So., 07.06.20 | 19:20 Uhr
Das Erste
USA: "The Blue Wall" – latenter Rassismus bei der Polizei
Schier unüberbrückbar scheint die Kluft zwischen weißen Uniformierten und schwarzen Demonstranten. Amerikas Polizei steht am Pranger. Das Land ist extrem aufgewühlt. "Wir Schwarzen sind es einfach leid! Wir haben so viel durchgemacht und noch immer werden wir auf der Straße getötet, von denen, die uns schützen sollten", sagt Demonstrantin Louise bei einer Kundgebung in Washington.
"Wir wurden Zeuge am Mord von George Floyd"
"Ich kann nicht atmen." Der gequälte Hilferuf von George Floyd unter dem Knie brutaler Polizisten, das Augenzeugenvideo löst landesweit Massenproteste aus. Washingtons Polizei muss den Präsidenten schützen, Ausschreitungen verhindern – all das in der Coronakrise. Man habe jetzt keinen Kopf für Interviews. Wir sprechen mit einem pensionierten Polizisten. Mitch Credle, zuletzt in der Mordkommission, war 1986 einer der wenigen Schwarzen auf der Polizei-Akademie. Dass Gesetzeshüter einen wehrlosen Mann in Handschellen derart gnadenlos umbringen, erschüttert ihn. "Das war verstörend. Wir wurden ja Zeuge eines Mordes! Sowas habe ich in 23 Jahren Mordkommission nicht erlebt, kam ja stets nach der Tat. Einen Mord im Fernsehen zu sehen, war unglaublich."
Weil George Floyd mit einem angeblich gefälschten 20-Dollar-Schein Zigaretten bezahlt haben soll, war die Polizei gerufen worden. Wie die Beamten ihn dann verhaften und gefesselt zu Boden drücken war ein krasser Verstoß gegen alle Dienstvorschriften. "Die waren doch zu viert! Die hätten ihn leicht mit den Händen festhalten können. Aber auf seinem Hals zu knien, sowas habe ich noch nie gesehen, jedenfalls nicht hier in Washington DC", sagt Mitch Credle.
Der frühere Detective hat keinen Zweifel, diese Tat war rassistisch motiviert. Aber der Hauptangeklagte sei gewiss schon Rassist gewesen bevor er Polizist wurde. Man müsse sorgfältiger sein beim Rekrutieren, bei der Ausbildung: "An der Polizeiakademie ist man nur für rund sechs Monate und das Training ist oft paramilitärisch, erinnert also an die Armee."
Schießen, um sich und andere zu schützen – darum geht es vor allem im waffenstarrenden Amerika. Die Cops riskieren Tag für Tag ihr Leben. Doch manche missbrauchen ihre Macht, werden zu Gewalttätern in Uniform.
Blue Wall – die Mauer des Schweigens
Auch in der Polizeidirektion in Milwaukee in Wisconsin gab es Übergriffe auf Schwarze - zum Beispiel 2015. Auch damals war Rassismus das Thema. Und wir hörten oft den Begriff "blue wall" (blaue Wand). Gemeint ist die Mauer des Schweigens, nachdem ein Kollege sich schuldig gemacht hat. "So kann es nicht weitergehen", sagt Will Smith. Der Senator in Maryland fordert eine grundlegende Polizeireform: "Um strukturelle Änderungen zu erreichen, brauchen wir mehr Transparenz. Die Polizei muss offenlegen, wenn ein Beamter wiederholt Disziplinarstrafen bekam. Wenn wir die Schurken so isolieren könnten – das wäre wichtig: Nur mehr Verantwortlichkeit führt zu mehr Vertrauen, vor allem in schwarzen oder Latino-Gemeinden."
Die schrecklichen Würgegriffe, die in etlichen Bundesstaaten erlaubt sind, will Smith verbieten lassen. Daran war 2014 Eric Garner in New York gestorben. "Wenn einem die Brutalität, die Menschenverachtung dieser Tat bewusst wird, muss man diese Polizeimethoden verbieten und sicherstellen, dass die Beamten lernen, Verhaftete anders zu sichern wenn sie eine Gefahr darstellen."
Die Demonstranten in Washington wollen sich nach 400 Jahren Gewalt gegen Schwarze nicht mit symbolischen Änderungen abspeisen lassen. "Die Polizei wurde doch gegründet, um Schwarze zu unterdrücken, seit der Sklaverei. Es geht nicht darum Vertrauen zurückzugewinnen. Das System muss komplett erneuert werden", fordert Bakary Samasa. Sie protestieren da weiter, wo Martin Luther King im Sommer 1963 seine legendäre Rede hielt. Denn er blieb bis heute unerfüllt, der Traum von der Gleichberechtigung in Amerika.
Autor: Stefan Niemann, ARD-Studio Washington
Stand: 08.06.2020 12:53 Uhr
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