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Türkei /Nordsyrien: Erdogans Krieg

Türkei /Nordsyrien: Erdogans Krieg  | Bild: imago

Der Krieg findet auch Zuhause in der Türkei statt. Privatpersonen, Journalisten, selbst Parlamentarier, die sich öffentlich kritisch zum Einmarsch der türkischen Armee in Nordsyrien äußern, landen schnell vor Gericht. Der Vorwurf: "Öffentliche Beleidigung der Republik Türkei". 

Dabei gibt es genügend Anlass, kritisch auf die türkische Militäroperation in Nordsyrien zu blicken. Dort kämpft das Militär Seit an Seit mit dschihadistischen Verbänden gegen die kurdische Miliz YPG. Nach Augenberichten kam es dabei vielfach zu Kriegsverbrechen wie die grausame Ermordung einer kurdischen Frauenrechtlerin oder dem brutalen Angriff auf einen zivilen Konvoi, bei dem zahlreiche Zivilisten womöglich absichtlich getötet wurden.

Dazu auch der Weltspiegel-Podcast. "Erdogans Offensive. Wie der Krieg in Nordsyrien die ganze Region ins Chaos stürzt."

Kritischer Journalismus gilt als "Volksverhetzung"

 Diese Bilder gehen seit Tagen um die Welt: Rauch und Explosionen in nordsyrischen Städten, türkisches Militär im heftigen Kampf gegen die kurdische Miliz YPG – die mit Granaten-Beschuss reagiert. Tote und Schwerverletzte auf beiden Seiten der Grenze. Hakan Demir berichtet über all das. Er ist Onlinechef der Tageszeitung BirGün, eines der letzten kritischen Print-Medien in der Türkei. Einen Tag nachdem die türkische Regierung die Militäroffensive startet, wird er plötzlich festgenommen. "Am Tag als die Operation begonnen hat, haben wir auf unsere Internetseite natürlich darüber berichtet. Noch in der gleichen Nacht, so gegen 4 Uhr morgens kam die Polizei zu mir nach Hause und hat mich festgenommen. Zunächst wurde mir kein Grund genannt, sie haben mich auf die Wache mitgenommen. Erst später, kurz bevor ich zum Staatsanwalt gebracht wurde, habe ich erfahren, worum es eigentlich geht."

Screenshot der Onlineausgabe der Zeitung Birgün
Die Tageszeitung BirGün berichtet kritisch über die Offensive der Türkei  | Bild: SWR

In seinem Artikel schreibt Demir auch über einen vermeintlichen Luftangriff der Türkei auf Zivilisten in Nordsyrien, beruft sich dabei auf einen amerikanischen Sender, der wiederum die sogenannte SDF zitiert, zu denen die YPG gehört. Für die türkische Staatsanwaltschaft ist das "Volksverhetzung". Demir wird zwar freigelassen, doch nun wird gegen ihn ermittelt. Unabhängiger und kritischer Journalismus, sagt er, sei unerwünscht. "Wenn man sich im türkischen Fernsehen die Berichterstattung über die Operation ansieht, könnte man denken, es wird über ein Länderspiel berichtet. 'Wir schlagen sie, wir sind ihnen überlegen'…Man sieht, dass das kein Journalismus ist. Ein Beispiel: Der Reporter eines regierungsnahen Senders berichtet kniend darüber, dass gerade über ihn hinweg geschossen werde. Auf einem anderen Bild sieht man den Reporter des öffentlich-rechtlichen Senders ruhig danebenstehen, während er berichtet. Es ist eine Inszenierung durch die türkischen Medien."

Dort gibt es derzeit fast kein anderes Thema mehr: In stundenlangen TV-Sondersendungen wird kommentiert und vor allem spekuliert. Nachrichten, die mehr einem Kriegs-Blockbuster gleichen – mit dem einheitlichen Tenor: Der notwendige Kampf gegen Terroristen. 

Brutale Milizen im türkische Auftrag

Schreckensbilder von einer Überlandstraße durch Nordsyrien. Milizen feuern auf ihre wehrlosen Opfer, aus kurzer Distanz. Kurden sagen: Diese Männer schießen im Dienste Erdogans. Gleicher Tag, gleiche Straße. Die kurdische Politikerin Hevrin Khalaf wird überfallen, schwer misshandelt, exekutiert. Unabhängig bestätigt sind diese Bilder nicht. Es ist wohl das brutale Werk der Miliz Ahrar al Scharqija. "Es passt genau ins Profil der Ahrar al Scharquija, dass sie Kurden umbringen, dass sie auch ihre Gefangene umbringen", sagt Guido Steinberg von der Stiftung Wissenschaft und Politik. "Es sind Kurdenhasser, es sind Islamisten, ihre Motivation ist ideologisch."

Ahrar al Scharqija ist berüchtigt. Im Internet kursieren martialische Videos. Sie sind Teil der Allianz, die gegen die Kurden kämpft. Mehrere Milizen, darunter Islamisten, Dschihadisten, sagt der Experte. Ankara finanziere sie, rüste sie aus. Und trage womöglich die Konsequenzen. "Die Türkei könnte Verantwortung für ihre Verbrechen tragen. Vorausgesetzt, Ankara hatte Kontrolle über die Gruppe Ahrar al Scharqija, als diese Verbrechen beging", erklärt Rupert Colville von der UNO in Genf.

Angriffe auf Zivilisten

Soldaten mit Gefangenen in Handschellen
Den Milizen wird vorgewofen, Gefangene zu töten | Bild: SWR

Afrin 2018. Schon damals halfen Milizen der Türkei, beim Angriff auf die syrische Stadt. Auch Ahrar al Scharqija. Die Miliz soll getötet, gefoltert haben. Die Kurden fürchten, das könnte sich wiederholen. Auch jetzt häufen sich Berichte über zivile Opfer. Wie am 13. Oktober, bei Ras al-Ain. Ein Auto-Konvoi wird von einem Luftschlag getroffen, mutmaßlich von türkischem Militär. Es gibt mehr als 10 Tote, 70 Verletzte. Stephanie Perez, französische Journalistin, war Teil der Kolonne. Es war eindeutig KEIN militärischer Konvoi, berichtet sie uns per Whatsapp. Waren also absichtlich Zivilisten das Ziel? "Das weiß ich nicht", schreibt Perez. "Ich kann überhaupt nichts bestätigen. Das einzige, was ich sagen kann ist, dass man sah, dass wir Zivilisten sind."

Rupert Colville von der UNO in Genf sagt dazu: "Werden Zivilisten absichtlich angegriffen, ist das nach internationalem Recht ein Verbrechen." Genau das untersucht nun die UN. Klar ist: Erdogans Allianz ist fragwürdig. Gefangene töten, gehöre für diese Milizen zum Repertoire. "Sie sehen es auch als ihr Recht an, diese Leute zu foltern, wir müssen also damit rechnen, wenn die Türkei ihre Kontrolle mit Hilfe der syrischen Milizen ausweitet, weitere Verbrechen folgen.", so Guido Steinberg von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Der türkische Präsident könnte seine arabischen Hilfstruppen stoppen. Doch bisher deutet nichts darauf hin.

Stand: 21.10.2019 11:37 Uhr

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