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Russland: Suche nach Vermissten privatisiert

Helfer im Wald auf der Suche nach Vermissten
Die private Organisation "Liza Alert" sucht seit zehn Jahren in Russland nach Vermissten | Bild: imago

Weil sich die Behörden in Russland aus Personalmangel so gut wie nicht um Vermisste kümmern, hat eine Organisation die Suche nach Verschwundenen in die Hand genommen. Knapp 20.000 Menschen im ganzen Land werden jedes Jahr so wiedergefunden, die sonst verschwunden blieben.

Verirrt beim Pilze-Sammeln

Der Anruf kommt mitten in der Nacht. Ein Mensch wird vermisst. In einem Waldstück, 120 Kilometer von Moskau entfernt. Sofort macht sich Natalia Kiritschewa, die junge Freiwillige von Lisa Alert, auf den Weg. Nach einem langen Arbeitstag im Büro.

Frau mit Taschenlampe im Dunkeln
Nicht immer ist die Suche erfolgreich  | Bild: SWR

Inzwischen sind auch andere Freiwillige eingetroffen, die heute die ganze Nacht über suchen wollen. Jede Stunde zählt bei Minusgraden, tags zuvor war Schnee gefallen. "Tagsüber sind unsere Leute hier schon durchgegangen", erklärt Wladimir Michajlow, der diese Suche leitet. "200 Meter weit haben sie es geschafft. Jetzt versuchen wir das restliche Stück zu durchkämmen. Wir suchen einen alten Mann, 80 Jahre alt. Er hat warme Sachen an. Es gibt Hoffnung." Oft sind es ältere Menschen, die sich verirren. Die Beeren und Pilze sammeln. Für die nächste Mahlzeit. Oder Holz für den Ofen im Winter. Ohne Kompass verliert man in den undurchdringlichen Wäldern Russlands schnell die Orientierung.

19.000 gerettete Menschen

25.000 derartige Suchaktionen gab es im vergangenen Jahr. 19.000 Menschen verdanken Lisa Alert ihr Leben. Kurze Lagebesprechung in einer Waldlichtung. Dann geht es weiter. Plötzlich entdeckt Natalia etwas im Schnee. Diese Schuhe, sie könnten dem Vermissten gehören. Natalia will Fotos an die Angehörigen schicken. "Bei Unterkühlung ziehen sich Menschen aus. Vielleicht hat er sie auch einfach beim Gehen verloren." Am nächsten Morgen übernehmen andere Freiwillige die Suche im Wald. In der nahen Kleinstadt Jegorjewsk. haben sie Plakate aufgehängt. Doch der Vermisste bleibt noch immer verschwunden.

Mitarbeiter von Lisa Alert
Seit zehn Jahren sucht "Lisa Alert" nach Vermissten | Bild: SWR

Regelmäßig treffen sich Hunderte Freiwillige aus ganz Russland zu Übungen. Lisa Alert gibt es seit 2010. Damals verschwand die fünfjährige Lisa im Wald. Nur die Angehörigen suchten nach ihr, Hilfe hatten sie keine. Die kleine Lisa starb. So etwas sollte nie wieder passieren. Sagt Oleg Leonow, Koordinator bei Lisa Alert. "Was auch immer die Behörden machen, sie können nicht gleichzeitig viele Menschen an mehreren Stellen versammeln. Normalerweise haben wir nicht einen Vermissten an einem Ort, sondern mehrere Vermisste an verschiedenen Orten. Die Behörden haben einfach nicht genug Leute."

Von den Behörden im Stich gelassen

Von der Polizei fühlen sich die Angehörigen im Stich gelassen. Die Suche wäre die Aufgabe der Behörde. Doch die Beamten sind völlig überfordert. So werden die meisten Vermisstenmeldungen einfach zu den Akten gelegt. Immerhin, mittlerweile werden die Fälle an Lisa Alert weitergegeben. Wie auch im Fall von Lidija Krylowa. Vier Tage lang irrte die alte Frau letzten Sommer durch den sie im Wald bei Naro-Fominsk, 90 Kilometer von Moskau entfernt. Dann fanden die Freiwilligen sie endlich. Bilder von der Rettung, die die Helfer selbst gedreht haben.

Vermisste Frau umarmt Retter
Endlich gefunden ! | Bild: SWR

Heute ist ihr Enkel zu Besuch gekommen. Immer und immer wieder erzählt sie ihm von den vier Tagen allein im Wald. Von ihrer Angst, nicht gefunden zu werden. "Ich habe nach Beeren gesucht", sagt Lidija. Am zweiten Tag hatte ich Durst. Ich aß die Beeren. Es regnete und ich konnte ein Blatt mit Tropfen drauf zum Mund führen. Dort, wo man mich entdeckte, gab es die Birken und ein kleines Feld. Mit Ästen habe ich mit großen Buchstaben das Wort 'Hilfe' ausgelegt. Ich dachte – vielleicht sieht das jemand. Vielleicht ein Hubschrauber." Lidija Krylowa: Ohne Lisa Alert würde sie heute wohl nicht mehr leben.

Im Wald bei Jegorjewsk geht die Suche nach dem verschwundenen alten Mann weiter. Im Dickicht finden sie einen Einkaufszettel. Er gehörte nicht dem Verschwundenen. Das ist schnell klar. Und was ist mit den Schuhen, die sie gefunden hatten? "Wir haben keine neuen Informationen. Die Stiefel, sie sind nicht von ihm." Nicht immer ist Lisa Alert erfolgreich. Noch acht Tage und Nächte suchen die Freiwilligen nach dem alten Man. Dann erfährt Natalia: Er hat nicht überlebt.

Autor: Jo Angerer, ARD-Studio Moskau

Stand: 10.02.2020 10:32 Uhr

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