So., 08.09.13 | 19:20 Uhr
Das Erste
Mexiko: Tijuana – Grenzstadt mit zwei Gesichtern
Ort der verlorenen Träume
Die Mexikaner trennte bis vor wenigen Jahren nur eine rostige Wand von den Vereinigten Staaten. Deshalb konnten Millionen von Lateinamerikanern, die von einem besseren Leben träumten, die Grenze illegal überqueren. Seit Obama neue Grenzanlagen bauen ließ, schaffen das nur noch Wenige. Umgekehrt wurden allein im vorigen Jahr 300.000 Illegale aus den USA nach Mexiko deportiert.
Im vermüllten Flussbett des Rio Tijuana sind viele von ihnen gestrandet. Virginia Sanchez kam ohne Geld und Papiere zurück in ein Land, das sie kaum kennt.
Virginia Sanchez
Wer wie sie fast sein ganzes Leben in den USA verbracht hat, für den ist Mexiko ein fremdes Land.
Roberto Marquez kam als Kind nach San Diego. Mit 17 wurde er Vater. Sein Traum endete, als er im Streit einen Mann erschlug. Mit Gatitio, den er hier traf, teilt er sich seit drei Jahren ein Erdloch im Flussbett. Denn als er aus dem Gefängnis kam, wurde er ausgewiesen, ohne sich von seinem Kind verabschieden zu können.
Roberto Marquéz
Sein Sohn ist erwachsen und lebt in den USA. Wenn sich eine Chance ergibt, dann will er wieder rüber. Nur wie, das weiß er nicht.
Roberto Marquéz
Nur hundert Meter weg vom Kanal tobt sich das andere Tijuana aus! Die Nähe zu den Staaten bringt der Stadt auch Aufschwung, Industrie, junge Leute, die Geld verdienen wollen, und genügend, die das auch tun.
Sergio Gonzalez, Besitzer La Mescalera Bar
Um zwei Hektar wächst sie - jeden Monat. Und statt Billigproduktion kommt aus den neuen Montagehallen immer öfter auch Hightech, vor allem für die USA.
Vor vier Jahren noch wütete in Tijuana Drogenkrieg und abends hat sich keiner vor die Tür getraut. Heute kommen Arbeiter aus dem ganzen Land.
Saul de los Santos, Direktor Industrieverband Tijuana
Deshalb versuchen Privatinitiativen und die Kirche den Ärmsten zu helfen. Sonst würden hier jeden Tag Menschen aus dem Kanal verhungern.
Pater Ernesto Hernández
Doch die Deportierten wollen es gar nicht hier in Tijuana schaffen. Wer hier frühstücken muss, den interessiert weder das glitzernde Nachtleben, noch die Arbeit in den Fabrikhallen, sondern nur der nächste Schlepper, der sie für 1000 Dollar über die Grenze und dann durch die mörderische Wüste bringt – weg aus Tijuana:
Wir haben nur einen getroffen, der nicht mehr weg will: Bruno Alvarez. Auch er lebte in einem Erdloch im Kanal und auch er hat hier gefrühstückt, bis der Pater ihm Arbeit und ein Bett gab.
Mit uns geht er noch einmal hinunter. Er will zeigen, wie wenig ein Deportierter in Tijuana wert ist und wie sie hier leben. Er landete hier, nachdem die amerikanischen Polizisten ihn aus seinem Haus geholt und nach Mexiko deportiert hatten. Sie trennten ihn von seiner Frau, seinen zwei Kindern und zwei Enkeln, die bleiben durften.
Bruno Alvaréz
Die Polizeipatrouillen sind verhasst bei den Kanalbewohnern. Umgekehrt sind die Sympathien ebenso begrenzt, auch wenn Edwin Montes erzählt, die Polizei wolle nur helfen.
Edwin Montes, Chef der Polizeieinheit Touristenzone
Victor Clark, Direktor Binationales Zentrum für Menschenrechte
2000 Kanalbewohner sagt man, die keiner will, die auch nicht hier sein wollen und doch nicht weg können. Am wenigsten können sie auf die andere Seite des Zauns, obwohl die ihnen so viel bedeutet. Doch der Zaun wird immer tödlicher für illegale Grenzgänger. Und so ändern nach und nach ein paar wenige ihre Meinung und bleiben damit doch die Ausnahme.
Bruno Alvaréz
Roberto Marquéz
Autor: Peter Sonnenberg / ARD Mexiko-Stadt
Stand: 15.04.2014 10:58 Uhr
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