Gespräch mit Claudia Michelsen

(spielt Anne)

Welches ein Geheimnis liegt in Annes (Claudia Michelsen) Vergangenheit?
Welches ein Geheimnis liegt in Annes Vergangenheit? | Bild: NDR/Hager Moss Film GmbH / Christine Schroeder

Schwimmen ist Annes Leidenschaft. Als Jugendliche war sie Deutsche Meisterin, jetzt trainiert sie in der niedersächsischen Provinz hoffnungsvollen Nachwuchs. Sie könnte sogar – wenn sie wollte – ins Bundesleistungszentrum wechseln. Aber zufrieden ist Anne nicht. Ihre aktive Karriere ist unvollendet geblieben, ein unerklärlicher Einbruch bei einem Qualifikationswettkampf quält sie noch heute. Manchmal fühlt es sich an, als wäre sie in der Vergangenheit stehen geblieben. Während ihre ehemalige Betreuerin sie duzt, bleibt Anne beim ehrfürchtigen „Sie“.

Auch an ihrer Mutter Inge arbeitet sie sich ab. Was immer Anne auch tut, sie erntet Missbilligung. Auch wenn sie an die Lieblingsblumen der Mutter denkt, sind die dann nicht frisch genug. Das Quälendste daran ist, dass Anne nicht weiß, weshalb sich Inge so verhält. Hat sie etwas falsch gemacht? Ein Glas voll mit vor Jahrzehnten bemalten Steinen, das Anne im Keller entdeckt, bringt ihre Mutter vollkommen aus der Fassung. Was Anne auch nicht weiß, höchstens vermutet: Ihr Mann geht fremd. Je mehr sie den Halt verliert, desto mehr ahnt sie, dass Wasser in ihrer Vergangenheit noch eine andere, überhaupt nicht sportliche Rolle gespielt hat.

Gespräch mit Claudia Michelsen (spielt Anne)

"Auf dem Grund“ erzählt von einer schwierigen Familienkonstellation, in der Anne und ihre Schwester aufgewachsen sind. Anne spürt, dass etwas nicht stimmt, kann es aber nicht benennen. Warum haben Sie sich für diese Rolle entschieden?

Mich hat das Komplexe dieser Familiengeschichte interessiert. Wo kommen wir her und was geben wir durch das Erlebte weiter. Systemisch zu denken nimmt mehr und mehr Raum ein in meinem Leben. Auch haben mich vor Jahren schon die Bücher „Kriegskinder“ und „Kriegsenkel“ von Sabine Bode schwer im Andersdenken beeinflusst.

Das unausgesprochene Geheimnis hat Auswirkungen auf alle Familienmitglieder, am meisten ist aber Anne betroffen. Offensichtlich lebt sie seit Jahren mit einer Last, von der sie nicht weiß, woher sie kommt. Wie hat das ihr Leben, ihre Entwicklung beeinflusst?

Ich scheue mich detailliert zu beschreiben, was es ganz genau mit ihr gemacht hat, und wahrscheinlich würde mir das auch nicht gelingen, da jeder bei dem Gesehenen etwas anderes empfindet, hängt es doch auch meistens mit der eignen Geschichte zusammen. Aber ja, ich würde sagen, es ist eine Irritation, eine Psychose, ein Erlebnis, was seit frühester Kindheit nie aufgelöst, nie behandelt wurde. Dadurch schafft Anne es nicht, friedvoll in ihr eigenes Sein, ihr eigenes Leben zu gelangen.

Am Anfang des Films stehen zwei Satze von William Faulkner: „Das Vergangene ist nicht tot. Es ist nicht mal vergangen.“ Die Schriftstellerin Christa Wolf hat das Zitat ergänzt durch „Wir trennen es von uns ab und stellen uns fremd.“ Beschreibt das nicht auch ganz gut den Zustand von Anne?

Ja, das ist tatsächlich eine sehr gute Beschreibung von Anne. Nur, dass sie nicht bewusst etwas „abtrennt“. Wenn man sich in seinem Leben nicht fühlen kann oder immer das Gefühl hat, etwas stimmt nicht und eigentlich ist man nur zu Besuch da oder im falschen Körper, dann ist das Vergangene nicht tot, nein. Wir schaffen es nicht, davor zu fliehen.

Anne und ihre Schwester Miriam verbindet eine konfliktreiche Beziehung. Warum geraten sie immer wieder aneinander?

Natürlich zieht sich das Problem auch in die Schwesternbeziehung hinein. Die Geschwisterbeziehung ist meistens die längste, die man im Leben hat. Auch ein sehr komplexes Thema. Wie haben die Eltern die Kinder unbewusst unterschiedlich behandelt, was wurde da vielleicht auch gepflanzt. Und wieder sind wir bei dem Komplexen, dem Gesamtbild, dem Systemischen.

Sie selbst haben zwei Töchter. Ist Offenheit eine gute Basis für eine vertrauensvolle und gelungene Beziehung in einer Familie?

Natürlich ist Offenheit der Weg, aber das kann eben auch nicht jeder und das hängt wahrscheinlich wieder mit der eigenen Geschichte zusammen.

Sie haben mal gesagt, das Spielen ist für Sie auch immer eine Reise in ein anderes Leben. Haben Sie von dieser Reise in das Leben der Anne eine Erkenntnis mitgenommen?

Nun ja, sicherlich ist das so. Manchmal begreift man über diese Reisen das eigene Leben ein wenig besser, Dinge, die man vielleicht hätte anders machen sollen oder auch Dinge, die man verändern möchte. Aber es ist nicht so, dass ich nach so einer Arbeit ganz klar sagen kann, das und das habe ich gelernt. Dieser Prozess ist mal intensiver und mal schleichend über die Jahre.

Haben Sie auch schon mal die Erfahrung gemacht, dass das Vergangene nicht vorbei ist?

Ja, natürlich. Wie wir alle denke ich darüber nach, warum tun wir, was wir tun. Die Vergangenheit prägt uns und auch unsere Kinder. Es braucht die Auseinandersetzung damit, aber es braucht auch irgendwann den Frieden damit, um tatsächlich in seinem eigenen Leben ankommen zu können und etwas Neues, Selbstbestimmtes „schreiben“ zu können.

In den letzten 20 Jahren haben Sie viele Auszeichnungen erhalten, im September erst den „Preis für Schauspielkunst“ beim Festival des deutschen Films. Sie müssen also ein Gespür für die richtigen Rollen haben. Nach welchen Kriterien wählen Sie ihre Rollen aus?

Ja, über diesen Preis habe ich mich sehr gefreut, was für ein großartiges Festival auch. Was die Rollenauswahl betrifft, ist es tatsächlich sehr unterschiedlich. Ich langweile mich sehr schnell und insofern versuche ich mich in den Geschichten nicht zu wiederholen. Das geht natürlich nicht immer. Und meistens ist es sehr einfach, ich lese eine Geschichte und wenn ich das Gefühl habe, ich kann mich in den Dienst der Geschichte oder der Figur stellen, weil mich intuitiv etwas bewegt oder berührt und reizt, dann begebe ich mich auf diese „neue“ Reise.

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