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Tibet: Tödlicher Protest

Tibet: Tödlicher Protest | Bild: SWR

Lobsang Tsultrim beschließt mit 22 Jahren sich selbst zu töten. Er ist Mönch in einem tibetischen Kloster. Als er auf einem öffentlichen Platz in der chinesischen Provinz Öl über sich gießt und sich anzündet, ruft er laut nach dem Dalai Lama, dem religiösen Oberhaupt der Tibeter. Chinesische Polizisten ersticken die Flammen, aber Lobsang stirbt. Allein in diesem Jahr haben sich fast 20 Tibeter öffentlich selbst in Brand gesetzt als Protest gegen die poltische und religiöse Unterdrückung in China. Insgesamt starben so bereits über 120 Tibeter. Die chinesischen Behörden reagieren hart. Wer Fotos von Selbstverbrennungen macht und weiterleitet wird bestraft. Angebliche Hintermänner der Proteste werden in diesen Wochen  in Schauprozessen zu drakonischen Haftstrafen verurteilt, manche sogar zum Tod.

Christine Adelhardt, ARD Peking

Tsering Woeser
Die Bloggerin Tsering Woeser kritisiert den Umgang der chinesischen Behörden mit den Selbstverbrennungen  | Bild: SWR

Sie sterben einen grausamen Tod. Sie sterben öffentlich. mitten in der Stadt oder draußen auf dem Land. Es sind Mönche und gewöhnliche Bürger. Männer und Frauen. „Die Selbstverbrennungen sind eine Fortsetzung der Proteste von 2008“, sagt die tibetische Bloggerin Tsering Woeser. „Damals gab es Demonstrationen und Ausschreitungen in Lhasa und den angrenzenden Provinzen. Die chinesische Regierung hat sie blutig niedergeschlagen. Massendemonstrationen waren danach nicht mehr möglich. Es blieb nur individueller Protest, aber selbst der wurde hart bestraft. Und dieser stille Protest wurde nicht bekannt. Jetzt verbrennen sich die Menschen, weil nur noch das möglich ist und Aufmerksamkeit erregt.“ Aber die Repressalien würden dadurch nur noch schlimmer. Die berühmte tibetische Bloggerin reist immer wieder von Peking aus in ihre Heimat, sammelt Informationen für ihre Webseite, die in China gesperrt ist. Mehr als 110 Menschen haben sich bislang selbst verbrannt.

Lobsang Tsultrim
Der 22jährige Lobsang Tsultrim hat sich im März selbst angezündet | Bild: SWR

Lobsang Tsultrim ist einer von ihnen. 22 Jahre. Mit acht geht er ins Kloster. Seine Eltern sind Viehzüchter. Ein junger Mann, der Pferde liebt und den Dalai Lama. „Immer wenn ich aus den USA mit ihm telefoniert habe, hat er mich gefragt wie es dem Dalai Lama geht“, erzählt seine Tante Tsering Kyi. „ Ich wollte darüber nicht reden, weil ich weiß dass die Regierung meine Familie in China überwacht. Ich habe ihm immer nur gesagt: dem Dalai Lama geht es gut. Mehr nicht.“ Am 16. März 2012 zündet sich Lobsang an: eine menschliche Fackel, die durch die Straße rennt und nach dem Dalai Lama ruft. Polizisten mit Feuerlöschern ersticken die Flammen. Drei Tage später er. Ein tibetisches Begräbnis verweigert die Regierung, verbrennt den Leichnam. Den Eltern bleibt nur seine Asche. „Zuerst hat die Regierung die Opfer schlecht gemacht, hat behauptet, sie hätten familiäre Probleme oder seien geistig verwirrt“, sagt die tibetische Bloggerin Tsering Woeser. Aber es haben sich nicht nur 10 verbrannt, sondern jetzt sind es mehr als 100. Verleumdungen allein reichen als Erklärung nicht mehr aus. Jetzt behauptet die Regierung, die Menschen würden von Extremisten, angestiftet.“

Brennender Mensch
Mehr als 110 Menschen haben sich bislang selbst verbrannt | Bild: SWR

Was hat Lobsang wirklich in den Tod getrieben? Wer erfahren will, was tatsächlich in den tibetisch besiedelten Gebieten vorgeht, der kommt nicht weit. Die Aufpasser der Regierung verfolgen Journalisten Überwachen jeden Schritt. Schüchtern Menschen ein, nur ja nicht mit den Reportern zu sprechen. Die Klöster streng überwacht. In den Klöstern arbeiten Spitzel. Wer mit Fremden spricht riskiert viel. Im schlimmsten Fall droht Gefängnis. „Hier in die Gegend kommen viele Touristen. Aber wir Tibeter profitieren davon nicht“, meint ein Mönch „Die Han Chinesen machen die Geschäfte und sind uns feindlich gesinnt. Das Geld der Touristen geht an die Regierung und in der Regierung sind nur Han Chinesen.“

Offiziell gibt es kein Problem zwischen Han Chinesen und Tibetern. Offiziell leben in China alle Völker in Harmonie. Ethnische Konflikte sind für die Regierung weniger eine Menschenrechts- als eine Machtfrage. Denn „Tibet“, das ist nicht nur die autonome Provinz selbst. Rund um Tibet erstrecken sich die tibetisch besiedelten Gebiete: die chinesischen Provinzen Qinghai, Gansu, Sichuan. Vor allem hier finden die Proteste statt. Die chinesische Regierung sieht die Stabilität der Region, gar des Landes in Gefahr. „Die Selbstverbrennungen sind eine große Schande für die chinesische Regierung“, meint die Bloggerin Tsering Woeser. „Jahrelang hat sie behauptet die Tibeter seien glücklich, ihr Leben habe sich zum Besseren verändert. Aber viele der Opfer waren einfache Bürger. Junge Menschen, die den Dalai Lama noch nie gesehen haben. Das muss die Regierung jetzt irgendwie erklären“

Lobsang Gongchok
Lobsang Gongchok wurde wegen angeblicher Anstiftung zur Selbstverbrennung zum Tode verurteilt  | Bild: SWR

Lobsang hat sich verbrannt, weil er dazu angestiftet wurde, behauptet die Regierung. In einer Dokumentation des staatlich kontrollierten Fernsehens werden die angeblichen Täter präsentiert. Er soll den jungen Mann überredet haben: Lobsang Gongchok. Ein Mönch des Kirti Klosters. „Ich habe gesagt, die die sich selbstverbrennen sind Helden für die tibetische Sache. Sie tun das nicht für sich, sondern sie sterben für das Wohl andere“, so Lobsang Gongchok in der Fernseh-Dokumentation. Hinter ihm steht angeblich ein Netzwerk von Extremisten, die ihre Befehle aus Indien erhalten dem Sitz der tibetischen Exilregierung. Gongchok wird der Prozess gemacht. Das Staatsfernsehen berichtet ausführlich. Ein scheinbar rechtsstaatliches Verfahren. „Die Verdächtigen haben keine Mühe gescheut unschuldige Menschen zu Selbstverbrennungen anzustiften, um so zusammen mit der Dalai Lama Clique China zu spalten“, erklärt Hong Lei, der Sprecher des chinesischen Außenministeriums. „Das ist ein schwerer Verstoß gegen chinesische Gesetze.“ Gongchok wird zum Tode verurteilt, andere vermeintliche Anstifter zu 10 Jahren Haft. Schon wer Fotos von Selbstverbrennungen macht und sie weiterleitet, kann hart bestraft werden. Wer von geplanten Verbrennungen weiß und sie nicht verhindert, wird wegen vorsätzlichen Mordes angeklagt.

Betende Mönche
Betende Mönche | Bild: SWR

Die Prozesse sind reine Inszenierung, meint Kirti Rinpoche. Der Lama lebt im Exil. Er ist das religiöse Oberhaupt des Kirti Klosters, in dem auch Lobsang war. „Für die Prozesse gibt es drei Gründe: Erstens soll so die chinesische Bevölkerung über die wahren Hintergründe der Selbstverbrennungen getäuscht werden. Zweitens wollen sich damit lokale Funktionäre nach oben empfehlen und zeigen: wir haben alles unter Kontrolle! Drittens: die Tibeter sollen damit eingeschüchtert werden.“ Was hat Lobsang in den Tod getrieben? Warum wählen so viele Tibeter den Tod und nicht das Leben? Warum kann er nicht aufhören, dieser grausame Protest?

Stand: 22.04.2014 13:48 Uhr

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