Gespräch mit Dr. Eckart von Hirschhausen

Seit Jahren kreisen Ihre Auftritte, Bücher und Reportagen direkt oder indirekt um das Thema Glück. Sie sprechen von verschiedenen Arten von Glück. Im "Tatort: Borowski und das Glück der Anderen" jagt die Hauptdarstellerin Peggy allerdings nur dem Zufallsglück des Lottogewinns nach. Was sagen Sie als Glücksexperte zu dem Film?

Der Film ist großartig, mich haben viele verschiedene Aspekte von Anfang an gefesselt: die Schauspieler, die nachvollziehbaren und die überraschenden Wendungen, und wie bei jedem guten Fernsehspiel bleiben am Ende mehr Fragen als beantwortet werden. Als ich für die ARD die Themenwoche "Zum Glück" moderieren durfte, war mir immer wichtig zu vermitteln: Glück ist in weiten Teilen keine "Privatsache". Glück ist auch ein gesellschaftliches Phänomen. Unglück auch. Menschen sind soziale Wesen und gerade der Vergleich mit anderen, der ständige Drang nach mehr Geld, Macht, Wachstum und Konsum macht vor allem eins: unglücklich.

7,2 Millionen Bundesbürgerinnen und -bürger spielen regelmäßig Lotto, 21 Millionen immerhin gelegentlich. Da ist Peggy wohl nicht die Einzige, für die ein Lottogewinn das ultimative Glücksversprechen darstellt. Macht Geld nicht glücklicher?

Was ist der Unterschied zwischen einem Mann mit 7 Millionen und einem mit 7 Kindern? Der mit den Millionen will weitere! Geld ist deshalb so ein genialer Antreiber der Wachstumsideologie, weil es ja immer jemanden gibt, der mehr hat. Geld kann durchaus glücklich machen, zum Beispiel wenn man wenig davon hat oder sich einen Wunsch erfüllt, den man schon lange hegt. Ist die Grundversorgung aber gesichert, bringt mehr Geld immer weniger Zuwachs an Zufriedenheit. Wir sind heute viel reicher als 1950, sind wir als Gesellschaft zufriedener? Nein – im Gegenteil. Ungleichheit macht unglücklich und aggressiv. Und das soziale Kapital, das in so unscheinbaren Dingen steckt wie pflegenden Angehörigen oder Menschen, die sich um Kinder kümmern, die eigenen oder gerade die, die mehr Hilfe brauchen, wird nicht eingepreist bei unseren "Stabilitätskriterien". Unfrieden ist teuer. Regional wie global. Wir haben in Deutschland Unterschiede in der Lebenserwartung von zehn Jahren zwischen den Wohlhabenden und den Abgehängten, das ist ein stiller Skandal. Deshalb lohnt sich Gerechtigkeit und Teilhabe – für alle Seiten.

Peggy vergleicht sich ständig mit dem angeblich so glücklichen Nachbarpaar. Steht Neid unserem Glück im Weg?

Ohne zu viel vom Plot zu verraten, macht Peggy das, was wir alle machen: Sie überschätzt das Glück der anderen, weil sie die von außen betrachtet. Und den Gewöhnungseffekt unterschätzt. Das ist ja sprichwörtlich: Das Gras ist immer grüner auf der anderen Seite. Und der Partner von der Nachbarin oder vom Nachbar erscheint einem auch reizvoller. Ein Gedankenexperiment hilft dabei, mit dem eigenen Neid kreativ umzugehen und sich klar zu machen: Wenn ich auf der anderen Seite wohnen würde, wäre das bald für mich "normal", und dann erschiene mir irgendwann das Gras und der Mann oder die Frau auf der anderen Seite wieder attraktiver – also kann ich gleich da bleiben, wo ich bin und mir eine Menge Ärger ersparen. Entscheidend für die Zufriedenheit in einer Gesellschaft ist die Verteilung von Wohlstand. Das soll jetzt nicht zynisch klingen, aber in Bangladesch gibt es mehr zufriedene Menschen als in Deutschland. Die Armut in Bangladesch ist schlicht gleichmäßiger verteilt. Der Mensch vergleicht sich immer mit den Menschen um sich herum. Der Bettler sieht nicht neidisch auf den Millionär, sondern auf den anderen Bettler, der ein bisschen mehr hat. Die skandinavischen Länder sind überdurchschnittlich glücklich, weil dort mehr Steuern gezahlt, aber auch mehr ins Gemeinwohl investiert wird. Also: Umverteilen, Demokratie mit viel Bürgerbeteiligung, viel Ressourcen für Bildung und Gesundheit, Chancengerechtigkeit – das sind nachgewiesene Glücksrezepte für die Politik. Es geht allen besser, wenn es vielen besser geht.

Solange dieser Zustand noch nicht erreicht ist, muss man sich fragen, ob glühender Neid ein nachvollziehbares Motiv für ein Verbrechen ist.

Na klar! Aber kein besonders gutes. Dass Menschen im Affekt handeln, berücksichtigt ja sogar unser Rechtssystem. Die Quelle der Aggression im Film wie im "richtigen" Leben ist aber eher das Gefühl, nicht gesehen zu werden. "Respekt" bedeutet wörtlich "zurückschauen". Peggy sitzt an der Supermarktkasse und sieht jeden Tag Hunderte von Menschen an sich vorbeiziehen, die sie nicht eines Blickes würdigen. Noch nicht mal von oben herab. Das ist das entwürdigende, was sie im Kern so wütend macht. In einer aktuellen Umfrage sagte jeder vierte Arbeitnehmer in Deutschland, dass er einen „Bullshit- Job“ hat, also dass er selber in seiner Tätigkeit keinen echten Sinn erkennt für die Gesellschaft. Das sind aber oft hoch dotierte Tätigkeiten! Wir brauchen mehr Pflegekräfte in diesem Land, mehr Erzieher, mehr Lehrer, mehr Polizisten, mehr Physiotherapeuten, Logopäden und mehr Sozialarbeiter. Dass die fehlen, merken wir überall. Und diese wichtigen Berufe werden dann attraktiver, wenn wir den Menschen heute schon dort Wertschätzung, faire Bezahlung und Perspektiven bieten.

Angeblich sind Liebe und Freundschaft die wichtigsten Quellen des Glücks. Mischa, Peggys Mann, scheint sie zu lieben. Ihr reicht das aber nicht. Geht das Glück verloren, wenn man sich daran gewöhnt?

Es liegt in der Tat in der Natur des Glücks, dass es vorbei geht – zum Glück. Wir Menschen sind nicht dazu bestimmt, dauerhaft glücklich und zufrieden zu sein. Im Gegenteil. Glück ist eine "Nebenwirkung" eines gelingenden Lebens. Es ständig direkt anzusteuern, zu steigern oder optimieren zu wollen, macht es kaputt. Glück geht vorbei, um Platz zu schaffen für neues Glück. Stirb und werde, das alte Spiel.

Mischa ist mit sich völlig im Reinen, obwohl Bier und Essen bei ihm deutliche Spuren hinterlassen haben, während Peggy unglücklich über ihr Leben und ihr Aussehen ist. Sind Männer einfach schlichter gestrickt und deshalb glücklicher?

Alle Pauschalurteile sind pauschal falsch. Aber ein Gag aus meinem Bühnenprogramm ist wahrscheinlich für viele nachvollziehbar. Wie steht eine Frau vor dem Spiegel? Immer in Bewegung. Sie lässt nicht locker, bis sie was entdeckt, was nicht perfekt ist. Liebe Frauen, in dem einen Punkt könnt ihr was von uns Männern lernen. Wir zerfleischen uns nicht so mit Selbstkritik. Wie steht ein Kerl vor dem Spiegel? Frontal, regungslos und kurz. Und nach zwei Sekunden ist er mit sich im Reinen – passt schon. Mehr will er gar nicht wissen. Natürlich hat ein Mann irgendwann auch einen Bauchansatz. Aber kein Mann ist so doof und dreht sich vor dem Spiegel ins Profil!

Illona, Peggys Freundin, die auch Kassiererin ist, blickt zufrieden auf ihr Leben. Liegt Glück auch in den Genen?

Ein Teil ist Genetik. Und Genetik ist wiederum auch Glückssache. Aber der Rest ist Übungssache. Es ist wissenschaftlich klar belegt, dass man Glück lernen kann. Neugierig sein hilft. Durch ein aktives Gestalten seines Lebens und ein heiteres gelassenes Beobachten unserer negativen Spiele. Silbermedaillengewinner sind unzufriedener als Bronzemedaillengewinner. Silber denkt, ich hätte Gold haben können. Bronze denkt: Schön, dass ich überhaupt eine Medaille habe. Um Glück zu lernen, muss man seine Gedanken kennen lernen und sich zum Beispiel fragen: Mit wem vergleiche ich mich? Man kann üben, seine Gedanken zu beobachten, und negative schneller unterbrechen. Da bestätigt die moderne Glücksforschung viel von dem, was von Jesus oder dem Dalai Lama gesagt wird: Wir können achtsamer werden, wie wir beurteilen, was uns passiert. Der Optimist sagt, das Glas ist halb voll, der Pessimist sagt, das Glas ist halb leer. Und ein Unternehmensberater sagt: Sie haben 50 Prozent mehr Glas, als Sie bräuchten.

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