Gespräch mit Eleonore Weisgerber

(spielt Inge)

Inge (Eleonore Weisgerber) lebt in ihrer eigenen Welt
Inge lebt in ihrer eigenen Welt | Bild: NDR/Hager Moss Film GmbH / Christine Schroeder

Inge näht Quilts, es ist schließlich ihre Pflicht, sie hat es den Kunden doch zugesagt. Das redet sie sich – und ihrem Mann Helmut – jedenfalls ein. Tag und Nacht sitzt sie an der Maschine. Sie näht, um nicht denken zu müssen. Ab und zu muss sie aus ihrem Zimmer kommen und das geht eigentlich nur mit Hilfe der Pillen. Was für ein Horror ist ihr Geburtstag. Deshalb lieber eine Pille mehr, schließlich erwarten alle, dass sie sich freut. Über die Zumutungen, die ihre Kinder Geschenke nennen. Über den Besuch, über die Torte. Nur mit den Pillen kann Inge den Mühlstein vorübergehend vergessen, der um ihren Hals hängt. Helmut kann sie aushalten, der stellt keine Ansprüche. Miriam spielt immerhin schön Cello. Aber Anne. Mit jedem Wort, jeder Geste reißt sie die Wunde wieder auf.

Gespräch mit Eleonore Weisgerber (spielt Inge)

Wirken Geheimnisse, die etwas schützen sollen, eher trennend und verursachen damit mehr Leid als die Wahrheit?

Ich komme aus einer großen Familie und habe selbst zwei Kinder und vier Enkelkinder. Aus vielen Gesprächen mit Freunden und Familienmitgliedern weiß ich, wie zerstörerisch sich ungeklärte Dinge auswirken können. Eine gesunde Familie braucht Ehrlichkeit und Offenheit, auch wenn das manchmal schmerzlich ist. Familiengeheimnisse münden oft in Katastrophen. Mir hat ein Therapeut einmal gesagt, wenn er nicht wisse, was in einer Familie nicht stimmt, müsse er nur die jüngsten Kinder fragen. Die wüssten alles. Kinder spüren, wenn es ein Problem gibt, aber sie können es nicht einordnen. Wenn Eltern nicht bei der Wahrheit bleiben, sondern so tun, als sei alles in Ordnung, fangen die Kinder an, ihrer Wahrnehmung zu misstrauen, und das kann schwere psychische Störungen auslösen.

Hätten Inges Töchter die Wahrheit verkraften können?

Das Beste wäre natürlich gewesen, die Eltern hätten von Anfang an kein Geheimnis um den Vorfall gemacht. Ist das aber geschehen, ist es schwer, dieses Verhalten nachträglich zu erklären. Allerdings nicht so schwer, wie manche denken. Kinder reagieren häufig überraschend entspannt auf Geständnisse, die Erwachsenen aus Furcht vor Verurteilung schwerfallen. Denn Kinder denken noch nicht in moralischen Kategorien. Dieser Film ist so wichtig, weil er zeigt, was passieren kann, wenn über einschneidende Ereignisse nicht gesprochen wird. Solche Geheimnisse sind wie ein Paket mit einem unguten Inhalt, das sorgsam verschnürt manchmal an die nächste Generation weitergegeben wird. Wenn dieses Paket nicht irgendwann geöffnet und der Inhalt entsorgt wird, beeinflusst das oft auch noch die nachfolgenden Generationen. Das ist fatal.

Ein Elternpaar, das ein offenbar traumatisches Ereignis in der Vergangenheit vor den Töchtern verschweigt, und eine Mutter, die daran zu zerbrechen scheint. Warum will Inge das Familiengeheimnis mit aller Macht bewahren?

Weil sie Angst hat, die Wahrheit könnte ihre Töchter zu sehr belasten. Ihr Mann und sie wollen die Kinder schonen, aber Familiengeheimnisse können Familien zerstören. Von dieser Dynamik erzählt „Auf dem Grund“. Inge hat Schuldgefühle, weil sie um ihre Verantwortung für das Vorgefallene weiß. Diese Schuldgefühle will sie aber nicht wahrhaben. Sie verdrängt sie, was bei ihr zu schweren Depressionen und teilweise exzessivem Tablettenkonsum führt. Für ihre Familie ist das schwer zu ertragen. Denn Inge ist manchmal total überdreht, in anderen Zeiten aber verweigert sie jede Kommunikation, schließt sich in ihr Zimmer ein und reagiert auf Annäherungsversuche extrem gereizt.

Ist Inges abweisendes, distanziertes Verhalten vor allem ihrer Tochter Anne gegenüber nicht sehr befremdend?

Inge hat starke Schuldgefühle. Diese verdrängt sie und daraus entsteht Selbsthass. Dieser Hass muss irgendwo abgeladen werden. Da sie der Meinung ist, sie habe durch ihr Schweigen Anne ein sorgenfreies Leben ermöglicht, ist sie neidisch auf ihre Tochter. Sie selbst aber muss dieses Geheimnis weiterhin mit sich herumtragen. Daraus entsteht eine Aggression Anne gegenüber. Ihre Tochter Miriam wird wesentlich besser behandelt. Das gefährdet im Verlauf der Handlung auch die Beziehung zwischen den beiden Töchtern. Lange begreift Inge nicht, was sie mit ihrem Verhalten der Familie antut.

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