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Norwegen/Kanada: Lernen auf dem Lande

Norwegen/Kanada: Lernen auf dem Lande | Bild: DasErste

Wie lernen Kinder, die nicht in der Stadt oder in einem Dorf wohnen? In Norwegen vertrauen die Familien dem Staat, in Kanada übernehmen viele Eltern den Unterricht daheim! Wir begleiten zwei Familien, die abgeschieden leben.

Norwegen
Erlend und seine Geschwister leben auf der abgelegenen Insel Givær. | Bild: DasErste

Der 11-jährige Erlend lebt mit seiner Familie auf der abgelegenen Insel Givær m Norden Norwegens. Hier leben nur 15 Menschen. Jeden Morgen muss Erlend mit einem Boot zur Schule fahren. Der norwegische Sozialstaat kümmert sich um die Bildung, unterhält auf den größeren Inseln Kleinstschulen, damit die Kinder möglichst gut ausgebildet werden. Bis zu einer Stunde täglich sind sie unterwegs, um zur Schule zu kommen, auf einer kleinen Fähre, und natürlich ohne Mama und Papa. Auch an Tagen, an denen die See rau geht und es eisig kalt ist. "Wenn es große Wellen sind, dann bekomme ich manchmal Angst. Ich mag es nicht, wenn das Boot so hin- und herschaukelt", sagt Erlend.

Frühe Selbstständigkeit ist überlebenswichtig

Manchmal stehen nicht Musik oder Mathe auf dem Stundenplan, sondern "Rettung" auf hoher See. Auch für Erlend und seine Schwester Jackline. "Heute machen wir eine Übung mit Rettungsinseln. Wenn wir auf dem Boot sind und es passiert was, müssen wir ja wissen, was wir tun sollen. Da wir auf einer Nachbarinsel wohnen, nehmen wir das Boot ja jeden Tag", erzählt Jackline. Früh sollen die Kinder zur Selbstständigkeit erzogen werden. Damit sie sich im Notfall selbst helfen können. Lernen sprichwörtlich fürs Leben, nicht nur nach dem Lehrplan. Die Schule von Jackline und Erlend liegt auf der Insel Helligvær: einhundert Einwohner, ein Kiosk und die Schule – für 16 Kinder. "Die meisten Tage sind wir weg von 8 Uhr morgens bis halb sechs abends, weil das Boot nur zweimal fährt", erklärt Erlend.

Sozialstaat Norwegen investiert in Bildung

Nach einer knappen halben Stunde erreichen sie Helligvær. Die 16 Schüler der Schule sind aufgeteilt in die Klassen eins bis zehn, meist werden sie in verschiedene Gruppen aufgeteilt. Für Erlend kein Problem: "Dadurch, dass ich mit den Älteren in einer Klasse bin, höre ich auch wie die Älteren reden und lerne von ihnen." Auf die Schüler kommen hier vier Fach-Lehrerinnen und die Schulleiterin Hege Krano. Das ist sogar im reichen Norwegen Luxus. "Manchmal lernen sie in Gruppen von zehn, manchmal nur fünf Schülern, manchmal allein. Wir haben genug Zeit für jeden Einzelnen. In der Stadt hat ein Lehrer normalerweise um die zwanzig Schüler. Ich glaube, da sind wir ganz gut aufgestellt."

Soziale Kontakte trotz Abgeschiedenheit

Eine große Investition der Kommune, die sich auszahlt. Die jungen Familien bleiben hier auf Helligvær, ziehen nicht weg. Und die Schule ist für die Kinder der anderen Inseln auch so etwas, wie ein Jugendzentrum. Wäre der Unterricht zuhause, ohne die nervige Fähre, nicht eine besser Alternative? Jackline hat da eine ganz klare Haltung: "Nein, das würde ich nicht schaffen. Das wäre superblöd. Schaut euch um, ich brauche einfach diese Leute um mich rum." Und so fühlt es sich tatsächlich auch an. Diese Kinder lernen hier vor allem, weil sie Spaß daran haben, Zeit miteinander zu verbringen.

Heimunterricht in Kanada

Familie mit vier Kinder und Hund im Wald
Familie Payge ist mit den Kindern viel im Wald unterwegs. | Bild: DasErste

Ganz anders lernen der neunjährige Ethan und seine drei Geschwister. Er lebt mit seiner Familie außerhalb von Gabarus, einem Örtchen mit 78 Einwohnern. Hier an der Küste von Nova Scotia werden im Sommer Hummer und Krabben gefischt, für den Rest des Jahres versinkt das Dorf im Dornröschenschlaf. Bis zur  nächste Schule sind es von ihrem Haus aus 36 Kilometer, zu weit für die kleinen Kinder. Daher haben sich ihre Eltern Deborah und Martin Payge entschieden, die Kinder selbst zu unterrichten. Der kanadische Staat erlaubt das, interessierte Familien müssen sich nur registrieren lassen.

Verwirklichung eines Lebenstraums

Familie Payge wollte schon immer aufs Land zu ziehen. Ein eigenes Stück Wald, einen Seezugang und Zeit für die Kinder. Das ist ihr Traum, den sie hier leben können. "Es ist wunderschön, es ist ruhig, keine Flugzeuge, keine Züge, kein Stadtlärm. Die Kinder sind frei. Wir müssen uns nicht nach den Plänen anderer richten, wir können zum Beispiel außerhalb der Saison rumreisen", sagt Martin Payge. Abends muss Mutter Deborah den Unterricht vorbereiten. Kanadische Inhalte auf Grundschulniveau will sie vermitteln, konzentriert, aber ohne Druck. Besonders ihr autistischer ältester Sohn Ethan braucht manchmal mehr Zeit. Tests gibt es nicht, auch in der kanadischen Grundschule sind sie in den ersten Jahren nicht vorgesehen. "Die Kinder haben mit uns einen Vertrag unterschrieben, dass sie zuhause unterrichtet werden wollen, dass sie ihr Bestes geben, und dass wir zusammen respektvoll lernen werden. Ich möchte, dass sie merken, dass sie Kontrolle über einen Teil ihres Lebens haben, auch wenn sie Kinder sind", erklärt Deborah.

Glücklich nach anfänglicher Skepsis

Feuerwehrmann Martyn stand dem Hausunterricht anfangs skeptisch gegenüber, aber jetzt vertraut er Deborah vollkommen. Beide sind jetzt Lehrer, Vorbilder und Eltern in einem, jede Aktivität, selbst die Zubereitung des Abendessens, das Belegen von Pizza, ist Familienzeit, selbstbestimmt und kostbar. Isoliert sieht sich die Familie nicht, im Gegenteil. Wann immer sie andere Familien und Freunde sehen, ist es freiwillig und mit einer Aktivität verbunden. "Im Wald zu leben macht mich glücklich. Der Hausunterricht an sich macht mich vielleicht nicht glücklich, aber die Entscheidung treffen zu können schon. Wenn das Leben im kleinen Waldhaus nicht mehr funktioniert, ändern wir es", sagt Deborah.

Ortsschild Gabarus in Kanada
36 Kilometer sind es vom Haus der Familie bis in die nächste Ortschaft. | Bild: DasErste

"Manchmal wird es langweilig immer nur mit meinen Geschwistern zu spielen, weil die immer dasselbe machen. Die Freunde sind anders, wollen auch mal was anderes spielen", gesteht Ethan. Aber zweimal in der Woche fährt Deborah nach Garbarus, damit die Kinder Freunde treffen können. Auch andere Homeschooler wohnen hier im ländlichen Umkreis. Viele von ihnen halten den Kontakt untereinander über Facebook-Gruppen und verabreden sich zu verschiedenen Aktivitäten, wie zum Schach oder Yogaunterricht. Das kanadische Schulsystem lässt den Eltern viele Freiheiten, aber es lädt auch viel Verantwortung bei ihnen ab. Deborah und Martyn sind überzeugt, dass die Kinder hier das Wichtigste fürs Leben lernen. Den Rest, auch akademische Feinheiten, könnten sie auch später noch nachholen.

Autoren: Christiane Meier, ARD-Studio New York/Kristopher Sell, ARD-Studio Stockholm

Stand: 11.11.2019 11:59 Uhr

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