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Pakistan: Mädchen landen auf dem Müll

Pakistan: Mädchen landen auf dem Müll | Bild: WDR

Baby Karachi

Sie sitzt einfach da. Bewegt sich keinen Zentimeter.
Spricht kein Wort. Sughra hat Schlimmes erlebt.

Das Mädchen ist zwei Jahre alt.
Die Polizei hat es vor wenigen Wochen gefunden.
Sughra war so gut wie tot. Sie lag im Müll, blutend.
Vielleicht hat sie ein Hund gebissen, sagen sie hier.

Jetzt lebt sie mit 45 Kindern in diesem Waisenhaus. In Karachi.
Viele können nicht laufen.
Alle haben Unglaubliches erlebt.
Die meisten sind Mädchen.
Es sind Kinder, die keiner wollte.
Und die dann weggeworfen wurden.

Die meisten glauben, sie sei ihre Mutter.
Bilquis Edhi wirkt streng. Sie sagt, nichts mehr kann ihre Seele brechen.

Bilquis Edhi

»Viele Menschen sind so ungebildet. Wenn sie ein Kind nicht wollen,geben sie es an eine Frau, die bei der Geburt geholfen hat. Sie steckt es dann in eine Plastiktüte. Und wirft es einfach auf den Müll.«

Hunderte Babys werden jedes Jahr ausgesetzt.
Aber gezählt hat sie keiner. Und die meisten landen irgendwo hier.
Auf den Müllplätzen von Karachi. Wo es unerträglich stinkt.
Wo das landet, was keiner mehr braucht.

Müllkippe in Karachi
Müllkippe in Karachi

Karachi ist ein 20 Millionen Molloch.
Die größte Stadt Pakistans. Dem Staat engleitet die Macht hier.
Taliban, kriminelle Banden und Parteien bekriegen sich.
Als wir die Müllplätze drehen, treffen wir diese Frau.
Sie regt sich furchtbar auf, als sie uns sieht.

Frau

»Ihr Journalisten filmt nur den Dreck,«

ruft sie.

»Aber traut ihr euch in unser Viertel?
Da werden Leute erschossen.
Und keiner tut was.«

gerettetes Mädchen
gerettetes Mädchen

Wer fragt da noch nach Babys?
Wie kaputt, wie gequält ist eine Stadt:
Wenn diese Bilder kaum jemanden schockieren.
Es sind Bilder einer Hilfsorganisation. (Quelle: Chhippa)

Was sind das für Mütter, fragen wir uns, die ihre Kinder einfach wegwerfen?
Aber so einfach ist es nicht.
Meistens beginnt es mit einer verzweifelten Lage.
Es sind nicht immer die Mütter, die ihre Kinder töten, oft sind es die Familien.
Wir treffen junge Frauen, die uns davon erzählen.
Viele wurden vergewaltigt, missbraucht.

Andere hatten Sex mit einem Mann, der die Ehe versprach und dann nie wieder auftauchte. Darüber zu reden, gilt als Tabu. Gerade in Pakistan.

Sie war gerade 17 als sie heiraten musste. Ihre Eltern hatten sie verkauft.
Vergewaltigt wurde sie: Vom Ehemann. Und auch vom Schwiegervater.
Dann war sie schwanger.

»Sie haben das Kind getötet. Es war noch in meinem Bauch.
Ich musste vergifteten Reis essen. Das Baby starb.
Dann musste ich das Baby abtreiben.
Ich lief nach Hause mit dem toten Kind im Arm.
Meine Schwiegermutter nahm es. Sie hat es weggeworfen.
Ich durfte es nicht ansehen. Sie haben es vor einen Hund geworfen.
Es fing an das tote Kind zu fressen. Es war ein Mädchen.«

Kinder dürfen nicht leben. Damit Vergewaltiger ihr Gewissen beruhigen.
Oder weil sie unehelich geboren wurden.

Pakistan ist schockiert. Aber weniger wegen toter Babys.
Sondern wegen der Leute, die das öffentlich machen.
Auf einer Pressekonferenz.
Dieses Baby soll adoptiert werden. Eine Hilfsorganisation hat alles organisiert.
In Pakistan ist das eine Breaking News.

Kinder adoptieren geht nicht - nach islamischem Recht.
Weil sie als unehelich gelten. Das ist der Hilfsorganisation aber egal.
Im Gegenteil, alle sollen es sehen.

Auf der Pressekonfernez treffen wir auch Pakistans berühmteste Adoptiveltern.
Tanzeem und ihr Mann Riazuddin können keine Kinder bekommen.
Jetzt haben sie Fatima und sind überglücklich.

Riazuddin – Adoptivvater

»Wir beide fühlten uns wie eine vertrocknete Pflanze.
Und Fatima ist wie frisches Wasser. Sie gibt uns neue Kraft.
Ich denke auch nicht daran, dass sie adoptiert ist.
Sie ist mein Leben!«

Tanzeem Riaz - Adoptivmutter

»Stellen sie sich das Leben einer Frau vor, die sich 14 Jahre ein Kind wünscht.
Das war immer mein größter Wunsch.
Ich habe irgendwann meinem Mann vorgeschlagen, er soll eine andere heiraten.
Aber er sagte nein: Ich will ein Kind mit dir.«

Ganz Pakistan kennt ihre Geschichte.
Denn sie landete im Fernsehen.
Im Abendprogramm mit hoher Quote.
Vor laufenden Kameras wurde ihnen das Kind übergeben.
Das hat weltweit Schlagzeilen gemacht.
Es wird mehr über die Show diskutiert, als über weggeworfene Babys.

Riazuddin - Adoptivvater

»Die Leute reden nur darüber, ob es erlaubt ist ein Kind zu adoptieren oder nicht.
Ich sage dann immer: Rettet doch lieber ein Menschenleben als zu diskutieren.
Der Islam sagt: Wenn du ein Menschenleben gerettet hast, hast du die gesamte Menschheit gerettet. Das Kind braucht Eltern.
Und wir wollten ein Kind. Ich nehme all das Gerede nicht ernst.«

Diese Kinder suchen noch nach Eltern.
Sie sagen einen Reim auf.

Baby schlaf. Mama und Papa kommen.
Aber sie kommen spät. Sie bringen eine Puppe mit.
Aber die ist kaputt. Dann wird das Kind weinen.

Verstörend dieser Reim.
Verstörend wie vieles, was wir hier in Karachi erlebt haben.

Autor: Gábor Halász, ARD Studio Neu Delhi

Stand: 15.04.2014 11:06 Uhr

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Westdeutscher Rundfunk
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