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Ägypten: Das Grauen der Mädchen

Ägypten: Das Grauen der Mädchen | Bild: NDR
Porträt des Mädchens Suheir
Suheir starb, als ein Arzt ihre Geschlechtsorgane beschnitt. | Bild: NDR

Suheir hat gerne gespielt und viel gelacht. Sie war ein ganz normales und fröhliches Mädchen, sagt ihr Onkel. Die Mutter macht sich Vorwürfe. Suhair wollte nicht zum Doktor, aber die Mutter ist trotzdem mit ihr zum Arzt gegangen. "Ich habe ihre Hand gehalten nach der Operation und die war eiskalt. Aber ihre Brust war warm. Dann habe ich die Füße angefasst, die waren auch kalt. Und dann habe ich die Hand auf ihre Lippen gelegt und ich habe keinen Atem gespürt“, erzählt Um Amira, die Mutter von Suheir.

Suheir starb, als ein Arzt ihre Geschlechtsorgane beschnitt. Sie wurde 13 Jahre alt. "Wir werden in unserer Familie kein Mädchen mehr beschneiden lassen. Nachdem, was jetzt passiert ist. Nie wieder", sagt Gamal Al Bakea, Onkel von Soheir.

Keine Beschneidung mehr - dort wo Sohair gestorben ist, in einer kleinen Stadt im Nildelta, ist das eine außergewöhnliche Entscheidung. Vor allem in ländlichen Gebieten gilt die Beschneidung von Mädchen als völlig normal.

Beschneidung keine Frage der Religion

Um Murad mit ihrer Tochter Mariam
Um Murad will nicht, dass ihre Tochter Mariam beschnitten wird. | Bild: NDR

Aus der Provinz ziehen die Menschen auf der Suche nach Arbeit nach Kairo  - und so hält sich dieser alte blutige Brauch auch in der Großstadt. Mehr als 90 Prozent der ägyptischen Frauen sind beschnitten. Beschneidung ist keine Frage der Religion - auch Christinnen müssen sie hier erleiden.

"Ich werde meiner Tochter Mariam nicht antun, was sie damals mir angetan haben. Keine einzige meiner vier Töchter wird beschnitten“, sagt Um Murad. In der Kirche wird über Genitalverstümmelung gesprochen. "Wenn mehr Frauen über ihre Erfahrungen berichten", glaubt Um Murad, "wird das mit der Zeit  aufhören". Muslimische und christliche Geistliche predigen schon länger: Weder die Bibel noch der Koran wollen das.

"Ich wehre meinen Mann ab"

Nahed Samir
Nahed Samir kämpft gegen Genitalverstümmelung. | Bild: NDR

Offiziell ist Mädchen-Beschneidung in Ägypten verboten. Als die Islamisten an der Macht waren, wollten einige von ihnen dieses Verbot kippen.

Nahed Samir leitet eine Organisation, die in Kairo gegen Genitalverstümmelung kämpft. Mädchen werden beschnitten, sagt sie, damit sie sittsam sind. Vor allem die Großmütter behaupten, unbeschnittene Mädchen würden zum Spielball ihrer Triebe und mit Sicherheit untreu.

Murad leidet bis heute darunter, dass an ihr vor Jahren etwas weggeschnitten wurde: "Ich wehre meinen Mann immer ab, wenn er zu mir kommt. Ich will das nicht. Ich weiß selber nicht, warum, es hängt wohl damit zusammen, was sie mir angetan haben. Wenn er zärtlich wird, nervt mich das. Ich habe einfach keine Lust auf so was."

Beschnittene Frauen gelten als tugendhaft. Und was Tugend bedeutet, bestimmen Männer. "Es kommt vor, dass ein Mann eine perfekte Ehefrau nicht heiraten will, nur weil sie nicht beschnitten ist. Warum? Weil der Mann Angst hat. Er fürchtet, dass er allein ihr sexuell nicht genügt und sie ihn früher oder später betrügt", erzählt Nahed Samir.

Aufklärung bringt langsame Veränderung

Gynäkologin Mawaheb Al Mowafi
Gynäkologin Mawaheb Al Mowafi setzt auf Aufklärung. | Bild: NDR

Aufklären hilft, meint die Gynäkologin Mawaheb Al Mowafi. Ein Umdenken habe schon eingesetzt. Die Beschneidung hat mit den ungeschriebenen Regeln der männerbestimmten Gesellschaft Ägyptens zu tun: Männer können mehrere Frauen haben, Fremdgehen wird toleriert, männliche Potenz ist positiv. Frauen dürfen das alles nicht einmal denken. Dieser Teil des Lebens wird ihnen abgeschnitten. "Früher haben Hebammen und Barbiere den Eingriff vorgenommen. Heute sind es Ärzte - drei von vier Beschneidungen macht ein Doktor. Es ist verboten, aber es wird gut bezahlt", erzählt Mawaheb Al Mowafi

"Es ist schwer, einen Arzt dabei zu erwischen. Normal ist eine geheime Absprache zwischen den Eltern und dem Arzt. Es passiert in der Praxis oder Zuhause bei dem Mädchen. Keiner weiß was davon. Man bekommt es nur mit, wenn es Komplikationen gibt bei dem Mädchen. Oder wenn das Mädchen stirbt."

"Gott will das nicht"

Der Kampf gegen Beschneidung ist ein Kampf gegen tief verwurzelte kulturelle Prägungen. Weil es schon immer so war, sind Veränderungen mühsam. Aber anders als früher können Frauen heute Nein sagen, so wie Um Murad. "Meine Mutter, hat gesagt: 'Du musst deine vier Mädchen beschneiden lassen. Die  machen dir sonst nur Ärger. Und ihren Männern auch.' Aber ich habe es trotzdem nicht gemacht."

"Gott will das nicht und es macht mir Angst. Es ist doch einfach nicht richtig, kleine Mädchen zu beschneiden“, sagt Mariam. "Ich habe mich mein ganzes Leben gefühlt, als wäre ich nicht vollständig", sagt Mariams Mutter. Das sollte ihre Tochter erspart bleiben.

Autor: Volker Schwenck, ARD-Studio Kairo

Stand: 11.06.2014 14:46 Uhr

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