So., 25.02.24 | 18:30 Uhr
Das Erste
Israel: Mit Notärzten im Gaza-Einsatz
Kairo, kurz vor vier Uhr morgens. Eliezer Rodriguez Colmenares will dorthin, wo sonst kaum jemand hinkommt. Der Notfallmediziner aus Venezuela gehört zu einem Freiwilligen-Team aus Ärzten, Rettungssanitätern und Krankenpflegern. Das Ziel: Gaza. "Wir werden 24 Stunden lang, jeden Tag allen Gefahren ausgesetzt sein, die uns dort drohen, darüber müssen wir uns bewusst sein. Im schlimmsten Fall können wir dort sterben, bei unserer Arbeit, die wir so lieben, bei unserer Mission dort."
Eli hat so wie die anderen hier Erfahrung in Kriegsgebieten, war monatelang in der Ukraine, nach Gaza fährt er zum ersten Mal. Zehn Minuten, dann geht es los, sagt Rettungssanitäter Thorsten. Er leitet diesen Einsatz der deutschen Hilfsorganisation Cadus. Spenden finanzieren auch diesen Einsatz. Alles, was sie brauchen, nehmen sie mit: Verpflegung für zwei Wochen, Medikamente, Verbandszeug.
Fast fünf Monate Krieg
Sieben Stunden Busfahrt liegen vor ihnen nach Gaza. Seit fast fünf Monaten herrscht hier Krieg. Nahezu 30.000 Tote, etwa 70.000 Verletzte laut palästinensischen Angaben. Es ist der massivste israelische Militäreinsatz in der Geschichte des Gazastreifens – als Reaktion auf die Hamas-Terrorangriffe am 7. Oktober.
Am Nachmittag dann Ankunft am Grenzübergang Rafah. Dreieinhalb Stunden haben die Kontrollen gedauert. Die Nothelfer gehören zu den ganz wenigen, die überhaupt nach Gaza reindürfen. Auch der erfahrene Einsatzleiter Thorsten ist zum ersten Mal hier: "Es wäre albern oder vermessen zu glauben, dass wir irgendwie… wir werden das Leiden und die Situation overall nicht beenden. Wir werden aber hoffentlich das Leben von einzelnen Leuten positiv beeinflussen können. Das ist die Hoffnung."
Rafah sei ein einziges großes Flüchtlingslager, sagt Torsten. Mehr als 1,4 Millionen Menschen harren hier aus, hatten auf Sicherheit gehofft. Doch auch hier kommt es zu Angriffen. Möglicherweise bald zu einer israelischen Bodenoffensive. Das Militär geht davon aus, dass sich hier Hamas-Kämpfer verstecken. Und mitten in der Zeltstadt ist das Feldkrankenhaus des palästinensischen Roten Halbmondes. Thorsten und sein Team werden sie unterstützen.
Zugang zur Basic-Gesundheitsversorgung icht mehr gegeben
Der erste Patient ist ein 14-jähriger Junge mit starken Bauchschmerzen. Elis Verdacht: Hepatitis. Die Krankheit breitet sich wegen der schlechten Hygiene grade im Gazastreifen aus. Der Junge bekommt ein Schmerzmittel, Eli untersucht ihn weiter, fragt, was er gegessen und getrunken hat.
Währenddessen wird ein weiterer Patient eingeliefert – auf einem Eselskarren. Vor zehn Tagen sei sein Haus getroffen worden, erzählt er den Ärzten. Erst nach drei Tagen habe man ihn geborgen. An seinem Bein Schrapnellwunden. Sie haben sich entzündet. Die Ärzte müssen schnell handeln, eine schwierige Entscheidung treffen: Eigentlich braucht der Mann bei diesem Eingriff eine Narkose – doch dafür fehlt ihnen die Infrastruktur im Zelt. Also ohne? Das würde große Schmerzen bedeuten.
Für den Jungen ein paar Betten weiter gibt es Entwarnung. Keine Hepatitis, sagt Eli, die Leber sei nicht erkrankt. Er vermutet eine Lebensmittelvergiftung, auch das weit verbreitet, weil es kaum sauberes Wasser und Essen gibt. "Der Zugang zur Basic-Gesundheitsversorgung ist einfach nicht mehr gegeben. Krankenhäuser wurden zerstört, es gibt viel mehr Menschen hier als auch das normale Gesundheitssystem hätte bewältigen können. Und jetzt mit dieser Situation hier sind alle völlig überfordert", sagt Thorsten Schroer.
Deshalb versuchen Eli und die anderen auszuhelfen. Er hat keine Wahl, muss den Eingriff beginnen – auch ohne Narkose. Nur so kann die Entzündung behandelt werden. "In einem so gefährlichen Umfeld zu arbeiten, kann sehr stressig sein, das ist ein aktives Kriegsgebiet, wir hören dauernd Explosionen und Schüsse in unserer Nähe, aber es ist Teil unserer Ausbildung, ruhig und konzentriert zu bleiben."
Der junge Mann hat den Eingriff überstanden. Das Nothelferteam wird zwei Wochen hierbleiben. Was sie noch erwartet, wissen sie nicht. Nur eines wissen sie alle, die Gedanken und Emotionen, die sie von hier mitnehmen, werden sie erst in ruhigen Momenten verarbeiten können.
Autorin: Sophie von der Tann, ARD-Studio Tel Aviv
Stand: 25.02.2024 20:35 Uhr
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