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Philippinen/Niederlande: Wenn die Heimat untergeht

Philippinen/Niederlande: Wenn die Heimat untergeht | Bild: SWR

In Europa bemerken nur wenige, dass der Meeresspiegel bereits steigt. Denn hier bauen die Küstenanrainer Dämme gegen das steigende Meer mit hohem technischem Aufwand und viel Geld. Aber, sagt Karsten Schwanke in der Weltspiegel-Klimareihe, "der Meeresspiegel-Anstieg wird für die nächsten Generationen das alles überlagernde Thema." Auf den Philippinen, am Rande der Hauptstadt Manila, kämpft Jeremie Medel schon jetzt jeden Tag mit dem Meeresspiegel: Wenn ihre Kinder morgens in die Grundschule gehen, begleitet sie sie. Sie waten durch knietiefes Wasser. Kurz vor der Schule wird das Wasser noch tiefer, Jeremie muss ihre Tochter tragen, der Wasserpegel ist höher als das kleine Mädchen. Viele sind schon weggezogen und wie lange Jeremie noch bleiben kann, weiß sie nicht. Jedes Jahr steigt das Meer um sieben Millimeter als Folge der Klimakrise.

Philippinen: Ganze Wohngebiete versinken im Wasser

"Tauchen Sie mit mir ab zu einem zugegebenermaßen unscheinbaren Ort", sagt der Meteorologe Karsten Schwanke. "Doch dieser Platz hier könnte eines Tages der gefährlichste Ort Europas sein. Denn ich befinde mich am tiefsten Punkt der Niederlande. 6,74 Meter unterhalb des Meeresspiegels. Die Autos, die hinter mir auf der Autobahn fahren, fahren theoretisch durchs Wasser. Wir können hier natürlich trockenen Fußes stehen, weil die Niederländer seit Jahrhunderten Deiche bauen und sich so vor der Nordsee schützen. Aber der Meeresspiegel steigt weiter. Allein in den letzten 25 Jahren, seit Bestehen dieses Monuments ist die Nordsee um weitere sieben Zentimeter angestiegen. Weltweit werden in den nächsten Jahrzehnten durch den Klimawandel Milliarden Menschen vom Meeresspiegel-Anstieg bedroht sein. Schon heute ist eine Großstadt besonders betroffen: Manila. Ulrich Mendgen aus der Hauptstadt der Philippinen."

Frau steht im Wasser
Die Menschen verlieren den Boden unter den Füßen | Bild: SWR

"So ist es, Karsten Schwanke! Auf den Philippinen mit ihren Tausenden Inseln und endlosen Küstenstreifen sind die Menschen den Folgen des Meeresspiegel-Anstiegs ausgeliefert. Am Rande der Mega-City Manila lässt sich beobachten, wie sogar ganze Wohngebiete im Wasser versinken. Zum Beispiel hier, auf der Insel Salambao, nur wenige Kilometer vom Stadtzentrum von Manila entfernt." Den Boden unter den Füßen verlieren. Das heißt leben in der Bucht von Manila. Das Klatschen der Wellen hat Familie Medel früh aus dem Schlaf geholt. Wieder ein schwieriger, ungewisser Tag, auch für die Kinder. Sie sollen trotzdem zur Schule gehen, hat Mutter Jeremie entschieden. Auch die sechsjährige Jecel. Das Mädchen geht in die erste Klasse. Zu sechst in einem einzigen Wohnraum. Jeremies Mann, ein Fischer, verbringt die meiste Zeit draußen auf dem Meer. Auch zuhause müssen sie Wind und Wetter trotzen. Der Weg wurde im Laufe der Jahre mehrfach erhöht. Aber das Wasser stieg weiter. Es gibt gefährliche Senken, die nicht zu erkennen sind. Die letzten Meter vor der Schule. Für die kleine Jecel ist es jetzt endgültig zu tief. Boote kreuzen auf dem Schulhof. Der Boden des Klassenraums steht über dem Wasserpegel. Niemand weiß, wie lange noch.

Philippinen: Viele wollen wegziehen

Insel Salambao
Der Meeresspiegel vor Manila steigt besonders schnell  | Bild: SWR

Als Jeremie früher selbst hier zur Schule ging, klappte das noch trockenen Fußes. Die 34-Jährige betreibt einen kleinen Einkaufsladen im vorderen Teil des Hauses. Eigentlich war das ein Obergeschoss. Das Erdgeschoss ist schon versunken…und mit ihm auch die Träume von einem guten Leben. Immer öfter erreicht die Flut jetzt auch das obere Stockwerk. Sie hat vom Klimawandel gehört, und dass er die Probleme hier verschärft. Ihr Realitätssinn sagt ihr, dass es hier nicht mehr lange gut gehen wird. "Jeder möchte am liebsten wegziehen, aber das Problem ist: Wovon sollen wir dann leben? Die Leute hier sind Fischer. Wenn wir irgendwohin aufs Festland ziehen, dann wird es schwierig für uns. Wir kennen doch kein anderes Leben." Die Lebensader von Salambao. Es ist absehbar, dass auch dieses Wasser versalzen wird. Früher fielen hier bei Ebbe große Flächen trocken, das ist vorbei. Noch leben hier 1.500 Menschen, eingezwängt zwischen Pfahlbauten. Einige Häuser stehen schon leer. Die Bewohner zogen fort – man könnte sie auch Klimaflüchtlinge nennen.

"Die Bilder, die wir gerade aus Manila gesehen haben, die werden wir so zumindest in naher Zukunft in Europa noch nicht sehen" sagt Karsten Schwanke. "Denn wir schützen unsere Küsten, unser Binnenland, mit einem gigantischen Aufwand, mit viel Geld, in den wir Deiche bauen. Aber der Meeresspiegel steigt weiter. Eine aktuelle Studie hat zum Beispiel gezeigt, selbst wenn wir es schaffen würden, weltweit von heute auf morgen den CO2-Ausstoß auf 0 runterzufahren, dass selbst dann das Meer bis zum Ende des Jahrhunderts um weitere 27 Zentimeter steigen würde. Denn auch mit dem heutigen Temperatur-Niveau würden ja Teile des grönländischen Inlandseises abschmelzen. Die Studie sagt aber auch, dass es deutlich realistischer ist, dass wir bis zum Ende des Jahrhunderts einen Meeresspiegel-Anstieg um 80 Zentimeter erleben werden. Und dann würden auch diese Deiche aus der heutigen Zeit nicht mehr reichen."

Philippinen: die Lösung der Probleme hätte vor 20 Jahren beginnen müssen

Einst belebte Orte, heute unerreichbar. Die Inselbewohner blicken unsicher in Richtung Festland. Es liegt nur ein paar Kilometer entfernt. Doch das Festland verdient stellenweise seinen Namen nicht mehr. In Bulacan, einem Vorort von Manila, kommen sie an Flut-Tagen nur noch Huckepack voran. Wer sein Gefährt sicher zu steuern weiß, kann damit sein Geld verdienen. So wie Teddy de la Cruz. Sein Fahrrad mit Beiwagen ist extra für die Flut konstruiert. Nasse Füße holt er sich zwar, aber immerhin die Fahrgäste kommen trocken ans Ziel.

Fahrrad-Rikscha
Nur so kommt man trocken ans Ziel | Bild: SWR

Noch bis vor Kurzem war Teddy ein Landwirt. Er war stolz darauf, Pächter dieses Grundstücks zu sein. Wie schon seit Vater und sein Großvater baute er Reis an. Bis das Seewasser den Acker dauerhaft überschwemmte. "Es ist bitter für mich, dass ich auf diesem Land nicht mehr arbeiten kann. Es hat seinen Wert völlig verloren. Wir konnten hier einfach nichts mehr ernten." Hektarweise fruchtbarer Ackerboden – unbrauchbar. Die salzige Brühe hat ihn förmlich aufgefressen. In der Bucht von Manila steigt der Meeresspiegel doppelt so schnell wie im globalen Durchschnitt. Um sieben Millimeter pro Jahr. Zusätzlich sinkt der Boden – eine Folge von Bauboom und Grundwasserentnahme.

Auch großflächige Landgewinnung verschlimmert die Überschwemmungen. Der Einfluss des Klimawandels kommt noch hinzu. Nach Meinung des Umweltexperten Karlos de la Cruz haben die Philippinen das alles zu lange nicht wahrhaben wollen. "Die Lösung unserer Probleme hätte vor 20 Jahren anfangen müssen. Denn Klimaschutz ist eine langfristige Angelegenheit. Und jetzt können wir uns nicht mehr den Luxus leisten, weiter Zeit verstreichen zu lassen. Schon jetzt fühlt sich auf den Philippinen alles wie ein einziger Notfall an. Alles fühlt sich nach Krise an. Und das ist es auch. Alles ist ein Rennen gegen die Zeit."

Niederlande: das Meer steigt, das Land sinkt ab

"Das hier ist ein Denkmal, ein Mahnmal, für die Seeleute, die früher zur hohen See gefahren sind und dort ihr Leben verloren haben", sagt Karsten Schwanke. "In Zukunft wird das Meer auch dann gefährlich, wenn wir nicht zur See fahren. Weil der Meeresspiegel weiter ansteigt. Und deshalb wurde hier an der Mündung des Rheins, an einem der größten Rhein-Arme in den 90er Jahren ein gigantisches Sperrwerk gebaut, um das Land vor den weiteren Sturmfluten zu schützen. Wie oft musste dieses Sperrwerk den Fluss hier schon komplett schließen?" "In 25 Jahren haben wir jetzt zwei Mal richtig gesperrt", erklärt Wasserbaumanager Peter Persoon. Und Karsten Schwanke ergänzt: "Im Fall einer Sturmflut werden die beiden Stahlarme – jeder Arm mehr als 300 Meter lang, also so groß wie der Eifel-Turm – voll automatisch mit Zahnrädern in Richtung Flussmitte bewegt. Und dann werden die Schwimmkörper mit Wasser gefüllt und senken sich ab, bis sie in 17 Metern Wassertiefe unten auf dem Grund der Fahrrinne ankommen. Das ganze Prozedere dauert in etwa 2 Stunden."

Sperrwerk am Rhein
Sperrwerk am Rhein  | Bild: SWR

"Der Meeresspiegel wird weiter steigen. Bis auf welche Höhe des Meeresspiegelanstiegs ist dieses Sperrwerk hier ausgerichtet?" "Also die Entscheidung wurde 1986 getroffen. Damals haben sie damit gerechnet, dass in den kommenden 100 Jahren der Meeresspiegel um 60 Zentimeter ansteigt", so Peter Persoon. "Aber die 60 Zentimeter sind nicht unser einziges Problem. Denn unser Land sinkt auch gleichzeitig rund 30 Zentimeter innerhalb von 100 Jahren ab." "Also wir haben ein Absinken des Landesinneren…" "Und gleichzeitig Steigen des Meeresspiegels." Karsten Schwanke: "Mir fällt auf, wenn mich Leute ansprechen als Meteorologen und mit mir über den Klimawandel reden, dann fallen vor allem die drei Stichworte: Hitze, Dürre und Starkregen. Denn das ist genau das, was wir heute schon vor unserer eigenen Haustüre sehen. Wo wir die Folgen spüren. Und wo wir abschätzen können, was da in den nächsten Jahren und Jahrzehnten noch auf uns zukommen wird. Der Meeresspiegel-Anstieg spielt hingegen bisher zumindest keine größere Rolle. Der ist noch nicht richtig im Bewusstsein angekommen. Wir können ihn auch nicht richtig sehen. Dabei messen wir ihn. Mit Hilfe von Satellitendaten. Und es gibt Regionen, in denen er heute schon ein Thema ist. Wie zum Beispiel in Manila. Der Meeresspiegel-Anstieg wird aber für die nächsten Generationen das alles überlagernde Thema."

Autoren: Karsten Schwanke und Ulrich Mendgen ARD-Studio Tokio

Stand: 07.11.2022 11:40 Uhr

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