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Bergkarabach: Eskalation oder Entspannung?

Bergkarabach: Eskalation oder Entspannung?  | Bild: WDR

Als würde er schweben über der Stadt. In Armeniens Hauptstadt Eriwan wirkt der Ararat zum Greifen nah. Doch das ist er nicht. Er liegt in der Türkei. "Jeder Armenier wird Ihnen sagen, der Ararat ist unser zuhause. Auch wenn er weit scheint – er ist immer bei uns. Nicht nur der Ararat selbst. Wir haben alles dort gelassen. Unsere Häuser, unsere Gräber." Vor einem Jahrhundert vertrieben die Türken die Armenier aus deren Siedlungsgebieten am Ararat. Heute symbolisiert der Berg den Völkermord von damals. Eines der nationalen Traumata Armeniens. Armenien ist eine demokratisch verfasste Republik an der Südseite des großen Kaukasus. Früher gehörte es einmal zur Sowjetunion, die Verbindungen nach Moskau waren auch später eng. Doch das ändert sich gerade. Denn Russland, sagen viele, lasse Armenien im Stich, wenn es um Bergkarabach geht.

Ein Gebiet, in dem wichtige Güter fehlen

Bergkarabach – das ist das andere große Trauma der Armenier. Mitten im Nachbarstaat Aserbaidschan liegt das Gebiet, ist aber von Armenier:innen bewohnt. Es sieht sich als unabhängiger Staat, wurde international aber nie anerkannt. Zwei blutige Kriege gab es, den letzten vor drei Jahren. Das Mutterland Armenien erhebt keinen Anspruch auf Bergkarabach – fühlt sich aber den Menschen dort und ihrer Sicherheit verpflichtet.

Armenien: Noch immer stauen sich Lkws mit humanitärer Hilfe vor dem Latschin-Korridor auf dem Weg nach Bergkarabach.
Armenien: Noch immer stauen sich Lkws mit humanitärer Hilfe vor dem Latschin-Korridor auf dem Weg nach Bergkarabach. | Bild: WDR

Aus Bergkarabach kommt Meri. Sie ist gerade neunzehn, studiert in Eriwan Marketing. In ihrer Clique ist sie die jüngste, aber sie gibt hier den Ton an. Sie macht auch Uni-Politik. Wer aus Bergkarabach kommt, sagt sie, wächst auf mit Politik: "Ich habe Leute meines Alters auf einer internationalen Studententagung getroffen. Und mir ist klar, dass wir mehr verstehen als sie, denn wir haben mehr gesehen." Meris Mutter lebt in Bergkarabach. Sie hat sie seit Monaten nicht mehr gesehen. "Es wird immer schwerer, Kontakt zu halten. Es gibt oft keinen Strom wegen der Blockade. Wir telefonieren einmal am Tag, immer abends", erzählt sie. Die Blockade ist die neueste Eskalation im langen Streit um das Gebiet. Dessen einzige Verbindung zu Armenien ist der Latschin-Korridor. Doch den blockiert Aserbaidschan seit Monaten.

Von Eriwan aus führt die Straße Richung Bergkarabach durch karges, aber wunderschönes Land. Sechs Stunden etwa würde die Fahrt eigentlich dauern – aber nach vier Stunden tauchen die ersten LKW mit humanitärer Hilfe auf. Mehr als 20 stauen sich vor dem Eingang zum Latschin-Korridor. Weiter geht es nicht. 45 Tage warte er schon, sagt einer der Fahrer: "Ich hatte einen Lieferauftrag nach Bergkarabach, aber sie lassen einen ja nicht durch. Ich hab Kekse und Süsswaren, alles haltbar, sagt er. Die haben doch nichts da. Mir tun die Leute leid."Weiter unten ist die Straße gesperrt, weht die Flagge Aserbaidschans. Vor drei Jahren eroberte es Teile von Bergkarabach zurück, drang später sogar auf armenisches Gebiet vor. Russland vermittelte, Aserbaidschan versprach, den Korridor offenzuhalten. Kontrollieren sollten das russische Soldaten. Auch deren Flagge weht hier. Doch gegen die Blockade unternehmen sie nichts. 

Bilder aus Bergkarabach. Leere Läden, leere Straßen. Auch Benzin gibt es nicht mehr. Diese Aufnahmen hat eine Einwohnerin der Stadt Martakert für uns gemacht. Die Warteschlangen vor den Bäckereien wollte sie nur aus der Ferne filmen, schreibt sie. Die Leute schämten sich. In Martakert wohnt auch die Mutter von Meri, der Studentin aus Eriwan. Ersatzkaffee aus gerösteten Kichererbsen. Zwei ihrer Kinder studieren in Armenien. "Ihre Zukunft sehe ich hier", sagt sie, "in einem Bergkarabach, das blüht und gedeiht. Natürlich ist es schwer mit der Blockade. Aber wir bleiben hier, wir glauben an die Zukunft unserer Heimat."

In Eriwan holt Meri ihren Bruder Arschak von seiner Uni ab – er studiert hier Künstliche Intelligenz. Gemeinsam rufen sie die Mutter in Martakert an – wie jeden Abend. Ob sie heute Brot gefunden habe, fragt Meri. Ja, sagt die Mutter, es gab welches. Abendritual einer getrennten Familie. Auch die beiden wollen zurück. Sagen sie jetzt: "Meine Ziele und Träume sind alle mit Bergkarabach verbunden. Auch wenn ich darüber nachdenke, mal im Ausland zu studieren – ich bin sicher, ich kehre zurück."

Diese Woche gelangte ein russischer LKW mt Hilfsgütern in das Gebiet. Auch Aserbaidschan wollte Hilfe schicken – doch in Bergkarabach wollen man keine Hilfe vom Feind, sagen sie. Man fürchte neue Angriffe aus Aserbaidschan. Die Lage ist angespannt. Vermitteln könnte Russland. Doch Moskau, das lange als Schutzmacht Armeniens galt, verhält sich auffällig still. Vielleicht auch, weil es alle Kräfte für seinen Krieg gegen die Ukraine braucht.

Autorin: Ina Ruck / ARD Studio Moskau

Stand: 18.09.2023 12:05 Uhr

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