Leben ist fahren: im Kreis

NDR-Fernsehfilmchef Christian Granderath über die Jubiläumsfolge 'Taxi nach Leipzig'

Christian Granderath PB Fiktion & Unterhaltung / Film, Familie und Serie
Christian Granderath | Bild: NDR

»Abgesehen vom Pferd hat wohl kein Fortbewegungsmittel die Fantasie von Drehbuchautoren und Regisseuren so stark in Bewegung gesetzt wie das Taxi. Davon zeugen nicht nur Filme wie 'Der eiserne Gustav', sondern auch unzählige Titel wie 'Taxi nach Tobruk', 'Taxi nach Kairo', 'Taxi Teheran', 'Taxi Brooklyn', 'Taxi I-IV', 'Taxi Girl, Taxi Killer', 'Taxi zum Klo' und und und. Filmklassiker wie 'Taxi Driver' oder 'Die Taxifahrerin' gehören zu diesem Subgenre und natürlich auch 'Night on Earth oder Collateral'.

Für das deutsche Fernsehen hat im November 1970 der NDR-'Tatoer' 'Taxi nach Leipzig' Maßstäbe gesetzt – als erster Film der 'Tatort'-Reihe überhaupt, mit dem Drehbuchautor Friedhelm Werremeier, Regisseur Peter Schulze-Rohr und Hauptdarsteller Walter Richter. Alle drei kamen aus einer Generation, die den Zweiten Weltkrieg noch miterlebt und mitgekämpft hatte. Folgerichtig hatte der erste 'Tatort'-Kommissar Paul Trimmel im Weltkrieg als Leutnant bei der Wehrmacht gedient und seine Frau bei einem Bombenangriff verloren. Geprägt vom Krieg war Trimmel ein knorriger, ruppiger und nicht sonderlich beliebter, aber eigensinniger und mitfühlender Polizist, der cholerisch, harsch und manchmal zynisch mit Korn, Cognac und Zigarre im Dienst und einem Ford 17m, Baujahr 1961, auf Tätersuche ging. Hinter seinem Schreibtisch konnte man den Spruch lesen „Der Beamte hat immer recht“. Mitten im Kalten Krieg machte er sich im geteilten Deutschland eigenmächtig auf in den ersten Arbeiter- und Bauernstaat auf deutschem Boden und fuhr nach Leipzig, um den Mord an einem Kind aufzuklären. Polizistinnen haben dabei keine maßgebliche Rolle gespielt. 'Things have changed' – das 21. Jahrhundert ist das Jahrhundert der Frauen, die DDR im Orkus der Geschichte und deutsche Soldaten kämpfen wieder in heißen Kriegen in fremden Ländern.

'Leben ist Fahren: im Kreis/Die Toten im Straßengraben sind kein Beweis' heißt es in einem Gedicht des Schriftstellers Thomas Brasch. 46 Jahre und 999 'Tatort'-Folgen später hat der NDR den mit zahlreichen Preisen ausgezeichneten Autor und Regisseur Alexander Adolph gebeten, im 1.000. 'Tatort' erneut eine Taxi-Fahrt durch das nun wiedervereinigte Deutschland nach Leipzig zu erzählen. Kein Remake, größtmögliche Freiheit und die Bitte, einen Bogen zu schlagen von einer Geschichte aus dem Kalten Krieg ins Hier und Heute, mit der coolen Charlotte Lindholm als niedersächsischer LKA-Kommissarin, die mit dem Unikum Klaus Borowski unverhofft einen ihr unbekannten Kieler Kommissar an ihrer Seite hat.

Adolph gehört zu den profiliertesten 'Tatort'-Autoren. Er ist ein Meister der Skizze, seit einigen Jahren inszeniert er auch selber. Zu seinem Oeuvre gehören u.a. die 'Tatorte' 'Im Freien Fall', 'Der tiefe Schlaf' oder 'Der sanfte Tod', zudem hat er wunderbare Kommissarinnen-Figuren für Senta Berger, Marielle Millowitsch und Bernadette Heerwagen kreiert. Auch BR 'Tatort'-Kommissar Fabian Hinrichs verdankt seinen legendären Auftritt als nervender 'Tatort'-Assistent Gisbert Engelhardt maßgeblich dem Autor und Regisseur Alexander Adolph.

Wir haben im Vorfeld über einen Scharfschützen der Bundeswehr gesprochen, der sich nach einem Auslandseinsatz als Auftragskiller verdingt hatte, uns über Wölfe, Götz George, das Gedicht 'Schlimmer Traum' von Thomas Brasch ('Die oben waren sind immer noch oben Wer fällt wird aufgehoben / Die unten waren sind aufgestiegen Wer unterliegen will muss siegen / Die schweigen wollen müssen reden Keiner für sich Jeder für jeden / Die hassen wollen müssen lieben Alle ins Paradies vertrieben'), Anton Tschechow und Musik ausgetauscht. Und darüber, einfach nur eine spannende Geschichte zu erzählen und einen 'Tatort' zu filmen, der sich nicht auf Teufel-komm-raus an der Zahl 1.000 und einem Jubiläum abarbeitet. Alexander Adolph hat dann intensiv recherchiert und mit Männern gesprochen, die als Elite-Soldaten in Afghanistan gekämpft hatten und von einem Krieg erzählten, den die Öffentlichkeit teilnahmslos und achselzuckend zu Kenntnis nimmt. Darauf fußt die Figur des wütenden Taxifahrers Rainald, der von Florian Bartholomäi beängstigend intensiv gespielt wird. Zugleich gibt es tiefe Einblicke in das Seelenleben der Polizisten Charlotte Lindholm und Klaus Borowski. Maria Furtwängler und Axel Milberg scheinen in einer klaustrophobischen Situation gefährlich ohnmächtig und reagieren mit zunehmender Verzweiflung. Der Regisseur und seine Kamerafrau Jutta Pohlmann haben sich dabei auch einer ungewöhnlich großen formalen Herausforderung gestellt. Der 1.000 'Tatort' spielt zu großen Teilen nur in einem Taxi zwischen drei Menschen während der nächtlichen Fahrt durch ein dunkles Deutschland.

Ganz besonders zu Dank verpflichtet fühlen wir uns mehreren Urgesteinen aus dem ersten 'Tatort' vor 46 Jahren – dem unverwüstlichen Drehbuchautor Friedhelm Werremeier, 86, dem profilierten Charakterdarsteller Hans Peter Hallwachs, 78, und dem großartigen Günter Lamprecht, 86. Alle drei bekommen mit kurzen Gastauftritten eine kleine Hommage ebenso wie die wunderbare Karin Anselm, die als 'Tatort'-Kommissarin Hanne Wiegand in den frühen Achtzigern den Weg für ihre späteren Kolleginnen ebnete. Günter Lamprecht spricht ein Schlusswort, das sich vielleicht nicht nur an die Polizisten in diesem Film, sondern an alle 'Tatort'-Kommissare, Polizisten und 'Tatort'- Zuschauer der vergangenen 46 Jahre richtet. Auch hinter dem Plakat zum Film (S. 20) steckt ein kluger Kopf – die Künstlerin Kat Menschik, die jeden Sonntag mit ihren fabelhaften Zeichnungen die Fernsehfilme in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung ankündigt, hat für uns zum Jubiläum ihr Bild vom 1.000 'Tatort' gezeichnet. Wir wünschen gute Unterhaltung mit einem spannenden 'Tatort', der mit Zuneigung und Respekt für eine einzigartige Reihe und alle Beteiligten vor und hinter der Kamera und vor dem Bildschirm entstanden ist – und sind neugierig, wovon der 2.000 'Tatort' 'Taxi nach Leipzig' erzählen wird.«






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