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Ukraine: Warten auf Gerechtigkeit

Ukraine: Warten auf Gerechtigkeit | Bild: BR / Golineh Atai
Switlana Kyrylasch
Switlana Kyrylasch | Bild: BR / BR

Vor vier Jahren geschah es: Switlana Kyrylasch sagt, sie erinnere sich an jeden einzelnen Tag dieser Tage auf dem Maidan in Kiew: "Für mich, wie für viele Ukrainer, ist das ein Ort des Schmerzes, ein Ort unserer tragischen Geschichte. Die Menschen konnten es nicht mehr aushalten. Wir hatten Angst, dass die Ukraine unter dem damaligen Regime ein totalitärer Staat wird." Vor vier Jahren wurde ihr Mann, der Journalist Wjatschislaw Weremij, hier in der Nähe getötet.

Der 18. Februar 2014: Unter den Polizisten tummeln sich Halbstarke, oft aus dem kriminellen Milieu, mit Bändchen am Arm. Sie heißen "Tituschki", angeheuert vom Innenministerium für die Drecksarbeit: Sie sollen die Demonstranten des Maidan einschüchtern.

Begräbnis von Wjatschislaw Weremij
Begräbnis von Wjatschislaw Weremij | Bild: BR / BR

Als Wjatschislaw Weremij in der Nacht seine Kamera auf die Schlägerbanden hält, wird er von ihnen verprügelt. Einer schießt auf ihn. Die Polizei schaut zu. Weremij verblutet am frühen Morgen. Der Mord – ein Sinnbild dafür, wie Teile des ukrainischen Staats verwoben sind mit der Welt des organisierten Verbrechens, meint Switlana Kyrylasch: "Der Verantwortliche ist ein Anführer dieser Tituschki. Er hatte die Beziehungen, die man braucht, um so viele Schläger wie möglich zu sammeln, am gewünschten Ort, wenn der Befehl kam."

Aus einem Mörder wird ein Hooligan

Jurij Krysin
Jurij Krysin | Bild: BR / BR

Der Verantwortliche Jurij Krysin wird zwar festgenommen, die Mordanklage aber schnell herabgestuft auf "Hooliganismus". Krysin kommt frei, bekommt gar Polizeischutz. Er und seine Männer organisieren weiter Erpressungen und Razzien – zum Beispiel auf eine Tankstelle. In den nächsten Jahren setzt Krysin seine kriminelle Karriere unter den Augen der Polizei unbehindert fort.
Für den Richter ist Krysin ein unbefleckter Familienvater. Unter der Auflage, zwei Jahre lang nicht straffällig zu werden, kommt Krysin de facto frei.

Switlana Kyrylasch: "Weinen kann ich nicht mehr darüber. Ich habe keine Kraft mehr zum Weinen, nur noch ein bitteres Lachen habe ich übrig."

Nach dem Urteil: Anwälte und Bürgerrechtler protestieren gegen den bizarren Richterspruch. Der Richter selbst hätte längst in Haft sein müssen, fordern sie; er sei berüchtigt für seine Unrechtsurteile gegen die Maidan-Demonstranten damals, stattdessen nun ein Sieg der alten Kader.

Switlana Kyrylasch ist empört: "Es ging so weit, dass ich mich schämte. Ich schämte mich vor denen, die sterben mussten, damit unser Land sich verändert. Aber dieses Land verändert sich leider zu langsam."

Was wurde aus der Justizreform der Ukraine? Der Generalstaatsanwalt hat keine Zeit für eine Stellungnahme vor unserer Kamera. Stattdessen treffen wir Serhij Horbatiuk. Er leitet eine Sonderabteilung, um Gewalttaten während des Maidan aufzuarbeiten. Aber seine Arbeit wird sabotiert. Von oben sabotiert, sagt er: "Einige Verdächtige in unseren Fällen werden nicht nur nicht entlassen aus der Justiz und Polizei. Sie werden manchmal sogar befördert."

Zwei tote Töchter

Das Dorf Demidyv bei Kiew: Es ist der 40. Tag nach dem Tod der Anwältin Iryna Nosdrowska. Die Nachbarn gedenken. Die Tochter der Ermordeten steht unter Polizeischutz. In zwei Jahren haben die Eltern beide Kinder, zwei Töchter, verloren. Die Mutter: "Nachts komme ich in den Garten und rufe nach den beiden. Ich rufe immer wieder. Aber niemand antwortet."

Iryna, die getötete Anwältin, vor Gericht: Vor ihr der Mann, der ihre Schwester überfahren hat. Der Angeklagte hat exzellente Beziehungen: sein Onkel ist Richter. Und so steht er kurz vor der Freilassung - eine alltägliche Geschichte in der Ukraine. Aber Iryna kämpft dafür, dass der Mörder ihrer Schwester hinter Gittern bleibt.

Anastasija Nosdrowska
Anastasija Nosdrowska | Bild: BR / BR

Ihre Tochter Anastasija Nosdrowska: "Es sah ganz danach aus, als ob der Mörder, ein Drogenabhängiger, straffrei davonkommt. Deshalb wollte meine Mutter unbedingt, dass er seine gerechte Strafe bekommt." Weil Iryna der Justiz und der Polizei misstraut, wird sie selbst zur Ermittlerin. Eine Überwachungskamera zeigt ihre letzten Stunden in Kiew. Ihre Leiche wird – bestialisch zugerichtet – in einem Fluss im Dorf gefunden. Dem Mord an Iryna Nosdrowska folgt ein Aufschrei, im Netz und auf der Straße. Die Anwältin: ein weiteres Opfer einer nicht-reformierten, korrupten Justiz und Polizei. Tochter Anastasija Nosdrowska: "Ich bin diesen Menschen so dankbar: Hätten sie nicht demonstriert, hätte die Polizei wohl rein gar nichts getan. Erst unter diesem Druck fing sie an, zu handeln."

Spurensuche am Fluss: Tage später präsentiert die Polizei einen Verdächtigen. Er ist der Vater des Mörders von Iryna Nozdrowskas Schwester. Doch die Familie glaubt nicht, dass er die grausame Tat alleine begehen konnte: "Zweifel, nichts als Zweifel und Misstrauen sind uns geblieben, gegen den Staat und gegen seine Beamten", sagen sie.

Tochter Anastasija Nosdrowska: "Meine Mutter hoffte auf eine helle Zukunft mit der neuen Regierung in der Ukraine, dass sich etwas ändert, dass das Leben besser wird, dass alles nach dem Gesetz geht, gerecht ist. Aber nichts änderte sich. Es blieb alles beim Alten."

Auf Anastasia warten zwei Prozesse und die Angst, dass die Mörder ihrer Mutter und ihrer Tante ihre gerechte Strafe nicht verbüßen werden.

Autorin: Golineh Atai, ARD Moskau

Stand: 19.02.2018 00:47 Uhr

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