So., 25.06.23 | 18:30 Uhr
Das Erste
Polen: Oder – droht erneut ein Fischsterben?
Sie laufen den Weg entlang der Oder, von der Quelle im Norden Tschechiens bis zu ihrer Mündung ins Stettiner Haff. Knapp 1000 km. Eine kleine Gruppe polnischer Umweltschützer:innen auf dem Marsch für die Oder. Fast ein Jahr nach dem großen Fischsterben wirkt es, als habe sich die Oder von ihrem Schock wieder komplett erholt. Doch das stimmt wohl nicht. Dariusz, der Öko-Bauer und die anderen wollen darauf aufmerksam machen: "Ich habe gesehen, wie die letzten Ökosysteme einfach verschwinden wie die Oder hier, Zerstörung wegen Gedankenlosigkeit und fehlendem rechtlichen Schutz. Es ist extrem wichtig, dass wir das nicht zulassen! Denn die Natur, sie ist doch ein Teil von uns!"
Kann sich die Katastrophe noch einmal wiederholen?
Doch die Aufmerksamkeit, die sie und die Oder gerade bekommen, hält sich in Polen in Grenzen. Im vergangenen Jahr war das anders, als hunderte Tonnen toter Fisch auf ihrer Oberfläche trieben. Das Gift der Goldalge, die eigentlich nur in Salzwasser vorkommt, hatte sie ersticken lassen und mit ihnen Millionen Kleinstlebewesen und Muscheln. Eine Umweltkatastrophe. Durch hohe Temperaturen, niedrigen Wasserstand und zu hohe Salzkonzentration im Fluss stieß die Alge auf beste Bedingungen. In Breslau untersucht Krzysztof Lejcu´s seit dem letzten Jahr regelmäßig das Wasser der Oder. Er befürchtet, dass sich das Fischsterben in diesem Sommer wiederholen könnte, wenn das Wetter wärmer wird, und der Wasserstand der Oder wieder sinkt: "Die Katastrophe ist noch nicht zu Ende, weil die Goldalge, also die Ursache noch in der Oder ist. Sie ist in großer Zahl in den Biegungen oder Altarmen zu finden. Es ist also sehr wahrscheinlich, dass bei günstigen Bedingungen, die gleiche Situation wie im letzten Jahr eintritt."
Die ersten Anzeichen gibt es schon. Hier im Gleiwitzer Kanal in Schlesien. Er mündet in die Oder. Grzegorz nimmt uns mit auf seinem Boot. 340 Tage im Jahr ist er auf dem Wasser unterwegs und angelt. Er bringt uns an die Stelle, wo vor einem Jahr die ersten toten Fische aufgetaucht waren. Auch jetzt finden wir schon wieder einen. "Aber warum unternimmt niemand etwas dagegen? Warum vergeht ein weiteres Jahr und wir haben nichts getan? Ich schäme mich einfach, Pole zu sein", sagt Grzegorz Marcinkiewicz. Grzegorz ist Angel-Influencer mit YouTube-Kanal. Aber seit letztem Jahr dokumentiert er vor allem den Zustand der Oder. Schon im April diesen Jahres hat er dieses Video gemacht: "Oh Gott, guck mal, wie viele Fische da sind! Da, da,da und da! Auf dem Grund ist ein ganzer Teppich! Scheiße!"
"Hier trieben sehr, sehr viele Fische einfach mit dem Bauch nach oben. Sie wurden von dem Wasser getötet, das gerade aus dem Gleiwitzer Kanal eingeleitet wurde. Dieses vergiftete Wasser bedeutet den sicheren Tod. Und ich sage das ganz offen: es ist die Schuld der Mine", sagt der Angel-Influencer. Grzegorz meint die staatliche Bergbau- und Kohleindustrie hier in Oberschlesien. Für die Region ist sie extrem wichtig. Tausende Arbeitsplätze hängen an ihr, doch für die Oder erweist sie sich immer mehr als Problem. Ihre salzhaltigen Abwässer aus den Stollen werden in den Gleiwitzer Kanal eingeleitet und landen dann in der Oder. Vor allem der hohe Salzgehalt war laut Umwelt-Expert:innen verantwortlich für die Algenblüte im letzten Jahr.
Protest gegen Politik
Seit Januar gibt es hier am Kanal deshalb eine Notüberwachung der polnischen Behörden. Mehrmals pro Woche werden an verschiedenen Stellen Proben entnommen, Salzgehalt und Algenwachstum untersucht. "Wir haben guten Sauerstoff. 120 Prozent. Das ist innerhalb der Norm. Auch der ph-Wert ist gut. Die Leitfähigkeit, also der Salzgehalt ist hoch. Aber das ist typisch für dieses Fließgewässer. Also im Moment nichts Besorgniserregendes", sagt Olga Koloch, die Leiterin des Labor Katowice.
Das sehen nicht alle so. Umweltschützer:innen von Greenpeace zeigen uns eine von Hunderten Stellen, wo extrem salzhaltiges Grubenwasser aus einem Bergwerk in einen Zufluss eingeleitet wird. Sie messen regelmäßig hier die Salzkonzentration und beobachten, wie diese den Salzgehalt der Oder beeinflussen. "Dieses Minenabwasser ist 18-mal so salzhaltig wie der Zufluss. in den es fließt. Wenn es sich dort vermischt, ist das Zufluss-Wasser 12-mal so salzhaltig, wie es rechtlich erlaubt ist. Und das alles fließt dann leider weiter in die Oder", erklärt Leszek Pazderski von Greenpeace.
Und schon jetzt im Juni ist sie über 20 Grad warm. Wenn es noch heißer wird, dann wird auch ihr Pegel wohl wieder sinken und die Salzkonzentration weiter steigen. Doch davon will die polnische Umweltministerin nichts wissen. Das Salz sei nicht der zentrale Grund. "60 Prozent der Einleitungen sind ja nicht nur salzhaltig, sondern vor allem stickstoff- und phosphathaltig. Also es geht nicht ausschließlich um Salz", sagt Anna Moskwa.
Und so streiten sich Politiker:innen und Umweltschützer:innen. Für Dariusz, den Ökobauern liegt genau darin das Problem. Er und die anderen sind mittlerweile am Ziel ihres Marsches, an der Mündung der Oder ins Stettiner Haff, angekommen. Beim großen Finale treffen wir ihn wieder: "Wir leben in einem System, das heuchlerisch ist, wo Politiker eigentlich verpflichtet sind, das höhere Gut, also die Natur, zu vertreten. Die Pflicht liegt in ihren Händen, aber sie kommen ihr nicht nach."
Bei ihrem "Marsch für die Oder" haben nicht so viele Menschen mitgemacht, wie gehofft. Und doch haben sie das Gefühl, wenigstens etwas getan zu haben.
Autor: Kristin Joachim / ARD Warschau
Stand: 25.06.2023 22:21 Uhr
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