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USA: Corona und Gewalt – wie überleben in den armen Vierteln der US-Hauptstadt?

USA: Corona und Gewalt – wie überleben in den armen Vierteln der US-Hauptstadt? | Bild: NDR

Joe Houston versucht fit zu bleiben, in diesen seltsamen Zeiten. Ganz allein. Ohne all die, um die er sich normalerweise kümmert. Ohne die Kinder, mit denen er sonst regelmäßig trainiert, ohne die Mädchen, denen er Selbstverteidigungstricks beibringt. Und ohne die schwarzen Jugendlichen, denen er vermittelt, dass Sport und gesunde Ernährung wichtig sind.

Boschafter für junge Afroamerikaner

Joe ist für viele ein glaubwürdiger Botschafter. Der 26-Jährige war selbst auf die schiefe Bahn geraten. Jetzt will er andere unterstützen. "Wir sollten uns in dieser Zeit helfen, so wie ein großer Bruder oder eine große Schwester das tun würden, aber ich hab das Gefühl, dass es jetzt mehr Gewalt gibt. Ich weiß, dass wir Corona ernst nehmen müssen, aber das größte Virus hier ist die Gewalt unter Schwarzen. Wir töten uns gegenseitig. Alles hilflose, ekelhafte Verbrechen."

Im Südosten der US-Hauptstadt Washington leben vor allem Afroamerikaner. Eine Gegend, in der es viele Morde gibt. Die Hälfte wird nie aufgeklärt. Joe erzählt, wie hart es war, hier aufzuwachsen. Gewalt gehörte zu seinem Alltag: "Mit Zwölf hatte ich meine erste Waffe. Das gab mir Macht. Andere haben mir Angst gemacht, ich hab ihnen Angst gemacht. Ich wusste, dass ich auch mit einer Waffe getötet werden konnte, aber viele hatten jetzt Angst vor mir."
Als Joe 13 ist, stirbt seine Mutter an einer Überdosis. Er rutscht immer weiter ab. Diebstahl, Schießereien, drei Menschen verletzt er mit seiner Waffe und muss mit 16 für fünf Jahre ins Gefängnis. Das sei seine Rettung gewesen, sagt er. Nach der Haft beschließt er, dort zu helfen, wo sein Absturz angefangen hat. Er kennt die Leiden dieser Kinder. Auch er hat gesehen, wie Freunde erschossen wurden. Erst vor ein paar Wochen gab es hier wieder einen Toten. Viel zu oft reiche ein falsches Wort. Trotz Corona haben die Schießereien nicht aufgehört.   

Auf den Tag genau sechs Jahre ist Joe raus aus dem Gefängnis. Für ihn ein zweiter Geburtstag. Zufällig trifft er zwei Jugendlichen. Dass sie es gut finden, wegen Corona nicht zur Schule zu müssen, gefällt ihm gar nicht: "Mann, schau mich an. Du bist wie ich damals. Ich sag Dir: Lern etwas. Das ist das Beste, was Du machen kannst. Sei anders. Du musst nicht cool sein, wie alle anderen. Sie werden getötet oder landen im Gefängnis. Lass uns was zusammen machen, Sport zum Beispiel."

Gegen wilde Theorien zum Coronavirus

Startseite eines Instragram-Accounts.
Wichtiges Instrument, um Kontakte aufzubauen und zu halten: Instragram. | Bild: NDR

Vor allem über Instagram erreicht Joe derzeit Jugendliche. Er hat seine eigene Hilfsorganisation gegründet und unterstützt andere Projekte. Er berät die Stadt, ist gefragt als Redner, der für die Anliegen junger schwarzer Männer eintritt. Joe arbeitet als Fahrzeugprüfer und ist Fitnesstrainer. Mit fünf jungen Leuten ist er in besonders engem Kontakt. Über das Internet spricht er mehrmals in der Woche mit ihnen – über ihren Alltag mit der immer präsenten Gewalt. Und jetzt auch über das Coronavirus. Sein Schützling Chick wurde vor kurzem angeschossen. Joe will ihn von der Straße fernhalten, hilft ihm bei seiner Ausbildung. Alles auf Distanz, damit sich bloß niemand ansteckt, aber Joe, inzwischen Vater von drei Kindern, ist es wichtig, alle Regeln zu beachten: "Wir müssen unsere Familien schützen und dürfen nicht egoistisch sein. Viele von uns sind das aber. Es gibt wilde Theorien. Das 5G-Funknetz löse Corona aus. Das Virus sei nur ein Schwindel. Dabei sterben vor allem wir Schwarze daran. Wir müssen Abstand halten."

Kampf gegen die Gewalt in Armenvierteln

Tyrone Parker lacht in die Kamera und hält ein Handy in der Hand.
Über Smartphone und Tablet kommen die Helfer mit ihren Schützlingen in Kontakt. | Bild: NDR

Joe will ein Vorbild sein, das ist ihm sehr wichtig. Ein Vorbild wie Tyrone Parker. Tyrone ist ein Veteran im Kampf gegen die Gewalt in den Armenvierteln von Washington D.C. Seit 29 Jahren versucht er mit seiner Organisation Alliance of Concerned Men, zwischen Gangs zu vermitteln. Er ist froh um jeden Mitstreiter. "Mein Job ist es, Euch zu beraten. Du kannst es umsetzen, mit Deiner Energie", sagt er zu Joe.

Smartphones sind in diesen Zeiten wichtig, weil sich das Coronavirus in den armen Stadtteilen besonders schnell ausbreitet. Mithilfe dieser Technik konnte die Organisation sogar eine Art Waffenstillstand zwischen verfeindeten Gruppen erreichen. Der Anreiz: Wer kein Tablet hat, bekommt eines geschenkt. Dafür müssen alle an festen Gesprächsterminen teilnehmen. Es scheint zu funktionieren, gerade bei den Jüngeren. "Wenn sie mit uns in Kontakt bleiben, dann versprechen wir ihnen Prämien. Wenn sie ein Buch lesen, eine Geschichte schreiben, ein Gedicht aufsagen oder einen Film schauen, dann bekommen sie einen Dollar für jedes Thema, über das sie mit uns reden. Und eins machen sie sicher, sie bleiben hängen, an diesem Gerät", aagt Tyrone Parker.

Inzwischen verteilen Joe Houston und andere Freiwillige auch Masken und Lebensmittel, denn viele hier kämpfen ums Überleben. Noch greifen sie nicht aus purer Not zu Gewalt. Joe hofft, dass das Coronavirus irgendwann überstanden ist, aber die Gewalt unter den Menschen hier, die werde bleiben. Und daran will er etwas ändern.        

Autorin: Claudia Buckenmaier, ARD-Studio Washington

Stand: 03.05.2020 20:41 Uhr

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