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Westjordanland: Bethlehem ohne Pilger

Westjordanland: Bethlehem ohne Pilger | Bild: BR

Bethlehem mit der Geburtskirche Jesu: In diesem Corona-Advent liegt eine merkwürdige Stimmung über dem Sehnsuchtsort von Christen aus aller Welt. Etwas Weihnachtlich-Feierliches hat diese Stadt in ihren Genen. Aber jetzt wird sie beherrscht von Melancholie, Verzweiflung, Depression ohne Pilger und damit ohne Einnahmequelle. Das hat diese Stadt noch nie erlebt.

Das schlimmste Jahr

In der Gasse der Holzschnitzer hat nur ein einziger Laden geöffnet. Sie produzieren in traditioneller Handarbeit Krippenfiguren auf Hochtouren. Es ist ein kleines Weihnachtswunder, dass sie überhaupt Arbeit haben. Möglich geworden dank ihres ideenreichen Chefs, der sich auch von Corona nicht unterkriegen lassen will: Jack Issa Giacaman, arabischer Christ. Den liebevollen Umgang mit Olivenholz haben ihm Vater und Großvater gelehrt. Vor Corona hat er sein Kunsthandwerk im Land neben der Werkstatt verkauft. Hier haben seine Jesuskinder, Marien- und Josef-Figuren und Hirten seit März vergeblich auf Kundschaft gewartet. Jack saß wie so viele in Bethlehem arbeitslos zu Hause und wusste nicht mehr, wie er Frau, zwei Töchter und auch seine 22 Arbeiter noch irgendwie durchbringen sollte: "Dieses Jahr war bisher das schlimmste meines Lebens. Dabei habe ich die Erste Intifada und Zweite Intifada erlebt, die Kriege. Aber selbst zu diesen Zeiten damals waren in Bethlehem Menschen auf der Straße. Es gab sogar damals Touristen, die bei uns eingekauft haben. Aber in diesem Jahr waren die Straßen leer. Sogar die Kirche ist leer."

Jetzt haben wir diese Kapelle für uns alleine. Und wieder ist es ein Gefühl zwischen besinnlich-schön und traurig-einsam zugleich.

Am Mittag zieht vor Jacks Laden wieder einmal ein Trauerzug vorbei. 52 Corona-Tote, Tausende Infizierte hatten sie bisher. Bethlehem war die erste Stadt in den palästinensischen Gebieten, in der die Pandemie ausgebrochen ist – eingeschleppt durch Pilger. Deshalb wurde hier seit März ein rigoroser Lockdown verhängt.

Jack hat die wirtschaftliche Not erfinderisch gemacht. Er bietet seine Krippen seit kurzem im Internet an. Eine kleine Revolution im Traditionsgewerbe - nicht ohne Schwierigkeiten.

Auf dem Platz vor der Kirche wird der große Weihnachtsbaum geschmückt - wie jedes Jahr. Wenigstens der Baum soll Normalität vermitteln.

Hoffnung auf Biden

Die Beziehungen zwischen der palästinensischen Führung und US-Präsident Trump waren zerrüttet. Deshalb hat die Wahl von Biden ein klein wenig vorweihnachtliche Hoffnung geweckt. Auch bei Jack und seinen Töchtern. Vom Dach ihres Hauses sehen sie auch die großen Hotels der Umgebung.

Das Orient Palace ist das größte in den palästinensischen Gebieten. Gerade in der Weihnachtszeit wäre es hier voller Pilgergruppen gewesen. Die Zimmer waren seit langem reserviert. Nun wirkt es, als sei im März die Zeit stehen geblieben, alles liegt alles im Dornröschenschlaf. Besonders tragisch für Leith Abu Rumaneh und seine Familie, weil sie kurz vor der Pandemie noch viele Millionen Dollar in einen weiteren Ausbau des Hotels gesteckt hatten. Aber der Bethlehemer Hotelier will die Hoffnung nicht aufgeben. Als Christ weiß er, welche große Bedeutung seine Stadt hat und ewig haben wird.

Wir sind jetzt beim Tee bei Jacks Frau Tamara und fragen uns: Wo bitte ist denn in der Wohnung des Holzschnitzers die obligatorische Weihnachtskrippe? Großes Gelächter. Dann erfahren wir: Es gibt hier keine Krippe. „Ich mag kein Holz!“, bekennt Tamara. Mit diesen Gegensätzen kann die Familie offenbar gut und glücklich leben. Was sie verbindet ist die Liebe, auch die zu ihrer Stadt Bethlehem und der Wunsch, dass bald wieder Touristen mit ihnen Weihnachten feiern.

Autorin: Dr. Susanne Glass, ARD Tel Aviv

Stand: 06.12.2020 20:18 Uhr

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