Gespräch mit Almila Bagriaçik

Mila Sahin (Almila Bagriacik) besucht Moderator Lenny Jensen (Nicolas Dinkel) – der sich verdächtig macht.
Mila Sahin besucht Moderator Lenny Jensen – der sich verdächtig macht. | Bild: NDR / Thorsten Jander

Mila Sahin

Es ist ein Kreuz. Es ist Mila Sahins Fall, und sie ist bereit, sich vollkommen ins Zeug zu legen. Sie sichtet den Tatort, sammelt die Fakten. Sie ist dabei, ein objektives Bild der Lage zu zeichnen, da taucht Borowski auf. Was heißt Auftauchen: Er platzt herein. Stört das Gespräch mit der Rechtsmedizinerin und hat sofort eine Theorie, wie der tot aufgefundene Säugling gestorben ist. Mila Sahin fühlt sich ausgebremst. Dass ihr Chef Schladitz ihr offenbar die alleinige Verantwortung nicht zutraut und Borowski aus dem Urlaub holt, um ihr zu helfen, nervt sie gewaltig. Denn wenn Borowski eins nicht beherrscht, dann ist das zweite Reihe. Trotzdem bleibt Mila Sahin bei sich. Sind es nicht ihre Ergebnisse, die den Fokus auf Wacken richten? Was ist denn gegen solide Polizeiarbeit einzuwenden? Die örtliche Polizistin ist mit allen per Du, und ihr Sohn ist nicht nur hauptberuflich Heavy-Metal-Fan und Betreiber eines mittelmäßigen Podcasts, sondern auch verdächtig. Ist es da sinnvoll, sie eng in die Ermittlungen mit einzubeziehen? Mila Sahin sagt: nein. Borowski sagt: ja. Weil: Sie sei vernetzt. Grundlage: Bauchgefühl. Gut, dass Mila Sahins Eitelkeit vielleicht gekitzelt wird, aber ihre professionellen Werte Bestand haben. Einmal muss sie die Waffe ziehen, um die Flucht eines Verdächtigen zu verhindern. „Wir wollen nur helfen,“ sagt sie mit sanfter Stimme. Man glaubt ihr sofort.

Gespräch mit Almila Bagriaçik

Dreharbeiten führen Schauspieler*innen oft zu illustren Orten, die sie vorher nicht kannten. Waren Sie schon mal auf dem Wacken Open Air, und wie fanden Sie die Idee, den „Tatort“ dort anzusiedeln?

Ich liebe es, dass unser Beruf uns Einblicke in die verrücktesten Locations ermöglicht. Aber ein Musikfestival ist eine andere Liga und dann auch noch Wacken. Ich kannte das Wacken Open Air Festival, aber ich hatte noch nicht die Gelegenheit, dahin zu gehen. Ich finde, echte Charaktere und Einflüsse im „Tatort“ zu haben sehr erfrischend und spannend.

Borowski feiert irgendwann mit, Sahin winkt ab. Wie halten Sie es persönlich? Hätten Sie gerne mal einen Tag zu Metal getanzt?

Auf jeden Fall! Ich habe sogar versucht, unsere Regisseurin davon zu überzeugen, dass Sahin da auch hingehen sollte, damit ich dabei sein kann. Aber am Ende des Tages gab es ein passenderes Ende. In meinem Kopf bin ich dann als Sahin zu lauter Heavy Metal-Musik im Auto nach Hause gefahren. Das werden wir im Film leider nicht sehen.

Die Sehnsucht nach einer heilen Familie treibt das Paar Sarah und Kurt immer weiter an den Abgrund. Wird die Familie und der Wunsch nach dem perfekten Glück durch die Geburt eines Kindes in unserer Gesellschaft idealisiert?

Es gibt die unterschiedlichsten Definitionen von Familie und Glück in unserer Gesellschaft. Dabei wird sicherlich auch oft geglaubt, dass ein Baby die Lösung aller Probleme sei oder ein Baby das ist, was der Beziehung noch fehlt. Das finde ich sehr traurig.

Borowski und Sahin bilden nun seit sechs Jahren ein Ermittler-Team. Was zeichnet die Beziehung zwischen Sahin und Borowski aus? Was hat sich in den Jahren verändert?

Im Laufe der Zeit hat sich eine starke Partnerschaft entwickelt, in der man sich auch ohne Worte verständigen kann und dabei auch keine Angst hat, wahre Gefühle zu zeigen. Trotz dieser starken Partnerschaft, sowohl vor als auch hinter der Kamera, bleibt Borowski immer geheimnisvoll. Und um das Geheimnis lüften zu können, muss man den Swing mit ihm zu Ende tanzen. Erst dann kommt man seinem Geheimnis näher.

Sie hatten ein paar Jahre Zeit, sich bei Dreharbeiten besser kennenzulernen. Was ist typisch Axel Milberg?

Ich beobachte immer sehr gerne, wie begeisterungsfähig Axel ist, wenn man ihn auf kreativer Ebene herausfordert und er nicht unterfordert ist. Er hat dann manchmal etwas Verspieltes, was mich damals bei unserem ersten „Tatort“ überrascht hat, und heute amüsiert es mich und lädt mich dazu ein, mitzumachen.

Axel Milberg verlässt den Kieler „Tatort“, aber Sie bleiben Teil des Ermittler-Teams. Was hält Sie an dem Format?

Ich habe großen Respekt davor, ohne Axel weiterzumachen. Aktuell kann ich mir das nicht so richtig vorstellen. Fakt ist aber, dass ich bleibe, weil ich Sahin so liebe und unser „Tatort“ so viele Menschen erreicht. Die Rolle hat für mich eine unglaubliche Anziehungskraft, weil Sahin eine Figur mit einer starken Energie und einem enormen Potenzial für Wachstum darstellt. Sie ist eine faszinierend komplexe Persönlichkeit, die mich als Schauspielerin herausfordert und mir die Möglichkeit gibt, in spannenden Geschichten zu agieren. Persönlich verbinde ich mich stark mit der Rolle, da ich stets den unbedingten Wunsch verspüre, meinen Beruf mit Hingabe und Präzision auszuführen. Genau wie Sahin strebe ich danach, in meiner Arbeit alles zu geben und immer nach neuen Möglichkeiten zur Weiterentwicklung zu suchen. Außerdem finde ich, dass ein Charakter wie Sahin in einem Format wie dem „Tatort“ eine wichtige Säule für unsere Gesellschaft ist. Und nebenbei bin ich ein großer Krimifan.

Worin besteht für Sie die gesellschaftliche Relevanz Ihrer Rolle? Welche Rolle spielt der Migrationshintergrund bei der Figur?

In erster Linie verkörpert sie die Rolle einer Polizistin; ein Beruf, der eine zentrale Rolle in unserer Gesellschaft spielt. Sie hat türkische Wurzeln, die stehen jedoch nicht im Zentrum der Figur. Es ist von großer Bedeutung, Menschen unterschiedlicher Herkunft in ihren beruflichen Tätigkeiten zu sehen und zu erkennen, dass es nicht der Migrationshintergrund ist, der den Charakter eines Menschen prägt. Sahin trägt dazu bei, Stereotypen und Vorurteilen entgegenzuwirken. Sie zeigt, dass es auf die individuellen Fähigkeiten, das Engagement und den persönlichen Antrieb ankommt, unabhängig von kulturellen Hintergründen. Dies ist eine Botschaft, die unsere Gesellschaft dringend benötigt, um Vielfalt und Inklusion zu fördern und gleichzeitig das Potenzial jedes Einzelnen zu erkennen.

Ein Krimi muss spannend sein, aber der „Tatort“ greift auch gesellschaftskritische Themen auf. Welche Geschichten möchten Sie in diesem Format erzählt sehen?

Mich interessiert vor allem die Herangehensweise. Ich glaube, dass der „Tatort“ eine Plattform ist, um wichtige Diskussionen anzustoßen und Menschen zum Dialog über gesellschaftliche Themen anzuregen. Insgesamt geht es darum, Geschichten zu erzählen, die realitätsnah sind und die Vielschichtigkeit unseres Lebens widerspiegeln. Indem wir uns auf authentische Weise mit verschiedenen Milieus, Motiven und Themen auseinandersetzen, können wir die Zuschauer dazu bringen, sich in die Charaktere hineinzuversetzen und empathisch mit ihren Herausforderungen mitzufühlen.

Sahin ist immer sehr kontrolliert, analytisch und professionell. Bleibt das so und erfahren wir auch mal mehr von der privaten Sahin?

Wir werden sehen, ob das so bleibt. Grundsätzlich habe ich nichts dagegen. Und ich denke, wir haben bereits einen „Tatort“ gedreht, der sehr viel mehr von Sahin verrät als bisher. Das werden die Zuschauer*innen aber erst in einer der nächsten Folgen sehen.

Der Kieler „Tatort“ spiegelt die typisch „norddeutsche“ Mentalität der Menschen wider. Wie kommen Sie als Berlinerin, die es für die Dreharbeiten nun schon seit sechs Jahren immer wieder nach Schleswig-Holstein führt, mit der Mentalität zurecht?

Im Laufe der Jahre habe ich die große Liebenswürdigkeit entdeckt, die die norddeutsche Mentalität ausmacht. Was oft als „verschrobene Eigenbrötler“ beschrieben wird, empfinde ich eher als authentische Individualität. Die Menschen in Norddeutschland sind vielleicht nicht immer gleich auf den ersten Blick zugänglich, aber wenn man einmal ihre Nähe gefunden hat, zeigt sich eine aufrichtige Herzlichkeit. Ich finde, die norddeutsche Mentalität verleiht der Serie eine einzigartige Note und ich bin dankbar für die Gelegenheit, sie durch meine Rolle und die Dreharbeiten besser kennenzulernen. Es gibt so viele Aspekte, die ich am Norden schätze – die Nähe zum Meer, das Gefühl, am Tor zur Welt zu stehen, den einzigartigen Humor und die vielfältigen Charaktere, die er hervorbringt. Eine der besten Seiten meiner Arbeit beim Kieler „Tatort“ ist, dass ich durch die Dreharbeiten die wunderschöne Natur im Norden immer wiedersehen kann.

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