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Bangladesch: Textilbranche unter Kontrolle?

Bangladesch: Textilbranche unter Kontrolle? | Bild: WDR

Es sind vor allem Frauen, die als Näherinnen in die Textilfabriken strömen. Jeden Morgen, punkt acht Uhr. Sechs Tage die Woche. Schichtbeginn in der Sonderwirtschaftszone am Stadtrand von Dhaka. Azhar Siddik kommt seit ein paar Wochen jeden Tag, um nach Arbeit zu fragen, aber: Keine Chance. Dabei hat Siddik Erfahrung. Aber jeden Job will er auch nicht annehmen.

Rolle der Frau hat sich verändert

Bangladesch: Vor allem Frauen finden Arbeit in der Textilfabrik
Bangladesch: Vor allem Frauen finden Arbeit in der Textilfabrik | Bild: WDR

"Es gibt viele kleine Fabriken, die bezahlen nicht einmal den staatlichen Mindestlohn von umgerechnet 100 Euro im Monat. Da verdienst du dann vielleicht nur 80. Das will ich nicht. In diesen schlechten Fabriken lassen sie dich manchmal bis zwei Uhr morgens schuften", erzählt Azhar Siddik, Arbeitssuchender. Auf der Straße: Illegale Vermittler, die angeblich bei der Jobsuche helfen und dafür Geld verlangen. Das wird von den privaten Sicherheitsdiensten der Fabriken gar nicht gerne gesehen. Sofort kommen Wächter.

Azhar Siddik macht sich unverrichteter Dinge auf den Heimweg. Er lebt in einem Dorf ganz in der Nähe. Das heißt, bis vor kurzem war hier noch ein Dorf. Doch seitdem die Textilindustrie boomt, sind etwa 1,5 Millionen Menschen hierhergezogen. In der Hoffnung auf Arbeit.

Zu Hause wartet seine Frau Akter Begum. Sie arbeitet als Näherin, verdient sogar 150 Euro im Monat. Nach ihrer Schicht managt sie den Haushalt. So geht es in vielen Familien. Durch die Jobs in der Textilindustrie hat sich die Rolle der Frau verändert. Akter Begum hat jetzt eine Doppelbelastung.

"Natürlich ist das sehr schwierig. Aber was soll ich denn machen? Ich habe doch gar keine andere Wahl, als für die gesamte Familie zu sorgen. Es ist egal, wie es mir dabei geht. Ich muss meinen Job machen", so Akter Begum, Näherin.

Hohes Drogenproblem wegen Textilindustrie

Bangladesch: In mehr als viertausend Betrieben arbeiten etwa vier Millionen Menschen
Bangladesch: In mehr als viertausend Betrieben arbeiten etwa vier Millionen Menschen | Bild: WDR

Die Familie lebt in einem Zimmer. Mutter, Vater, zwei Töchter. Heute ist noch die Großmutter zu Besuch. Azhar Siddik kommt nur schwer damit zurecht, dass er von seiner Frau abhängig ist. Eine Zeit lang hat er versucht, seinen Frust mit Drogen zu betäuben. Zuerst Yabba, eine chemische Droge wie Ecstasy. Später Heroin. Seit ein paar Wochen ist er clean. Trotzdem checkt ihn Akter Begum auf Einstichspuren. Sicher ist sicher.

"Ich hatte meinen Job verloren. Seitdem lastet der ganze Druck auf den Schultern meiner Frau. Ich habe ihr manchmal den Lohn gestohlen, um Drogen zu kaufen. Meine Frau und die Kinder haben dann gehungert. Ich konnte den Kindern nicht mal Schulsachen kaufen", erzählt Azhar Siddik.

Nachmittags geht Azhar Siddik manchmal noch zur Drogenberatung. Die katholische Caritas ist eine der wenigen Organisationen, die sich im muslimischen Bangladesch um Abhängige kümmert. Es sind ausschließlich Männer, die hierherkommen. Seitdem die Textilindustrie boomt, ist das Drogenproblem in den Bezirken rund um die Textilfabriken förmlich explodiert. Die Regierung geht davon aus, dass es in Bangladesch fast sieben Millionen Schwerstabhängige gibt. Die meisten nehmen Yabba und Heroin.

"90 Prozent der Menschen hier im Viertel sind aus allen Landesteilen von Bangladesch zugezogen. Das Problem ist, dass es überhaupt keinen sozialen Zusammenhalt gibt, keine Nachbarschaft. Und wenn dann noch Arbeitslosigkeit dazukommt, dann steigt der Frust und viele Männer greifen zu Drogen", so Jyoti Gomes, Caritas Bangladesh.

Zweitgrößtes Textilexportland weltweit

Bangladesch: Bangladesch ist nach China der zweitgrößte Textilexporteur
Bangladesch: Bangladesch ist nach China der zweitgrößte Textilexporteur | Bild: WDR

Doch die Textilindustrie hat nicht nur Probleme nach Bangladesch gebracht. Das Land gehört zu den am stärksten wachsenden Volkswirtschaften der Welt. Vor einigen Monaten verkündeten die Vereinten Nationen, dass Bangladesch schon bald nicht mehr zur Gruppe der ärmsten Länder der Erde gehören wird. Bangladesch ist nach China das zweitgrößte Textilexportland weltweit. Seit einigen Jahren versucht die Textilindustrie ihr ausbeuterisches Schmuddel-Image loszuwerden. Die meisten der Fabriken, die für den Export arbeiten, wurden auf Druck der westlichen Bekleidungsindustrie modernisiert. Großkonzerne wie KiK, H&M oder Lidl verlangen die Einhaltung von Arbeitsschutz. Aber dafür bezahlen würden sie nicht, beklagen die Fabrikchefs.

Bangladesch ist nach China das zweitgrößte Textilexportland weltweit. Seit einigen Jahren versucht die Textilindustrie ihr ausbeuterisches Schmuddel-Image loszuwerden. Die meisten der Fabriken, die für den Export arbeiten, wurden auf Druck der westlichen Bekleidungsindustrie modernisiert. Großkonzerne wie KiK, H&M oder Lidl verlangen die Einhaltung von Arbeitsschutz. Aber dafür bezahlen würden sie nicht, beklagen die Fabrikchefs.

"Eigentlich müssten auch die Kunden im Westen bereit sein, mehr für Kleidung zu bezahlen. Sonst können wir unseren Arbeitern keinen angemessenen Lebensstandard ermöglichen", fordert Eklasur Rahman Mukul, Direktor GIANT Textilfabrik.

Europäische Standards nicht von allen gern gesehen

In der Tat haben viele Fabriken in Sicherheit investiert. Feuerschutz und Gebäudestatik werden seit 2013 von europäischen Prüfern überwacht. Wer die Standards nicht erfüllt, bekommt keine Aufträge mehr. So ist es unter anderem diesem Unternehmen ergangen. Die Firma ging daraufhin Bankrott. Der Besitzer findet es anmaßend, dass die Europäer in Bangladesch europäische Standards durchsetzen wollen.

"Sie entscheiden nur nach ihren Papieren. Aber sie haben keine Ahnung. Unsere Regierung sollte das entscheiden. Es geht schließlich um 5.000 Arbeitsplätze und ich habe 30 Millionen Euro investiert. Das ist jetzt alles verloren", erzählt Mozammel Huq, Besitzer 'Liberty Fashion'. Die Fabrikbesitzer üben Druck auf die Politik aus. Das wirkt. Auch die Regierung von Bangladesch will die europäischen Prüfer jetzt am liebsten loswerden. Deren Chef hält dagegen.

"Wir denken, dass die zuständige Regierungsbehörde noch lange nicht in der Lage ist, die Sicherheitsbestimmungen angemessen zu kontrollieren. Wir arbeiten noch daran, sie dazu in die Lage zu versetzen, damit sie das irgendwann selbst können", so Rob Wayss, Vorsitzender 'Accord'-Abkommen für Arbeitssicherheit.

Über solche Fragen macht sich die Familie von Azhar Siddik keine Gedanken. Das Geld, das die Mutter verdient, reicht gerade zum Überleben. Auch deshalb will Vater Azhar so schnell wie möglich einen Job finden. Die Töchter sollen weiter zur Schule gehen können. Sie sollen es einmal besser haben, sagt er.

Bericht: Peter Gerhardt/ ARD Studio Neu Delhi

Stand: 17.03.2019 20:00 Uhr

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