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China: Auslieferer am Limit

China: Auslieferer am Limit  | Bild: WDR

"Ihr könnt mich Wang Tao nennen. Ich will lieber nicht mit echten Namen hier auftauchen. Wenn jemand fragt, was ich bin, sage ich: ein Essensauslieferer. Andere Menschen haben Sonntags frei und Urlaub. Wir haben das nicht. Das Leben in Peking ist nur Stress. Es gibt hier für mich nichts Schönes. Nur manchmal höre ich einen Kunden 'Danke' sagen. Und der Moment abends, wenn ich auf meinen Tagesverdienst schaue."

Wang Tao hat uns in sein Pekinger Zuhause eingeladen. Am Vortag hat er bis Mitternacht gearbeitet. Jetzt ist es neun Uhr morgens. Wang Tao teil das Zimmer und das Bett mit einem anderen Wanderarbeiter. Heizung haben sie nicht. "Sobald es draußen friert, habe ich drinnen kein Wasser mehr. Dann muss ich raus zur Öffentlichen Toilette zum Zähneputzen und Gesichtwaschen", erzählt er.

Abzüge verknappen das Einkommen

Peking ist teuer. Umgerechnet 65 Euro zahlt er im Monat für das Zimmer. Alles Geld was übrig bleibt, schickt er in die Heimat. Zu seiner Frau und seinen drei Kindern. "Nur wenn ich sowas wie 58 Euro am Tag verdiene, habe ich mehr Einnahmen als damals in der Fabrik. Aber es ist hart, ich komme den ganzen Tag ins Schwitzen", sagt Wang Tao.

China: Knallharte Arbeitsbedingungen für Essensauslieferer
China: Knallharte Arbeitsbedingungen für Essensauslieferer | Bild: WDR

Seine Arbeit macht er  im Laufschritt. Wie viel Zeit er pro Wegstrecke hat, definiert die Essens-Plattform, für die er arbeitet. Sie weist ihm auch die Aufträge zu. Manchmal lukrative, oft unrentable: "Pro Tag brauche ich 30 gute Bestellungen. Hier, das sind alles nur schlechte, 65 Cent pro Auslieferung." Mehr als zwei Euro pro Bestellung verdient er so gut wie nie. Und wenn er die vorgegebenen Zeiten nicht einhält, wird er abgestraft. "Verspätungen führen zu Verdienstabzügen. Die Regel jetzt ist: bei fünf bis zehn Minuten Verspätung gibt es über 60 Cent Abzug. Ich bin schon völlig durchgeschwitzt. Jetzt wegen des Drucks: Ich muss hier warten, bis die Gerichte fertig sind. Das stresst mich!", erzählt der Essensauslieferer.

Ganz Peking ist mittags im Stress. Selbst kochen? Essen gehen? Keine Zeit! Eine bestellte Mahlzeit gibt es schon ab 2,50 Euro. Zehn Bestellungen hat Wang Tao nun. Er könnte mehr Abzüge durch Verspätungen bekommen als Einnahmen durch das Ausliefern.

Proteste werden im Keim erstickt

Etwa sieben Millionen Essensauslieferer arbeiten in China. Aufnahmen von Anfang März. Ein Protest gegen die Billiglöhne. Er engagiert sich für fairere Arbeitsbedingungen – Chen Guaojiang. Der 31-Jährige ist selbst Auslieferfahrer. Wir waren auf seine Videos im Internet aufmerksam geworden. Dort gibt er Kolleg*innen Hilfestellungen, zeigt gemeinsame Abendessen, die er für Auslieferfahrer*innen organisiert. 

China: Etwa sieben Millionen Essensauslieferer gibt es im gesamten Land
China: Etwa sieben Millionen Essensauslieferer gibt es im gesamten Land | Bild: WDR

Chen Guaojiang hat aus Einzelkämpfer*innen eine Gruppe gebildet. Von allen wird er respektiert. Doch plötzlich sind seine Videos nicht mehr auffindbar. Ende März verschwindet Chen Guaojiang. Unser Kontakt zu ihm bricht ab. Zwei Wochen später bekommen seine Eltern einen Brief von der Polizeiwache, in der ihr Sohn festgehalten wird. Niemand will sich zu dem Fall vor der Kamera äußern. Eine Freundin von ihm erzählt uns, Chen Guaojiang sei offenbar zu einflussreich geworden: "Alle, die sich für ihn einsetzen wollten, auch eine Anwaltskanzlei, wurden von der Staatssicherheitspolizei gewarnt, sich hier zu engagieren."

Trotz Sozialismus. Verbrüdern dürfen sie sich nicht. Vom Staat streng überwacht, von Algorithmen der Essensplattform gesteuert. Zurück zu Wang Tao. Er rennt noch, um seine zehn Bestellungen abzugeben: "Puh, alles ausgeliefert! Ich habe die Kunden vom Moped aus angerufen. So hat es geklappt. Jetzt schwitze ich."

Trinkgeld gibt es so gut wie nie. Die Fahrer*innen gehören zum Komfort der aufstrebenden Mittelklasse. "Ich arbeite nur. Ich wüsste gar nicht, was ich mit Freizeit anfangen würde. Wen könnte ich treffen? Alle, die ich hier kenne, arbeiten und haben keine Zeit", sagt Wang Tao und fügt hinzu: "Wenn du arm bist, schauen die Leute auf dich runter. Sie werten dich als unfähig ab. Das ist das Phänomen von Peking. Darum reden die Leute hier nur von Geld. Die häufigste Frage ist: Wie viel Geld hast du verdient? Wie viel hast du letztes Jahr verdient, wie viel hast du dieses Jahr verdient? Auch ich selbst missachte den Job. Aber wir tun es für die Familie zuhause."

Autorin:  Tamara Anthony / ARD Studio Peking

Stand: 25.04.2021 20:25 Uhr

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