So., 17.03.13 | 19:20 Uhr
Das Erste
Spanien: Radikaler Wandel
Kochen auf Sparflamme
Knoblauch, Knoblauch und nochmal Knoblauch – ohne den kann Lourdes Sobrino einfach nicht kochen. Lourdes ist meine Freundin, heute feiert sie Geburtstag und ich freue mich, meine Madrider Clique mal wieder zu sehen. Auf den ersten Blick ist alles wie immer. Aber als Staatsangestellte verdient Lourdes inzwischen 200 Euro weniger im Monat – deshalb gibt’s diesmal Eintopf statt Häppchen.
Lourdes:
„Sonst habe ich immer guten Schinken gekauft, dieses Jahr hätte ich mir das selbst nicht leisten können, mein Cousin war so nett und hat ihn mir geschenkt.“
Fast alle Gäste haben irgendwas beigesteuert zum Buffet. Die Spanier sind anpassungsfähig – aber mir wird schwer ums Herz, wenn ich höre, wie es ihnen inzwischen geht – die Krise ist mitten in meinem Freundeskreis angekommen.
Paz:
Jorge:
Rosa:
Meine nächste Station ist die Innenstadt – Sonntag mittags um eins ist eigentlich Aperitivzeit, statt dessen kommen mir zehntausende Demonstranten entgegen.
U.Brucker:
Wütend sind die Spanier über das, was sie mit schwarzen Briefumschlägen symbolisieren. Die Umschläge stehen für Schwarzgeld und Korruption.
Juan Antonio Lopez:
Das hier meint er: die schwarzen Kassen des Schatzmeisters der Regierungspartei PP. Jahrelang sollen Parteimitglieder aus Spendengeldern bezahlt worden sein - inoffiziell versteht sich. Auch der Name Mariano Rajoy steht auf den Listen. Die Gelder kamen wohl von großen Baufirmen.
Rajoy selbst äußert sich dazu nur ein einziges Mal, aber eine Pressekonferenz kann man das nicht nennen. Zwei Minuten lang dürfen ihn die Journalisten sehen, dann werden sie aus dem Raum geschickt. Das Statement des Ministerpräsidenten muss die Presse von einem Monitor abfilmen. Fragen ausgeschlossen. „Sind wir hier eigentlich im Iran?“ fragt mein Freund Luis, der solche Fotos im Internet kommentiert. Luis ist Musikproduzent, aber seit die Mehrwertsteuer für CDs auf das Dreifache erhöht wurde, gehen seine Geschäfte noch schlechter als vorher.
Luis Lazaro:
Das Problem ist: diejenigen, die von uns Opfer und Sparsamkeit verlangen, sind genau die Politiker, die an sich selbst nie sparen und die persönlich nie zu Opfern bereit waren.
Im Netz kursieren Dokumente, die Politiker belasten, wie zum Beispiel diese Rechnung über einen privaten Kindergeburtstag der Gesundheitsministerin Ana Mato. Mehr als 6000 Euro für Konfetti und Spiele – dazu kamen teure Privatreisen mit ihrem Ex-Mann. Mutmaßlich finanziert von Firmen, die in einen der größten Korruptionsskandale Spaniens verwickelt waren.
Doch Ana Mato will nicht zurücktreten.
Ana Mato, Gesundheitsministerin:
Ich muss mich dafür nicht verantworten. Ich konzentriere mich auf meine Aufgabe: die Arbeit im Ministerium und die Garantie einer öffentlichen Gesundheitsversorgung, die kostenlos ist für alle Spanier.
Das stimmt so nicht mehr ganz. Ana Toledano bekommt manuelle Therapie von einer Physiotherapeutin. Ana hat multiple Sklerose seit 16 Jahren, die Therapie hilft gegen die Schmerzen. Bezahlen muss sie sie aber selbst, genau wie die Haushaltshilfe und einen Teil ihrer Medikamente. Sie spürt die Kürzungen bei den Leistungen der Krankenkasse. „Wenn ich mal umfalle und den Notfallpiepser drücken muss, damit mir jemand hilft, erzählt sie, muss ich das seit diesem Jahr auch selbst bezahlen.“
Ana Maria Toledano:
Ana hat Glück weil ihr privates Umfeld funktioniert. Die Nachbarn in der Straße gehen mit ihr Einkaufen, ihre Geschwister kümmern sich um sie. Arztbesuche und die Grundversorgung mit Medikamenten übernimmt die Kasse. Aber Ana fürchtet, dass noch mehr Leistungen gestrichen werden und dass Kranksein in Spanien noch teurer wird.
Diese Angst haben sie auch: Demonstranten vor einem staatlichen Gesundheitszentrum. Ärzte, Schwestern und Patienten kommen hier jeden Tag um 12 vor die Tür zum Protest, denn wenn es nach dem Willen der Regierungspartei geht, sollen mehr und mehr öffentliche Praxen und Krankenhäuser privatisiert werden.
Christina de la Camara, Ärztin:
Mein schönes Spanien hat sich ziemlich verändert – ärmer ist es geworden und niemand hat mehr Vertrauen in die Politik, egal wen ich frage. Aber das letzte Wort sollen jetzt nochmal meine Freunde haben. „Wir“ sagen sie, „wir haben uns nicht verändert, seit du weggegangen bist“.
Paz:
Bericht: Ute Brucker
Stand: 22.04.2014 13:55 Uhr
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