95 Prozent der Kreuzfahrtschiffe und will die Zeit des Stillstands nutzen, um zwischen den Fronten zu vermitteln. Und das mit Hochdruck. Kultur erhalten, Umwelt schützen, Tourismus wiederbeleben. Schon jetzt sind die Vorbuchungen für Kreuzfahrten enorm hoch. Das macht der Kreuzfahrtindustrie Hoffnung auf ein schnelles Comeback. Geplant ist eine Weiterfahrt schon im August – dann mit Social Distancing-Plänen, einer geringeren Auslastung, Hygienemaßnahmen und einem Virus-Krisen Management. Doch sind Passagiere, Länder und Städte dafür schon bereit?
Ein Film von André Goerschel und Julia Jancsó
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