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Polen: Pressefreiheit unter Druck

Polen: Pressefreiheit unter Druck  | Bild: WDR

Die Morgensendung auf TokFM läuft. Berichtet wird über die überraschend starke Zinssenkung der Nationalbank auf Druck der Regierung. Laut Experten gibt es keine Grundlage, die Zinssätze zu senken. Was wollen die PiS und der Notenbankchef uns damit eigentlich sagen? Etwa, dass die Inflation in unserem Land kein Problem mehr ist? 

Journalist:innen werden unter Druck gesetzt

Kritisches Hinterfragen von Regierungshandeln, das ist in Polen für die Presse mittlerweile ein Risiko. Gegen den privaten Sender TokFM hat der Nationale Medienrat hohe Strafzahlungen wegen angeblicher Hassrede verhängt. Und kontrolliert wird der Rundfunkrat von der regierenden PiS. Aber einschüchtern lassen sie sich hier nicht.  "Wir sind hier, um die Regierung zu beobachten, sie zur Rechenschaft zu ziehen und vor allem im Namen unserer Hörer Fragen zu stellen. Dieser politische Druck bewirkt bei mir und meine Kollegen nur, dass wir noch motivierter sind, die unabhängigen Medien zu verteidigen", sagt Journalistin Karolina Lewicka.

Es geht noch um viel mehr. Mit den Strafzahlungen steht auch die Sendelizenz von TokFM auf dem Spiel. Anfang November läuft die aktuelle Lizenz aus. Und noch immer fehlt die letzte Unterschrift – vom Vorsitzenden des nationalen Medienrats. Die Aussicht steht im Raum, hier demnächst dicht machen zu müssen: "Das Verschwinden eines Senders wie unserem wäre nur der erste Schritt zur Abschaffung aller freier Medien in Polen", erklärt Chefredakteurin Kamila Ceran.

Teure Strafzahlungen verhängt vom Medienrat, das bekommen sie auch bei Onet, einem Online-Nachrichtenportal zu spüren. Finanzieller Druck, auch durch etliche Klagen von Politikern gegen die Webseite. Doch jetzt im Wahljahr greift die PiS noch zu ganz anderen Mitteln, um unliebsame Medien ruhig zu stellen: "Eine sehr wichtige Person aus dem Regierungslager erklärte mir, wir seien kein objektives Medienorgan, weil wir nicht die Position der Regierung vertreten. Aber man hat mir sofort eine Lösung angeboten: die Ernennung eines "stellvertretenden Chefredakteurs für die Darstellung der Regierungsposition"", erzählt Onet-Chefredakteur Bartosz Weglarczyk.

Außerdem wurde Journalist:innen aus seinem Team Geld geboten, um aus dem Inneren der Redaktion zu berichten. Juristischer und finanzieller Druck, aber auch öffentliche Anfeindungen selbst durch Mitglieder der Regierung. Der polnische Justizminister schreibt auf seinem Social-Media-Kanal, Onet sei Dreck, kein Journalismus. "Ich arbeite seit 1989 als Journalist. Nie war es für Journalisten auch nur halb so schwer wie heute. [...] Wenn sich am Verhalten der Behörden gegenüber den Medien nichts ändert, werden die nächsten Jahre meiner Meinung nach sehr hart. Und ein großer Teil der Medien wird sie nicht überleben", sagt Bartosz Weglarczyk.

Eine Medien-Kampagne der PiS

Polen: Vier Wochen vor der Wahl in Polen wird die Pressefreiheit eingeschränkt.
Polen: Vier Wochen vor der Wahl in Polen wird die Pressefreiheit eingeschränkt.  | Bild: WDR

Auf der anderen Seite steht der ehemals öffentlich-rechtliche Rundfunk, wie der Sender TVP, den die Regierung zielstrebig zum Sprachrohr der PiS-Politik umgebaut hat. Das Budget aus Steuergeldern wurde massiv aufgestockt, erst recht jetzt im Wahljahr. In den täglichen Abendnachrichten wird einseitig Stimmung für die Regierung gemacht. Oppositionsführer Donald Tusk wird in jeder Ausgabe der Nachrichten zu unterschiedlichen Themen mit einem kurzen Zitatschnipsel gezeigt, aus dem Zusammenhang gerissen, das belegen soll, dass er Deutschland diene, und nicht Polen: "Für Deutschland."  "Wir befinden uns mitten in einem äußerst aggressiven, äußerst emotionalen Wahlkampf. Eine Kampagne, die unfair ist, weil die PiS die Ressourcen des gesamten Staates nutzt, um ihre Wahlergebnis zu maximieren", erklärt Karolina Lewicka.

Ein weiteres Beispiel dafür ist die Übernahme von Polska Press, einem der größten Medienunternehmen Polens durch den staatlichen Mineralölkonzern Orlen. Damit sich hat die Regierung die Kontrolle über 20 regionale Tageszeitungen, 120 Wochenmagazine und 500 Online-Portale verschafft. Fast alle Chefredakteure wurden rausgedrängt und durch PiS-freundliche ersetzt. Die Helsinki Stiftung für Menschenrechte hat untersucht, wie sich die Berichterstattung verändert hat: "Ein Problem ist zum Beispiel die Einschränkung bestimmter Themen in der Berichterstattung von Polska Press, die von den Regierungsparteien als sensibel angesehen werden, also z.B. Rechte von LGBT oder die Rechte von Geflüchteten", sagt Konrad Siemaszko.

Es gibt sie noch, die Pressefreiheit und -vielfalt in Polen. Aber sie ist schwer unter Druck. Die Angriffe von staatlichen Stellen haben immerhin dazu geführt, dass sich mehr als 50 Chefredakteure freier Medien in einer offenen Stellungnahme solidarisch miteinander erklären. Die Chef der PiS reagiert darauf so: "Es gibt nur wenige Länder, ich spreche von demokratischen Ländern, auf der Welt, in denen der Einfluss der Behörden auf die Medien so gering ist, ja sogar vollkommen nicht vorhanden ist, wie in Polen. Besonders nicht Oppositionsmedien." Auf der Rangliste der Pressefreiheit ist Polen seit Beginn der PiS-Regierung von Platz 18 auf Platz 57 abgerutscht.  

Autorin: Kristin Joachim / ARD Studio Warschau

Stand: 18.09.2023 12:05 Uhr

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