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Russland: Putins Großmachtwunsch und Kriegsfolgen

Russland: Putins Großmachtwunsch und die Kriegsfolgen | Bild: IMAGO / Russian Look

Er lässt die Geschichte umschreiben, sieht sich selbst in einer Reihe mit Russlands Zaren. Doch das kriegerische und blutige Abenteuer, in das Wladimir Putin sich und sein Land gestürzt hat, hat Russland und ihm selbst in vieler Hinsicht geschadet. Die Wirtschaft leidet, junge Männer fliehen aus Angst vor der Mobilmachung, selbst in den Eliten rumort es. Aber – Putin hat es auch geschafft, mit seiner Propagandamaschine große Teile seines Volkes davon zu überzeugen, dass der Angriff auf die Ukraine notwendig war, dass die Ukraine kein Recht hat, als Staat zu existieren. Die Mehrheit der Russinnen und Russen unterstützt seinen Kurs. Hat der Krieg Putins Position gestärkt – oder markiert er den Anfang vom Ende der Ära Putin?

Demos verboten, Oppositionelle vor Gericht

"Freiheit", rufen sie, erst verhalten, dann lauter. Sowas ist selten geworden seit Kriegsbeginn. Demos sind verboten, Protest ist strafbar. Aber ein Gerichtsprozess gegen die Opposition ist eine Chance, sich zu treffen. "Wenn ich nur eine Minute mit einem Plakat irgendwo stehe, bekomme ich schon eine Festnahme und eine Geldstrafe", sagt eine Demonstrantin. "Das Geld finanziert wieder den Krieg. Deswegen komm ich her, um wenigstens hier Leute zu sehen, die so denken wie ich." Eine andere Frau auf der Demo meint: "Es wird überall nur negativ berichtet über Russland. Russland ist Putin, Aggression, Krieg. Aber es gibt viele, die dagegen sind."

Ilja Jaschin hinter Glas im Gerichtssaal
Ilja Jaschin wurde zu achteinhalb Jahren Lagerhaft verurteilt  | Bild: SWR

So viele sind es dann doch nicht, die gekommen sind, aber immerhin gut hundert Leute wollen in den Gerichtssaal. Es geht um den Krieg in dem Urteil, das hier verkündet wird. Achteinhalb Jahre Lagerhaft bekommt Ilja Jaschin. Für sogenannte Diskreditierung der Armee. Weil er in seinem Live-Stream über Butscha geredet hat – und gezeigt hat, was man außerhalb Russlands über den Krieg berichtet. Lasst den Kopf nicht hängen, ruft Jaschin am Ende in seinem Glaskasten – alles wird gut.

Kritik jetzt auch aus dem eigenen Lager

Doch gut ist wenig in diesem so düsteren Jahr. Die Opposition – weggesperrt, Andersdenkende – im Exil, der Krieg darf nur als Erfolgsgeschichte dargestellt werden. Auf ganz Russland, so scheint es, liegt ein riesiger Grabdeckel. Auch ein früherer Redenschreiber von Präsident Putin lebt jetzt im Exil. Schon vor Jahren hat Abbas Galljamow die Lager gewechselt. Der Krieg sei Putins größter Fehler, sagt er. Er habe alles verändert. "Vor einem Jahr noch war Putin der große Herrscher, der von allen als einer der stärksten Machthaber in der Welt angesehen wurde. Aber jetzt stellt sich heraus – er ist grausam, aber er ist nicht stark. Sein Bild ist verblasst, erst recht im Vergleich zu Selenskij. Dieses Jahr war katastrophal für Putin."

Präsident Putin stößt mit Soldaten mit Sekt an
Präsident Putin muss sich immer öfter für die Kriegsführung rechtfertigen | Bild: SWR

Noch immer sitzt Putin fest im Sattel. Doch vorsichtige Kritik kommt jetzt selbst aus dem eigenen Lager. Kritik am Rückzug aus Cherson, das man doch gerade erst – völkerrechtswidrig – annektiert hatte, Kritik an der schlecht organisierten Teilmobilmachung. Im Kreml verteilt Putin Heldenorden an verdiente Kämpfer der sogenannten Spezialoperation. Das Wort Krieg kommt ihm noch immer nicht über die Lippen. Doch die Selbstsicherheit scheint angeschlagen. Immer häufiger hält er es offenbar für nötig, seine Kriegsführung zu erklären. Selbst beim Sekt mit den frisch Geehrten. "Jetzt gibt es viel Kritik", sagt Wladimir Putin, "weil wir die Energieinfrastruktur unserer Nachbarn bombardieren. Ja, das machen wir. Aber wer hat denn angefangen? Wer hat denn die Krim-Brücke angegriffen?"

Putin wird kein Held der Geschichtsbücher

Der Krieg tut Putin nicht gut, und auch Russland nicht. Das sehen selbst diejenigen, die ihn befürworten. In Moskaus Innenstadt stehen nicht nur die Luxusläden leer, die Sanktionen schränken die Auswahl auch anderswo massiv ein. Auch fast alle ausländischen Autofirmen sind weg. Hier im früheren Renault-Werk bauen sie jetzt wieder ein Moskwitsch-Modell. Angepriesen wie ein Super-Auto, "Made in Russia". In Wahrheit ist es die eins zu eins-Kopie eines chinesischen Modells. Überhaupt gibt es – außer russischen – nur noch chinesische Autos zu kaufen. Dennoch, Russland schlage sich im Moment wirtschaftlich besser als erwartet, sagt Aleksandra Prokopenko. Sie hat früher die Zentralbank beraten, nun ist auch sie im Exil. "Im Westen dachte man, die Sanktionen würden Russlands Wirtschaft zerreißen. Das hätte auch klappen können. Aber die Regierung hat professionell agiert, mit einer sehr strengen Kontrollpolitik. Russlands Ökonomen erwiesen sich als besser als Russlands Generäle. Hätte es ein Embargo für Öl und Gas schon im Frühjahr gegeben, sähe es anders aus vielleicht. Aber das Geld reicht jetzt. Russland kann sein riskantes militärisches Abenteuer auch nächstes Jahr weiterführen." Kein Zweifel, dass das der Plan ist.

Präsident Putin bei einer historischen Militärausstellung
Die Soldaten singen vom "Heiligen Krieg" | Bild: SWR

Historische Militärausstellung in Moskau. Der neue Krieg gilt längst nicht nur der Ukraine. Der Feind ist der Westen, in jeder Hinsicht. Putin will die angebliche Überlegenheit der russischen Kultur ein für alle Mal beweisen. In die Geschichte, sagt der ehemalige Redenschreiber, wird er dennoch nicht als positiver Held eingehen. "Dazu hätte er früher gehen müssen, ein starkes Regime hinterlassen", meint Abbas Galljamow. "Aber das Regime ist schwach, es wird Putin nicht überleben. Als Held für die Geschichtsbücher hätte er schon nach Medwedjews Amtszeit nicht zurückkommen dürfen und sich nicht immer wiederwählen lassen ". Sie singen für ihn das alte Sowjetlied vom "Heiligen Krieg". Ein Zurück gibt es für Putin nicht. Ob er seine sogenannte Spezialoperation nicht längst bereut, weiß niemand, aber: Er hat sein Schicksal an diesen Krieg gebunden. Und: an einen Sieg.

Autorin: Ina Ruck ARD-Studio Moskau

Stand: 13.12.2022 16:31 Uhr

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