So., 28.04.13 | 19:20 Uhr
Das Erste
Indien: Bordellviertel in Kalkutta – Endstation für junge Frauen
Pinky beginnt ein neues Leben. Ob es richtig oder falsch ist - sie weiß es nicht. Sie ist aus ihrem Dorf abgehauen, weil sie es nicht mehr aushielt. Sie irrte durch ganz Indien und landete in Kalkutta. Pinky hat beschlossen, ihren Körper zu verkaufen. Ihr neues Leben heißt Prostitution.
"Ich hatte mal Träume. Vor meiner Hochzeit. Aber das ist alles vorbei. Über mein Leben denke ich nicht mehr nach. Und jetzt will ich nicht mehr träumen", sagt die junge Frau.
Pinky träumte wie so viele junge Mädchen. Dann musste sie sehr früh heiraten, denn ihre Familie wollte es so. "Mein Mann hat angefangen zu trinken und mich zu schlagen. Er hat mich mit in seine Fabrik genommen und mich dort gequält. Er schlug und missbrauchte mich. Alle anderen haben zugesehen."
Männer nehmen sich was sie wollen
Eine Frau steckte Pinky schließlich eine Telefonnummer zu. Eine Nummer aus Sonagachi, ein riesiges Rotlichtviertel in Kalkutta. Es beginnt gleich hinter den Hauptstraßen der Stadt. Mindestens 10.000 Prostituierte sollen hier arbeiten.
Es fällt schwer, Sonagachi zu erklären. Das Viertel wirkt verstörend. Auch weil viel gelogen wird. Es scheint so, als hätte jede Gasse einen anderen Boss. Fast jede Frau hier wurde schon vergewaltigt. Männer nehmen sich was sie wollen und Polizei ist nicht zu sehen.
Bharati Dey - heimliche Bürgermeisterin
Aber eine Frau hat keine Angst und sie wird gefürchtet: Bharati Dey. Sie war selbst Prostituierte. Jetzt führt sie eine Organisation, die Hilfe für Frauen anbietet. Bharati ist so etwas wie die Bürgermeisterin. Sie will die Frauen vor gewalttätigen Männern und der Polizei schützen. Und dabei schlägt sie auch zu.
"Gleich am Anfang hatte ich eine Schlacht gewonnen. Ich habe gegen zwei Kriminelle gekämpft. Einen habe ich sogar umgebracht, ich habe ihn auf der Straße totgeschlagen. Die Polizei kam und sagte: Das ist Selbstjustiz. Ich sagte denen nur: Haltet den Mund! Und wo ward ihr als dieser Typ Frauen vergewaltigt hat?"
Ohne Bharatis Frauen geht gar nichts
Bestraft wurde sie nie. Eine Hilfsorganisation inmitten mafiöser Strukturen. Wer ist gut und wer böse? Doch ohne Bharatis Frauen geht für uns gar nichts. Nur mit ihnen laufen wir durch die Straßen. Sie sind sehr nervös. Denn in Sonagachi mögen sie keine Fernsehteams. Öffentlich filmen dürfen wir nicht. Wir drehen trotzdem - heimlich.
Bharatis Frauen reden nur hinter Mauern und Türen. Zum Beispiel in der Klinik, am Rande des Rotlichtviertels. Hier verteilen sie Medikamente und helfen den Aids-Kranken. Es ist aber auch der Ort, wo die neuen Mädchen ankommen. Pinky haben wir hier kennengelernt. Die Frauen untersuchen sie genau. Sie alle waren selber Prostituierte. Aber niemand will Pinky den Beruf ausreden. Es geht nicht darum, was sie fühlt. Es geht nur darum, dass sie alt genug ist.
Eltern verkaufen Töchter, Männer ihre Frauen.
Wie kam Pinky nach Kalkutta? Sie gibt keine klare Antwort. Nicht uns und auch den Frauen nicht. Wurde sie verkauft? Es wäre nicht ungewöhnlich. Wir treffen einen Mann, der früher Mädchen nach Kalkutta brachte. Die Geschichten, die er erzählt, erinnert an Pinky: Eltern verkaufen Töchter, Männer ihre Frauen. Höchstens 200 Euro umgerechnet wird für eine junge Frau gezahlt.
"Für mich ist es ein Geschäft. Ich denke, unsere Gesellschaft ist verantwortlich. Es ist doch so, Frauen werden sexuell belästigt. Deswegen denken sie, es geht doch eh nur um Sex. Dann kann ich auch gleich mit diesem Gewerbe Geld verdienen", erzählt der Mann.
Männer holen sich ihren Spaß in Bordellen
In Indien sind 90 Prozent aller Hochzeit arrangiert. Die Ehe ist oft nur zum Kinder kriegen. In den Bordellen holen sich die Männer ihren Spaß. Für wenige Rupien.
Pinky arbeitet für die Ehefrau eines Polizisten
Dann treffen wir Pinky wieder, umstellt von Bharatis Frauen. Sie haben sie an eines der Bordelle vermittelt. Junge Frauen bringen viel Geld. Pinky wird für eine Frau arbeiten, die mit einem hohen Polizisten verheiratet ist.
Pinky hatte am Abend zuvor erfahren, dass sie bleiben darf. Und sofort begann sie mit der Arbeit. Sie wollte kein Geld verlieren. Doch auf den zweiten Blick merken wir, wie schwer es ihr fällt. "Wenn ich ehrlich bin, es tut weh. Es bedrückt mich", sagt sie.
"Ich denke nicht nach"
Pinky geht es nicht gut. Das ist nicht schwer zu sehen. Auch die Aufpasserinnen haben das mitbekommen. Aber es bleibt keine Zeit, lange nachzudenken. Sie müssen die Kondome verteilen. Aids ist immer noch ein großes Problem hier. Aber die Kondome kommen zu spät. Pinky hat bereits eine Nacht gearbeitet.
"Ich denke nicht nach. Früher, als ich noch Hoffnung hatte, hatte ich noch Gefühle. Ich habe viel versucht, ich hab gelernt. Aber jetzt habe ich keine Kraft. Ich bin so traurig, wenn ich andere Mädchen aus meinem Dorf sehe, die jetzt studieren", sagt Pinky.
"Jeder arbeitet doch für Geld"
Pinky muss gehen, ein Kunde wartet. Das sagen Bharatis Frauen. Sie müssen aufpassen, dass sie nicht wegläuft. Noch denkt sie vielleicht daran.
"Für mich ist Prostitution kein schlechter Beruf. Wenn eine erwachsene Frau sich dafür entscheidet, dann ist es gut. Viele sagen, die machen das doch nur für Geld. Aber jeder arbeitet doch für Geld, oder?", sagt Bharati Dey
Schwer zu sagen, welche Rolle Bharati und die Frauen hier spielen.
Autor: Gábor Halász, ARD-Studio Neu Delhi
Stand: 15.04.2014 11:24 Uhr
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