So., 28.04.13 | 19:20 Uhr
Das Erste
Tansania: Mit einem Relikt aus Kaisers Zeiten auf großer Fahrt in Afrika
Sie hat Kaiser Wilhelm überlebt, diverse Kriege und zwei Mal den eigenen Untergang: Bis heute ist die "Liemba" das wichtigste Transportmittel auf dem Tanganika-See in Tansania. Ihr Heimathafen ist Kigoma. Transportiert wird alles: Bettgestelle, Wassertanks, Säcke mit Mais, Trockenfisch und rund 500 Passagiere.
Hölzernes Steuerrad ist nur noch Attrappe
Auf der Brücke hat man zunächst nicht den Eindruck, dass das Schiff bereits 100 Jahre alt ist. Kapitän Titus Benjamin hat Radar an Bord. Das hölzerne Steuerrad ist nur noch Attrappe. Gelenkt wird mit Finger und Stick. Dennoch macht sich der Kapitän Sorgen: "Die Maschinen sind sehr alt. Sie müssten ausgetauscht oder zumindest generalüberholt werden. Und dann die Schiffsplanken. Sie sind völlig hinüber. Eigentlich braucht das Schiff eine Komplettsanierung."
Die Dampfkessel wurden vor Jahrzehnten ersetzt durch Dieselaggregate. Dorence Kagodo ist einer von sechs Maschinisten. Eigentlich schon ihn Rente, holte man ihn zurück. Denn niemand kennt sich im Maschinenraum besser aus als er. "Das hier ist alte Technik. Auf den neuen Schiffen haben sie Computer, die alles steuern und anderes modernes Zeug. Aber wir schaffen das hier auch ohne."
In 5.000 Kisten nach Afrika
Zahllose Geschichten kann die "Liemba" erzählen - und ist doch auch selbst Geschichte: 1913 lässt Kaiser Wilhelm II. ein Dampfschiff für seine Kolonie Deutsch Ostafrika bauen. Noch auf der Meyer-Werft in Papenburg wird es wieder zerlegt und in 5.000 Kisten nach Ostafrika verschifft. Mit dem Zug geht es von der Küste noch mal 1.000 Kilometer landeinwärts bis zum Tanganika-See.
Für die letzte Wegstrecke und Montage werden Männer in den Dörfern zwangsrekrutiert. Für einen Hungerlohn bringen sie 1.200 Tonnen Stahl wieder in Form.
Erster Weltkrieg: Schiff wird versenkt und wieder gehoben
Das Schiff trägt den Namen "Graf Götzen". Doch kaum ist es einsatzbereit, bricht der Erste Weltkrieg aus. Am Tanganikasee treffen Belgier und Briten auf eine unterbesetzte deutsche Garnison. Damit das Schiff den Gegnern nicht in die Hände fällt, wird es von den Deutschen versenkt, von den Belgiern aber wieder gehoben. Aus der "Graf Götzen" wird die "Liemba".
Ständiges Umladen und Umsteigen
Im Schiffsbauch, wo früher die deutschen Schutztruppen transportiert wurden, ist heute die 3. Klasse. Bis zu 400 Passagiere drängen sich hier. Da das Wasser am Ufer zu flach ist, legen Holzboote aus den Dörfern längsseits an. Dann wird umgeladen und umgestiegen - auch bei unruhiger See. Karambolagen und Quetschungen sind da keine Seltenheit. Auch in der Nacht wird be- und entladen. Schlafen können da nur Ohnmächtige.
Doch zu den Dörfern führen keine Straßen. Allein das Schiff verbindet sie mit der Außenwelt. Dass das Schiff vor 100 Jahren in Deutschland gebaut wurde, weiß hier kaum einer. „Liemba“ heißt bei den Einheimischen der Tanganika-See. So als wären Schiff und See untrennbar miteinander verbunden.
Autor: Peter Schreiber, ARD-Studio Nairobi
Stand: 17.02.2017 12:10 Uhr
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