SENDETERMIN So., 23.10.22 | 18:30 Uhr | Das Erste

Weltweit: Klimawandel kennt keine Grenzen

Weltweit: Klimawandel kennt keine Grenzen | Bild: WDR

"Die Dürre 2022 in Europa. So sieht sie aus. Das ist der Zicksee, oder besser gesagt, das was davon übrig geblieben ist. Ein See in äußersten Osten Österreichs, kurz vor der ungarischen Grenze. Dieser Steppensee ist seit mindestens 50 Jahren zum ersten Mal ausgetrocknet. Im Juli wurden die Fische noch gerettet. Bei nur wenigen Zentimetern Restwasserstand in einer aufwändigen Aktion. Aber es sieht ja nicht nur hier so aus. In weiten Teilen Europas herrschte in diesem Jahr eine Dürre wie mancherorts seit Jahrhunderten nicht mehr. Und die Ursachen sind vielfältig. Natürlich fehlt der Regen. Aber die Temperaturen waren im Sommer viel zu hoch. Eine Hitzewelle jagte die nächste. In den Alpen fehlte der Schnee, weil es im Winter zu wenig geschneit hat und wir alle haben uns an einen viel zu hohen Wasserverbrauch gewöhnt", erzählt Meteorologe Karsten Schwanke und fährt fort: "Eine Zunahme von solchen extremen Dürreereignissen wird auch bei uns in Mitteleuropa zu Verteilungskämpfen um das kostbare Gut Nass führen. Von diesem österreichischen Zicksee springen wir jetzt in den Norden Mexikos zu Marie-Kristin Boese. Auch dort herrscht Dürre. Aber dort haben heute schon die Probleme und Auseinandersetzungen um das Wasser ganz andere Ausmaße angenommen."

Ungerechte Wasserverteilung in Mexiko

"Das Boot erinnert ein bisschen an bessere Zeiten. Wo ich lang laufe, müsste eigentlich Wasser sein. Theoretisch ist das einer der wichtigsten Stauseen, der die Industriestadt Monterrey mit Wasser versorgen soll. Wir sind im Nordosten Mexikos, etwa zwei Autostunden von der US-Grenze entfernt. Dürren gibt es hier immer wieder, aber so schlimm war die Trockenheit seit Jahrzehnten nicht", sagt Korrespondentin Marie-Kristin Boese.

Weltweit: In Monterrey in Mexiko leben die Menschen bereits mit Wassermangel.
Weltweit: In Monterrey in Mexiko leben die Menschen bereits mit Wassermangel. | Bild: WDR

Im August ist der Stausee nur noch zu vier Prozent gefüllt. Schon seit Jahren regnet es zu wenig. Im Sommer kommt in Monterrey bei Alberto Arreago seit Wochen nichts aus dem Hahn, auch nicht bei den Nachbarn. Tausende brauchen Wasser per Tanklaster. Auf den warten sie, oft stundenlang. "Die sagen nicht Bescheid, wir sehen die Laster und rufen: Hey, das Wasser ist da!", erzählt Alberto Arreago.

Zwei Eimer will Arreago zum Waschen ergattern, zwei zum Kochen. Vielleicht 50 Liter. Jeder schränke sich ein, so gut das gehe – und das bei 40 Grad: "Du musst im Morgengrauen auf der Lauer liegen, dann musst du schnell sein, drei, vier Eimer füllen – sonst hast du kein Wasser."

Expert:innen warnen schon lange, dass Monterrey eine tickende Zeitbombe sei. Die einstige Kleinstadt wuchs rasant. Mehr als fünf Millionen Einwohner:innen brauchen jetzt Wasser. Bei Dürre kollabiert die Infrastruktur, die teils marode ist – in der extrem trockenen Gegend. Die Quittung bekommen die Menschen. Alte und Kranke hoffen auf Hilfe der Nachbar:innen. "Auf jeden Fall brauchst du hier kein Fitness-Studio", sagt Marie-Kristin Boese und Silvia Pinal antwortet: "Ach, das ist echt furchtbar." Während sie anstehen, wächst der Frust: Denn die Wirtschaft muss sich nicht einschränken. "Diejenigen, die Eis produzieren, oder Cola und Bier – die haben ja alle Wasser", erzählt Silvia Pinal weiter.

Und da liegt Mexikos Problem. Die großen Firmen in Monterrey haben private Konzessionen. Sie dürfen Wasser zapfen – der Staat erlaubte das, als Expert:innen bereits vor Wassermangel warnten. Jetzt müsse umgesteuert werden, fordert Biologe Antonio Hernandez. Industrie und Landwirtschaft verbrauchen zu viel. Im Raum Monterrey so viel wie alle Haushalte dort. "Und das spiegelt eine Ungerechtigkeit beim Zugang zu Wasser wider. Also gibt es zweifellos eine ungleiche Behandlung, bei der eben die Bevölkerung die meisten Opfer bringen muss", sagt der Biologe.

Die Trockenheit in Nord-Mexiko sei eine Warnung fürs ganze Land. Eineinhalb Autostunden weiter kann Viehwirt Horacio Garcia seine Rinder kaum ernähren. Auf diesem Acker müsste Gras für sie wachsen. Ausgesät hat er, aber es regnet nicht. "Sind die Tiere jetzt zu dünn? Weil man sieht die Rippen", fragt die Korrespondentin. "Wir haben Angst, dass wir nicht überleben können. Wir hoffen auf Regen", sagt der Viehwirt.

In Notzeiten haben sie bisher Kakteen verfüttert, aber selbst die sind trocken. Ihre Großeltern, die Eltern waren schon Bauern. Doch für die Kinder gebe es keine Zukunft. "Nein! Definitiv nicht. Die müssen sich weiterbilden, damit sie was anderes arbeiten können", erzählt José Alberto Trevino. Ohne schnelle Lösungen sei die Landwirtschaft hier bald am Ende.

Lösung noch nicht gefunden

"Natürlich wird es hier am Zicksee in Österreich nicht immer so aussehen. Wir werden auch wieder Bilder haben, in denen Menschen diese Wasserrutsche herunterrutschen und in denen dieser See voller Wasser ist. Genauso wie auch der Stausee in Mexiko. Und das ist auch nicht verwunderlich. Denn im Zuge des Klimawandels erwarten wir eine Zunahme von Regenfällen weltweit. Denn höhere Temperaturen lassen mehr Wasser aus den Ozeanen verdunsten. Es gibt mehr Wolken, ergo mehr Regen. Allerdings hat diese Geschichte auch einen Haken. Zum Beispiel bei uns in Mitteleuropa. Wir erwarten nämlich dieses Mehr an Regen in den Wintermonaten. Unsere Sommer dürften in Zukunft noch trockener werden. Und das bedeutet, wir brauchen Lösungen weltweit. Bei zwei Punkten: 1. Wo soll in Zukunft das Wasser herkommen und 2. Wie verteilen wir es?", fragt Karsten Schwanke.

"In Monterrey, in Nordmexiko, suchen Politik und Wirtschaft fieberhaft nach Lösungen. Sie spenden Wasser oder bohren wie hier sogar einen Brunnen", erzählt Marie-Kristin Boese. Aber erst nach massivem Druck. Mexikos Präsident hatte gedroht: Getränke-Hersteller dürften sich nicht mehr hier ansiedeln. Also bemüht man sich um Schadensbegrenzung. Eine Brauerei lässt bohren, stellt Material und Arbeiter:innen. Das Wasser fließe ins öffentliche Netz. "Wir wollen empathisch und solidarisch sein. Es gibt Menschen, denen wir die Hand reichen müssen. Und was sie brauchen, ist Wasser und kein Streit um Zahlen", sagt Jesus Francisco Lopez Molina von der Wirtschaftskammer CAINTRA.

Immer mehr, immer tiefere Brunnen, nachhaltig sei das nicht, sagen Kritiker:innen. Zumal Monterrey weiter wächst. 2030 könnten schon acht Millionen Menschen im Großraum leben. Alberto Arreago und seine Schwester versuchen umzudenken. Spontan das Auto waschen oder den Garten wässern, das gehe eben nicht. "Da kommt gar nichts raus, gar nichts – nicht mal Luft", sagt Alberto Arreago. Also wird erst gewischt, der Rest kommt an die Pflanzen. Letztlich eine Frage der Erziehung, finden die beiden: "Uns ist klar: Wir können in Zukunft nicht mehr so leben wie bisher."

Wie sieht Monterreys Zukunft aus? Zur Hochzeit der Dürre steuert ein Krisenstab die Tanklaster, die die Viertel mit Wasser versorgen. Das soll das Chaos lindern. Langfristig aber helfe nur: neue Infrastruktur, neue Brunnen – und weniger Verbrauch: 100 Liter pro Tag, pro Kopf statt bisher fast 200 – das sei das Ziel. "Wir wollen Wasser wiederverwenden, zum Beispiel Regenwasser behandeln. Aber ganz elementar ist natürlich, dass Bürger:innen und die Industrie das Wasser effektiver nutzen", sagt Juan Ignacio Barragán Villarreal, Director de Servicios de Agua y Drenaje de Monterrey.

Gesucht sind viele kleine Lösungen. Einige Schulen fangen Regenwasser auf, das gefiltert genutzt wird, 5.000 Liter pro Tank. Und auch die Bauern im Umland versuchen, sich anzupassen. Der Fluss führt gereinigtes Abwasser aus der Stadt, mit dem sie einige Felder beregnen dürfen. Melonen, die viel Wasser speichern, können sie damit nicht mehr anbauen. Aber Weizen, Bohnen und Hirse. Mehr aufbereitetes Wasser – das sehen sie als Chance. "Ich denke, das Problem ließe sich lösen, wenn die Politiker:innen wirklich wüssten, wie wir arbeiten, welche Getreide und Früchte wir anbauen, wie viele Menschen davon abhängig sind. Dann könnte man das Problem lösen", sagt José Alberto Trevino. Viel Zeit bleibt allerdings nicht. Alle wissen, dass sie in Zukunft mit Dürren leben müssen.

In Österreich verschiebt sich die Erntezeit

"Nicht nur in Mexiko sondern auch hier im Osten Österreichs machen sich die Landwirte Gedanken, was sie dieser Dürre entgegensetzen können", erzählt Karsten Schwanke, "Josef Umathum ist Winzer hier in der Region. Herr Umathum, wie erleben Sie die Dürre dieses Jahres 2022?"

"Es gab es aus meinem Gedächtnis noch nie und selbst wenn ich meinen Vater frage, der über 94 ist, der kann sich auch an so etwas noch nie erinnern. Also, was man hier sehr schön sieht: Tendenziell sind heuer die Beeren viel, viel kleiner als in anderen Jahren durch die Trockenheit. Und einzelne Beeren beginnen bereits wie Rosinen zu schrumpfen", erzählt der Winzer.

Weltweit: Auch die Trauben werden durch die Trockenheit immer kleiner.
Weltweit: Auch die Trauben werden durch die Trockenheit immer kleiner. | Bild: WDR

"Das ist ja nun das Ergebnis des extrem trockenen Jahres in diesem Jahr. Aber wie erleben Sie denn eigentlich den Klimawandel in Ihren Weinbergen über die Jahrzehnte hinweg?", fragt der Meteorologe. "Der Erntezeitpunkt verschiebt sich in der Regel pro zehn Jahre um eine Woche nach vorne", sagt Josef Umathum. "So viel?", fragt Karsten Schwanke nach und der Winzer antwortet: "Wenn wir in den 70er, 80er Jahren hier in der Region noch Mitte Oktober mit der Haupternte begonnen haben, ist es heute durchaus Anfang September, wenn nicht wie in diesem Jahr wahrscheinlich schon Ende August."

"Ich sehe jetzt hier Wasserleitungen. Würden die Weinstöcke hier ohne Bewässerung gar nicht mehr funktionieren?", will der Meteorologe vom Winzer wissen: "Hier hatten wir früher das Grundwasser auf zweieinhalb bis drei Meter, das erreichen sie auf jeden Fall. Aber in den letzten Jahren ist der Grundwasserspiegel auf fünf bis acht Meter gefallen. Das heißt, dieser plötzliche Abfall des Wassers da schaffen es die Reben nicht mehr so schnell hinterher zu wurzeln. Und hier tropft eineinhalb Liter Wasser in der Stunde herunter. Sehr effektiv, weil es kaum eine Verdunstung gibt und der Tropfen direkt zur Pflanze kommt. Also man macht ein nasses Band unter den Reben und man kann mit wenig Wasser einen sehr guten Effekt erreichen."

"Das, was wir jetzt sehen, die Auswirkungen in diesem Jahr der Trockenheit, das Absinken des Grundwasserspiegels, von dem Sie geredet haben: Das ist ja aus Sicht des Klimawandels gerade erst der Anfang. Es wird ja weitergehen, es hört ja nicht auf. So wie wir uns gerade bewegen auf der Welt, wo geht das hin, wie kann man dem entgegenwirken?", fragt Karsten Schwanke und Josef Umathum antwortet: "Also wir müssen massiv damit beginnen, einerseits eine Aufforstung zu machen, in unserem Gebiet. Das heißt, tausende, wenn nicht Millionen Bäume und Sträucher zu pflanzen, die Parzellen kleinräumiger machen, damit der Wind nicht angreifen kann. Wir müssen die Böden wieder "füttern". Das wichtigste Prinzip der Landwirtschaft ist: Füttere den Boden und nicht die Pflanzen. Und das haben die Bauern vergessen. 20, 25 verschieden Arten von Pflanzen werden gesät zwischen den Rebzeilen, damit hat man einerseits eine Beschattung des Bodens, eine Abkühlung, und er trocknet nicht so schnell aus. Das braucht zwar Wasser, aber insgesamt im Jahresschnitt bin ich auf jeden Fall besser dran. Und ich kann gleichzeitig die Biodiversität fördern. Das heißt, hier gibt es mehr Insekten, mehr Käfer, mehr Lebendigkeit. Und sollte – wir hoffen das – ein kräftiger Regenguss kommen, dann kann das auch das Wasser gut aufspeichern und halten. Also ich schaffe hier Potenzial, um auch längere Trockenperioden besser überbrücken zu können."

"Das ist ja eigentlich eine ganz klare Logik, was sie gerade erzählt haben. Machen das alle anderen Kollegen auch?", will der Meteorologe wissen. "Es sind maximal zehn Prozent der Weinbergsflächen so begrünt wie hier. Die meisten machen das leider nicht. Weil man immer noch in dem Denken drin ist, jede andere Pflanze bringt eine Konkurrenz. Man muss auch hier Rückschlüsse ziehen auf das Soziale. Man muss auch hier denken: Alleine bin ich nichts, aber gemeinsam sind wir stark. Und genauso funktioniert es auch mit den Pflanzen."

"Ein besseres Schlusswort hätte ich nicht finden können. Es ist eine Herausforderung, die uns alle angeht. Damit wir alle gemeinsam den Folgen, die in den nächsten Jahren, Jahrzehnten auf uns zukommen, etwas entgegensetzen können", sagt Karsten Schwanke.

Autoren: Karsten Schwanke und Marie-Kristin Boese

Stand: 23.10.2022 20:46 Uhr

0 Bewertungen
Kommentare
Bewerten

Kommentare

Kommentar hinzufügen

Bitte beachten: Kommentare erscheinen nicht sofort, sondern werden innerhalb von 24 Stunden durch die Redaktion freigeschaltet. Es dürfen keine externen Links, Adressen oder Telefonnummern veröffentlicht werden. Bitte vermeiden Sie aus Datenschutzgründen, Ihre E-Mail-Adresse anzugeben. Fragen zu den Inhalten der Sendung, zur Mediathek oder Wiederholungsterminen richten Sie bitte direkt über das Kontaktformular an die ARD-Zuschauerredaktion: https://hilfe.ard.de/kontakt/. Vielen Dank!

*
*

* Pflichtfeld (bitte geben Sie aus Datenschutzgründen hier nicht Ihre Mailadresse oder Ähnliches ein)

Kommentar abschicken

Ihr Kommentar konnte aus technischen Gründen leider nicht entgegengenommen werden

Kommentar erfolgreich abgegeben. Dieser wird so bald wie möglich geprüft und danach veröffentlicht. Es gelten die Nutzungsbedingungen von DasErste.de.