Mario Adorf im Interview

»Ich habe Verständnis für milde Lügen.«

Geppetto
Im Bauch eines Walfischs: Hier trifft Geppetto völlig unerwartet Pinocchio wieder. | Bild: WDR / Bernd Spauke

Herr Adorf, was hat Sie gereizt, den Geppetto zu spielen?

Mario Adorf: Ehrlich gesagt, hatte ich zunächst sogar ein bisschen Zweifel. Ich erinnerte mich, dass der Geppetto ein sehr lieber Mensch ist, der seinem Pinocchio alles verzeiht und immer nett und freundlich ist. Und ich dachte, das ist eigentlich gar nicht so mein Ding. Im Allgemeinen spiele ich lieber die nicht so Guten. Doch alle, die hörten, dass ich den Geppetto spielen soll, freuten sich darauf, rieten mir zu. Und jetzt wird es eben ein nicht allzu lieber, aber doch ein richtiger Geppetto.

Es ist ja nicht Ihre erste "Pinocchio"-Verfilmung. 1972 standen Sie bereits in Italien zusammen mit Pinocchio vor der Kamera.

Ich erinnere mich noch gut an die Szenen im Zirkus, als Gina Lollobrigida die Fee spielte. Aber ich hatte nur die kleine Rolle des Zirkusdirektors mit – glaube ich – zwei Drehtagen. Ich war damals traurig, weil ich nicht den Mangiafuoco spielen durfte. Das alles hat natürlich mitgespielt, als man mir jetzt den Geppetto anbot. Jetzt spiele ich also endlich die eigentlich zweite große Rolle in dem Film (lacht).

Pinocchio ist in diesem Film eine Animationsfigur und war selbst bei dieser Verfilmung nicht am Set. Wie ist es, bei den Dreharbeiten mit einem nicht vorhandenen Partner zu spielen?

Ich musste mir die kleine Figur halt vorstellen. Und versuchen sie anzuschauen. Das ist, wenn man in die leere Luft schaut, nicht ganz einfach. Aber es ist die viel schwierigere Aufgabe für die Regisseurin Anna Justice, einen solchen, allein technisch schwierigen Film zu stemmen.

Was macht den besonderen Reiz der Geschichte von "Pinocchio" aus?

Pinocchio ist ja eine künstliche Figur. Eine Puppe. Er darf frech sein wie im Kasperle-Theater und Dinge tun, die man gerne auch täte, aber selber nicht tut. Aber man schaut sie gerne an und man freut sich darüber. Hier ist es natürlich die Geschichte des Lügens und der Nase, die beim Lügen immer länger wird. Das ist ein schönes Bild für Kinder, denen man ja immer sagt, du darfst nicht lügen. Carlo Collodi, der Autor von Pinocchio, war recht frech und hat da nicht nur einfach ein liebes Märchen gemacht.

Welche Rolle haben Märchen in Ihrem Leben gespielt?

In meiner Anfangszeit als Schauspieler haben wir an den Münchner Kammerspielen jedes Jahr ein Kindermärchen aufgeführt. Da spielten dann die besten Schauspieler mit. Es war für mich immer ein Erlebnis, für Kinder zu spielen. Ich denke heute noch an diese Theaterzeit: Wie Kinder sich freuen können, wie sie jubeln, wie sie schreien, wie sie warnen können, wenn zum Beispiel in "Peterchens Mondfahrt" der böse Mann im Mond kommt. Meine allererste Rolle überhaupt war übrigens auch eine Märchenrolle, ich war der siebte Zwerg in "Schneewittchen". Da war ich vier. Und man hatte mir einen Wattebart geklebt. Irgendwie kam die Watte dann in meinen Mund und meine Nase beim Spielen und ich hab’ geheult. Das war eine ziemliche Katastrophe!

Pinocchio nimmt es nicht allzu genau mit der Wahrheit: Wie halten Sie es damit?

Es gibt ja verschiedene Arten von Lügen. Es gibt die gemeine Lüge, die hinterhältige Lüge, die verschämte Lüge, die heimtückische Lüge, die bequeme Lüge. Und dann eben aber auch die barmherzige Lüge, wenn man jemanden nicht verletzen will. Wenn man lieber lügt, als ihm die Wahrheit zu sagen. Ich glaube nicht, dass alle Menschen die nackte Wahrheit immer ertragen können. Deshalb habe ich ein Verständnis für die milde Lüge, für die freundliche Lüge.