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Ukraine: Innenansichten nach mehr als sieben Monaten Krieg

Ukraine: Innenansichten nach mehr als sieben Monaten Krieg | Bild: picture alliance / Photoshot |

Fahrt in eine Stadt, die mehr als vier Monate unter russischer Besatzung stand: Anfang Oktober erst wurde Lyman befreit, ein wichtiger Knotenpunkt für den Transport von Nachschub. Allerdings bedeutet die militärische Befreiung nicht das Ende. Den Beschuss hören die Menschen in Lyman weiter. Nur um wenige Kilometer hat sich die Front von hier wegbewegt, zurück bleibt Verwüstung: fast alle Gebäude sind zerstört, der Wiederaufbau wird Jahre dauern. Und doch sind sie dankbar, dass Alltägliches wieder möglich ist: Ljudmila kann sich frei in ihrer Stadt bewegen. Ljudmila berichtet uns von heftigem Beschuss, teilweise über sechs Stunden am Tag, ununterbrochen. Menschen, die sie kannte, Nachbarn, Freunde, haben ihr Leben verloren, an Orten, die vermeintlich sicher schienen.

Ein paar Straßen weiter treffen wir auf Nadjeschda und ihren Mann Wolodymyr. Die beiden hatten über Monate mit kaum jemandem Kontakt, sagen sie, waren die ganze Zeit in ihrer Wohnung. Auch Nadjeschdas Bruder wurde getötet. Obwohl es ihnen schwerfällt, versuchen Wolodymyr und Nadjeschda ihr Leben wieder in die eigenen Hände zu nehmen: "Wir bereiten das Brennholz für den Winter vor. Niemand weiß, ob wir bis dahin wieder Strom haben, ob wir heizen können. Wir fahren auf unsere Datscha und werden dort überwintern."

Ein harter Winter vor der Tür

Alle im Land rechnen mit einem schweren Winter. Sie versuchen, so gut es geht, durchzukommen, wissen aber auch, dass es ohne funktionierende Energieversorgung hart wird, nicht nur in den befreiten Gebieten, denn Russland schießt mit Raketen auf die gesamte Ukraine – von Ost bis West. Allein in dieser Woche gab es dutzende Angriffe auf Strom- und Wärmekraftwerke. Auch in Teilen der Hauptstadt Kyjiw ist der Strom zwischenzeitlich ausgefallen.

Der Chef des ukrainischen Energieversorgers spricht von den größten flächendeckenden Angriffen der Geschichte auf die kritische Infrastruktur eines Landes: "Ich denke, dass russische Energieingenieure dem russischen Militär helfen. Diese Leute sind ebenso kriminell, wie das russische Militär." Er wirft seinen ehemaligen Kollegen vor, sie würden gezielt alle Koordinaten für Angriffe herausgeben, denn nur einige Stunden vor Beginn der russischen Invasion hat die Ukraine das gemeinsame Energiesystem mit Russland und Belarus verlassen.

In Jampil ist die Situation schwierig: "Wir haben keinen Strom und kein Internet", erzählt uns Aljoscha. "Aber wir haben mit einem Generator überlebt." Jampil ist ein Dorf in der Region Donezk, direkt neben Lyman, auch erst vor wenigen Wochen befreit. “Hier leben Menschen” haben die Bewohner mit Kreide auf Tore und Zäune geschrieben, in der Hoffnung, verschont zu werden. Sie leben als Selbstversorger, abgeschieden, auf diesem Hof. Plötzlich waren sie mitten im Krieg. Und die Kinder sprechen über Kämpfe, als wäre es etwas Normales – ein Trauma, das sie ihr Leben lang begleiten wird.

Autoren: Rebecca Barth und Vassili Golod, ARD Kiew

Stand: 16.10.2022 19:43 Uhr

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