Regisseurin Brigitte Bertele im Gespräch

Lisa Bitter, Ulrike Folkerts, Ben Becker und Regisseurin Brigitte Maria Bertele (v.l.n.r.) beim Drehstart zum "Tatort: Die Pfalz von oben" (AT), dem Film zum 30. Geburtstag des Lena-Odenthal-Tatorts.
Lisa Bitter, Ulrike Folkerts, Ben Becker und Regisseurin Brigitte Maria Bertele (v.l.n.r.) beim Drehstart zum "Tatort: Die Pfalz von oben" (AT), dem Film zum 30. Geburtstag des Lena-Odenthal-Tatorts. | Bild: SWR / Jacqueline Krause-Burberg

Brigitte Bertele im Gespräch

»Was wäre gewesen wenn …«

Was hat Sie bewogen, die Regie beim "Tator: Die Pfalz von oben" zu übernehmen, der ja als eine Art Sequel und als Geburtstagfilm ein außergewöhnliches Projekt war?

Als mich die Anfrage erreichte, habe ich als erstes den "Tatort: Tod im Häcksler" angesehen und war von der Konstellation Ulrike Folkerts und Ben Becker sofort begeistert, ebenso wie von der Gegend, in der der Film damals entstanden ist. Ich habe die Landschaft als sehr lmisch empfunden, auch wenn es den dort ansässigen Bewohnern zum Zeitpunkt der Ausstrahlung anders erging. Und nicht zuletzt war die Möglichkeit, mit der wunderbaren Ulrike Folkerts das dreißigste Jubiläumsjahr der Figur Lena Odenthal zu feiern, eine große Ehre.

Im Mittelpunkt des Films steht die Wiederbegegnung zwischen Lena Odenthal und Stefan Tries, bei der eine ganze Menge ganz unterschiedlicher Gefühle zwischen beiden entstehen. Was war Ihnen dabei besonders wichtig?

Mich hat besonders die Frage interessiert, wie anders ein Menschenleben verlaufen kann, wenn man an einem ganz bestimmten Punkt im Leben eine alternative Entscheidung getroffen hätte. Ich denke, fast jeden von uns hat diese Frage schon ereilt, trotz der Gewissheit, dass man sich dabei im rein Spekulativen, im Reich der Konjunktive bewegt. Aber dieses Gedankenspiel fand ich reizvoll: Was wäre gewesen, wenn? Und die damit verbundene Frage, inwiefern die von uns selbst gewählten Lebensumstände unseren Charakter formen und prägen.

Für Ben Becker bedeutete die Wiederbegegnung zwischen Stefan Tries und Lena Odenthal, die vergangenen 28 Jahre in seiner Darstellung sozusagen mitzuspielen. Wie sind Sie mit ihm darangegangen?

Das Besondere an Stefan Dähnerts Drehbuch zum "Tatort: Die Pfalz von oben" ist, dass es für den Zuschauer Leerstellen lässt und nicht versucht, alles nachzuerzählen, was der Figur Stefan Tries in den vergangen 28 Jahren widerfahren ist. Es gibt Andeutungen, durch die jeder Zuschauer in seiner Phantasie eine eigene Version von Stefans Geschichte au eben lassen kann. Die Erzählung lässt Raum, sich in manchen Teilen womöglich selbst darin wiederzu nden, weil viele Erfahrungen, die die Figur im Film durchlebt hat, universellen Gehalt haben.

Für Lena Odenthal sind die 28 Jahre auch vergangen, die haben wir als Zuschauer natürlich miterlebt. Ihre Figur hat aber fast mehr Leichtigkeit als bei anderen Fällen, auch in den emotionalen Momenten. Entsprach das Ihrer Vorstellung von Lena Odenthal an diesem Punkt in ihrem Leben? Drückt sich darin auch ein positives Verhältnis zu 30 Jahren und 70 Fällen aus?

In meiner persönlichen Erfahrung geschieht es zuweilen während einer Begegnung mit einem Menschen aus einem Lebensabschnitt, der bereits viele Jahre zurückliegt, dass man an sich selbst plötzlich Verhaltensweisen und Gemütsregungen beobachtet, die aus dieser vergangenen Zeit stammen. Die Spiegelung im Gegenüber aktiviert ein Lebensgefühl, das viele Jahre zurück zu liegen scheint und einem plötzlich wieder ganz nah kommt. Man fragt sich, wie und wann ist das eigentlich abhandengekommen? Und obwohl manches daran unwiederbringlich in die Vergangenheit gehört, gibt es andere Facetten, bei denen es sich lohnt, sie wiederzuentdecken …

Wie intensiv haben Sie sich denn mit dem "Tatort: Tod im Häcksler" auseinandergesetzt? War es für Sie ein Problem, dass der Vorgänger lm so hohe Wellen geschlagen hat? Und hatten Sie Spaß daran, die ein oder andere Anspielung in Ihrem Film unterzubringen?

Ich fand es spannend, mich mit dem Film "Tod im Häcksler" und seiner damaligen Rezeption zu beschäftigen. Ich kann die Empörung in Teilen verstehen, war dennoch erstaunt, dass eine fiktive Geschichte so viel – in diesem Fall negative – Identifikation auslösen kann und dass eine parabelhafte Reflexion auf generelle gesellschaftliche Mechanismen so persönlich genommen wurde. Bei der Arbeit an dem aktuellen Film haben mich jedoch hauptsächlich filmsprachliche Aspekte interessiert, z.B. wie subtile, zuweilen auch humorvolle stilistische Anklänge gelingen und gleichzeitig doch ein autarkes Werk entstehen kann.

Lena Odenthal fährt in die Westpfalz, um dort die Ordnung wiederherzustellen, sowohl in einem Mordfall als auch was den Verdacht der Korruption in der Polizeidienststelle betrifft. Sie kommt in die Enge der Provinz, das ist spürbar, gleichzeitig spielt aber auch die Weite der Landschaft, die Offenheit von Bildern eine Rolle. Man hat den Eindruck, dass Sie mehr mit Westernassoziationen als mit dem Heimatdrama arbeiten, oder?

Die Landschaft an unseren Drehorten hat mich von der ersten Begegnung an fasziniert. Die erste Motivbesichtigung fand an kalten grauen Dezembertagen statt und in dieser Jahreszeit besaß die Landschaft eine ganz eigenwillige, rauhe und spröde Schönheit. Die weitläufigen Hügel geben wunderschöne Modellierung, Staffelung, Plastizität bei gleichzeitiger Weite und dünner Besiedelung. Gleichzeitig auch ein Landstrich, in den sich die Windräder hineinfressen, tief bis zum Horizont und der schieren Unendlichkeit betonierte Siegel der Gegenwart einbrennen. In meiner voralpenländischen Heimat ist es der Asphalt von Umgehungsstraßen, Gewerbegebieten und Supermarktparkplätzen, der ehemalige Fest(!)wiesen und Grünflächen gierig verzehrt – für mich ein verstörendes, aber verbreitetes Gesicht von Heimat.

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