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Türkei: Tod durch Pfusch am Bau

Ein Hotel in Hochglanz - im Internet: Stolz präsentiert sich das "Isias" in der 300.000 Einwohner-Stadt Adiyaman als gehobenes Vier-Sterne-Gästehaus…
6. Februar, vier Uhr 17: In Adiyaman bebt die Erde, Uhren bleiben stehen. Binnen Sekunden wird die Nobelherberge zu einer Todesfalle. Insgesamt 65 Menschen werden hier von Trümmern erschlagen - darunter 35 Kinder im Schulalter, ein Volleyball-Team. Für ein Spiel kamen sie aus Famagusta in Nordzypern. Obwohl mehr 500 Kilometer entfernt, war das große Beben im türkisch-syrischen Grenzgebiet sogar hier zu spüren.

Wenige Tage später treffen auf Zypern 35 Kindersärge gleichzeitig ein. Fast die ganze Insel nimmt daran Anteil. Sofort steht der Vorwurf im Raum: Nicht Naturgewalt allein, sondern auch Pfusch am Bau sei schuld am Tod der Kleinen. Die Rechtswissenschaftlerin Nurcan Gündüz hat in Adiyaman Kinder von Freunden und eigene Verwandte verloren. Jetzt hilft sie den betroffenen Eltern sich zu vernetzen und betreibt eine Anklage gegen die Besitzer des "Isias"-Hotels: "Seine Kinder zu verlieren, in so kurzer Zeit, mit einer derartigen Sinnlosigkeit, das kann man nicht akzeptieren. Es ist ein großer Schock, ein schwerer Schlag für uns und wir müssen erkennen, dass wir werden kämpfen müssen.“

Das Hotel "Isias" in Adiyman: Inzwischen sieht es so aus. Das Gelände ist weitgehend geräumt. Nur noch wenig deutet darauf hin, dass hier einmal ein Hotel stand, dass hier gestorben wurde. Gut deshalb, dass Baugutachter aus Zypern kurz nach dem Beben bereits hier waren, und Proben aus dem Trümmerhaufen nehmen konnten. Der zyprische Baugutachter Gürkan Yagioglu hat die Untersuchung in Adiyaman geleitet. Er sagt uns: Das Baumaterial des "Isias" war minderwertig, der Beton schlecht. Auch fehlte es an Stahl. Selbst ein schwächeres Beben hätte keinen Stein des Hotels auf dem anderen gelassen. Für die ganze Türkei sieht Gürkan Yagioglu zudem ein grundsätzliches Problem: Die Regierung wollte schnelles Bauen fördern, freie Fahrt für die Baubranche ermöglichen – fast um jeden Preis.

Einzelfälle oder System?

Der Fall des Hotels "Isias" – ist er ein Einzelfall oder nur die Spitze eines Eisbergs in der Türkei? Sind Tausende Menschen Opfer von grober Fahrlässigkeit und Gier geworden? Vieles spricht dafür.
Wir wollen mit Nachbarn des Hotels reden. Keiner aber will vor die Kamera. Man spürt: Angst geht um. Die Besitzer des "Isias" sind Angehörige einer in Adiyman mächtigen Familie mit besten Verbindungen zur islamisch-konservativen Regierung. Schließlich aber spricht doch jemand mit uns. Taifun Tasdan: "Soweit ich weiß, hatte das ‚Isias‘-Hotel nicht einmal eine Betriebserlaubnis und sie haben aufgestockt. Das Gebäude allerdings war neu!"

Zurück nach Zypern: Die Schule der 35 getöteten Kinder in Famagusta. Nurcan Gündüz will bis zur letzten Instanz vor Gerichte ziehen. Vertraut sie dem türkischen Rechtssystem? "Politischer Druck von oben beeinflusst die Rechtsprechung in der Türkei außerordentlich, was für uns eine unerwünschte Situation schafft. Diese macht uns hinsichtlich des Ausgangs des Falles nervös!"

Die vier Eigentümer des "Isias" wurden inzwischen festgenommen – vier Festnahmen von Türkei-weit 184. Wegen Pfusch am Bau und fehlender Bau-Aufsicht laufen mehr als 600 Ermittlungsverfahren. Die Aufarbeitung des großen Bebens in der Türkei: Es könnte ein juristisches und sogar ein politisches Beben nach sich ziehen – für Mai sind Wahlen angesetzt.

Autor: Michael Schramm, ARD Istanbul

Stand: 26.02.2023 18:59 Uhr

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