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USA: Atomtest-Opfer machen mobil

USA: Atomtest-Opfer machen mobil | Bild: dpa / picture-alliance

Die Welt im Zwiespalt: Putin in Schach halten, das geht nur mit dem nuklearen Arsenal der NATO – doch die Folgen eines Atomkriegs? Trotz verfeinerter taktischer Atomwaffen undenkbar – sagt auch Bill Reynolds, der nur noch wenige Monate hat, um die Welt vor den Folgen zu warnen. Er ist ein sogenannter "Downwinder". In den 50er und 60er Jahren testeten die USA in der Wüste Nevadas Atombomben. Der Wind trug die Strahlung direkt in das kleine Tal im Norden, wo Bill aufwuchs. Jetzt hat er Krebs im Endstadium, er kämpft gegen den Atomkrieg und für eine Entschädigung. Der Mann aus Idaho sieht sich als Opfer des Kalten Krieges: allerdings habe ihn sein eigener Staat umgebracht, nicht Russland.

Als Kind durch Atomtests verstrahlt

Opas Geschichte, erzählt in Zeitungsausschnitten. Bill Reynolds sammelt sie in einem Album, gemeinsam mit seinem Enkel Ian und Schwiegertochter Misty. Ständig hat er das aufgeschoben – jetzt drängt die Zeit. Bill hat Krebs im Endstadium; die Ärzte geben ihm nur noch wenige Monate. "Wenn ich sterbe, möchte ich dies meinen Kindern hinterlassen. Und vor allem meinen Enkeln. Die sind jetzt noch zu jung, um zu verstehen, was mit mir passiert ist. Jetzt können sie damit noch nichts anfangen, aber vielleicht ja eines Tages."

Bill Reynolds mit seinem Enkel
Bill Reynolds will seine Geschichte an die Nachkommen weitergeben  | Bild: SWR

Bill ist ein sogenannter "Downwinder", ein Opfer der Atomtests seiner eigenen Regierung in den 50er und 60er Jahren – damals, als er Kind war. Die radioaktive Strahlung zog hunderte Meilen weit, kam auch in seinem Dorf in Idaho nieder. Erfahren hat er das erst, als der erste Krebs diagnostiziert wurde. "Mein Arzt sagte: sie waren einer Atom-Explosion ausgesetzt. Und ich sagte: Atom-Explosion? Ich war nie in der Nähe von so etwas. Da erzählte er mit von den "Downwindern" und alles fügte sich zusammen – meine ganze Familiengeschichte. Meine Mutter lebte von fünf Geschwistern am längsten – und sie wurde gerade einmal 47!"

Mehr als zehn Jahre kämpft Bill nun schon gegen den Krebs. Seine Ersparnisse für die Rente – längst aufgebraucht; ausgegeben für Medikamente und Arztrechnungen. Jetzt bekommt er die teuersten Medikamente kostenlos. Eine Entschädigung der Regierung hat er nie erhalten. "Ich bin furchtbar wütend auf meine Regierung. Egal, ob sie damals um die Gefahr wussten oder nicht – die Regierung hat mir das angetan."

1960er Jahre: Radioaktiver Niederschlag belastet die Umwelt

Mehr als 1.000 Atombomben hat die US-Regierung zu Testzwecken gezündet, den Großteil davon hier, in der Wüste Nevadas. Oftmals, wenn der Wind Richtung Norden zog – weg von Las Vegas und den Metropolen Kaliforniens. Hin Richtung dünn besiedelter Gebiete im Norden – und damit auch zu Bill nach Idaho. Bills Eltern und andere Erwachsene stiegen manchmal sogar auf die umliegenden Berge, um den Atompilz zu bewundern. "Sehen sie den Turm da oben? Da stiegen sie hinauf. Vermutlich tranken sie ein Bier und sahen sich die farbenfrohe Atom-Explosion an." Bills Heimatort liegt in einem Talkessel im Gem County. Als Ende der 90er die Strahlenbelastung gemessen wurde, war diese Gegend die am dritt-höchsten belastete der ganzen USA. Der radioaktive Niederschlag damals legte sich auf Obst, Gemüse, die Tiere.

Arzt untersucht Bill Reynolds
Ihm bleiben nur noch ein paar Monate zum Leben | Bild: SWR

Was das mit den Menschen machte, sieht auch Dr. Chawla. Er ist Bills Onkologe; seit dessen erster Arzt in Rente ging. Erst vor ein paar Jahren zog Chawla in diese Gegend, bemerkte die vielen Krebsfälle sofort. "Ich habe vorher in Chicago praktiziert. Da sah ich vielleicht zwei Fälle von Schilddrüsen-Krebs in fünf Jahren. Und hier hatte ich gleich in den ersten sechs Monaten fünf solcher Fälle. Das war ein kompletter Schock." Bei Bill sitzt der Krebs unter anderem in den Knochen, im Blut, in der Prostata. Heilen kann ihn der Arzt nicht mehr; nur: ihm so viel Zeit wie möglich schenken.

2022: Angst vor einem Atomkrieg

Zehn Autostunden weiter südlich: Las Vegas. Bekannt für seine Shows und Casinos. Doch auch der Sitz des "Nationalen Atomtest-Museums". Besucher aus den ganzen USA kommen hierher, um sich über die Geschichte der Entwicklung der amerikanischen Atombombe zu informieren. Auch dem Hype um die neue Technologie in den 50ern ist eine Ausstellung gewidmet. Keiner der Besucher, die wir hier sprechen, ist für Atombomben – aber manche sehen deren Nutzen. "Wenn du selbst nicht mit einem Vergeltungsschlag drohen kannst, bist du leicht angreifbar", meint Michael Clark. "Das ist eine Waffe, die man nie einsetzen aber durchaus besitzen sollte." Und Shakia Sullivan sagt: "Ich verstehe das Argument, dass man die Bombe braucht, weil andere sie haben. Aber es sollte sie eigentlich gar nicht geben, weil das für niemanden gut ist."

Bill Reynolds auf Friedhof
Bill Reynolds warnt vor den Gefahren der Atombombe

Dieser Ansicht ist auch Bill. Zu viele geliebte Menschen hat er bereits infolge der Atomtests verloren. Deshalb macht es ihm Angst, wenn er in diesen Tagen die Nachrichten verfolgt. Und auch deshalb ist es ihm so wichtig, seine Geschichte bis zuletzt zu erzählen. "Ich will, dass jeder von meiner Geschichte hört. Und begreift, wie gefährlich radioaktive Strahlung ist. Gerade jetzt mit dem Konflikt um die Ukraine, und weil Putin ist, wie er ist. Wer weiß, ob er nicht doch eine Atombombe einsetzt, um den Krieg zu gewinnen." Diese Vorstellung quält Bill. Vor allem, wenn er an seine Kinder und seine Enkel denkt. Die Atombombe hat sein Leben zerstört. Sie soll nicht auch noch ihr Leben zerstören.

Autorin: Kerstin Klein, ARD-Studio Washington

Stand: 10.04.2022 21:03 Uhr

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