So., 29.09.13 | 19:20 Uhr
Das Erste
Indien: Selbstmord-Serie unter Baumwollbauern
Gajanand Gattawar war verzweifelt, sah keine Zukunft mehr. Der Baumwollbauer war hoch verschuldet – und beging Selbstmord. So wie schätzungsweise 200 000 Kleinbauern in Indien in den letzten zehn Jahren. Die Baumwollbauern im sogenannten Selbstmordgürtel Indiens müssen jährlich teures, genverändertes Saatgut kaufen, viele verschulden sich massiv. Die Erträge sind aber nicht so hoch wie die der subventionierten Agro-Industrie in den USA und Europa. Die Weltmarktpreise reichen nicht zum Leben und zum Schuldenabbau schon gar nicht. Eine Experten-Untersuchung für das Oberste Indische Gericht kommt zu dem Schluss, dass die Indus-trie stark von transgener Agrotechnik profitiert habe, bei der überwiegenden Mehrheit der Bauern aber kein positiver Effekt angekommen sei.
Jürgen Osterhage, ARD Neu Delhi
Es ist nicht nur ihre Trauer. Es ist mehr. Verzweiflung. Leid. Pure Not. „Helft mir“ bittet Sasi Kala. Mutter von drei Kindern. Kein Geld. Keinen Mann. Kein Einkommen. Kaum etwas zu essen. Ein paar Weizenkörner. Ein bisschen Reis. Das ist alles. Ihr Mann Gajanand. Baumwoll-Bauer. Selbstmord. Vor drei Wochen. Wegen Überschuldung. Er wusste nicht mehr weiter. „Wie sollen wir nur überleben? Keiner hilft mir. Was wird aus meinen Kindern? Ich habe nichts. Nur Schulden.“
Vanjari, ein Dorf in Zentralindien. Ein paar hundert Baumwoll-Bauern. Bittere Armut. Die Mitte des Subkontinents. Hier hat sie einen Namen: Selbstmordgürtel. Tausende Freitode jedes Jahr. Ich treffe Anil Prasad. TV-Journalist. Er arbeitet an einer Dokumentation für das indische Fernsehen. Über Selbstmorde von Bauern. Auch den Freitod von Sasi Kala`s Mann hat er dokumentiert. Aufgehängt an einem Baum. Gleich nebenan. In einem Wäldchen. „Die Bauern wissen keinen Ausweg mehr. Der Baumwoll-Anbau ist unproduktiv. Saatgut und die Düngemittel sind zu teuer. Der Ertrag zu niedrig. Sie verdienen nichts mehr.“
Die Baumwoll-Bauern von Vanjari - wie Sasi Kala, die ohne Mann allein versucht zu überleben: Verlierer der vernetzten Weltwirtschaft. Die Selbstmorde: drastisches Ergebnis der ungerechten Chancenverteilung im weltweiten Warenverkehr. Mit Handarbeit und Holzpflügen gegen Riesen-Traktoren und künstliche Bewässerung. Gegen staatliche Agrarsubventionen wie in Europa oder in den USA und niedrigen Weltmarktpreisen.Doch nicht nur das. Dazu kommt. Es gibt keine natürliche Baumwolle mehr in Vanjari. Nur noch gentechnisch veränderte – genannt BT Cotton. Jedes Jahr müssen die Bauern das teure Saatgut kaufen. Und dazu noch teure Düngemittel und Pestizide. „Früher haben wir natürliche Baumwolle angebaut“, sagt der Baumwollbauer Raju Ganpat Rao. „Wir haben Profit gemacht. Durch Einführung des Gen-Produkts BT Cotton sind die Anbaukosten explodiert. Nicht aber die Erträge. Das setzt uns unter enormen Druck.“
Ich besuche einen Laden. Im Angebot: Fast nur Gen-Saatgut des US-Konzerns Monsanto. Düngemittel und Pestizide. Vor allem von den Weltfirmen Bayer und Dupont. „In guten Zeiten ist genmanipulierte Baumwolle besser als natürliche“, sagt der Ladenbesitzer Kashi Nath Milmile. „Gibt es aber schlechte Ernten, müssen sich die Bauern Geld leihen. Die Verschuldung wird dann immer größer. Die Verzweiflung auch.“
Fahrt ins nächste Dorf. Ich erlebe die launische Natur. Monsun. Starkregen. Schlecht für Gen-Saatgut, das künstliche Bewässerung bevorzugt. Ich treffe Kishor Tiwari. Aktivist und Anwalt. Der einzige in der Region, der sich um das Schicksal der geschundenen Bauern kümmert. Er zeigt mir Tabellen. Schildert mir die Dramatik der steigenden Selbstmordzahlen. Die Bauern sind gezwungen, teure gen-manipulierte Baumwolle anzubauen. Es gibt keine Alternative. Die indische Regierung will es so. Sagt mir Kishor Tiwari. Sie kassiere Geld dafür. Von den multinationalen Konzernen. „Die Situation ist miserabel. Es gibt keine Hilfe von der Regierung. Sie tut nichts. Mehr und mehr Bauern werden so in den Selbstmord getrieben.“ Sein Büro führt Statistik. Ein Mitarbeiter zeigt Bücher. Drei Stück. Vollgeschrieben mit Namen. Alles Bauern. Alles Selbstmordopfer. „Gen-Baumwolle bringt nichts als Schulden, treibt die Menschen in den Tod. Wenn der Ernährer einer Familie sich das Leben nimmt, beendet er auch das Leben und die Zukunft seiner Familie. Das ist die Tragödie.“
Sasi Kala erlebt das gerade. Sie ist eine von tausenden Witwen. Die Baumwoll-Bauern sind Sklaven im eigenen Land. So Kishor Tiwari. Sie arbeiteten rund um die Uhr. Doch den Profit hätten multinationaler Konzerne. Dazu neofeudale Strukturen - Hand in Hand mit politischer Macht und Korruption. Ein Leben ohne Ausweg. Ohne Hoffnung. Besonders auch für Sasi Kala. Einen Riesen-Schuldenberg hat ihr Mann hinterlassen. Keine Chance auf Rückzahlung. Doch viel schlimmer noch: Wie soll sie überhaupt überleben? Wie soll sie sich und ihre Kinder ernähren? Sie weiß es nicht.
Stand: 13.06.2014 12:12 Uhr
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