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Russland: Moskaus Jugend protestiert für mehr Freiheit

Russland: Moskaus Jugend protestiert für mehr Freiheit | Bild: NDR

Eigentlich ging es "nur" um die Kandidatenlisten für den Stadtrat von Moskau, inzwischen protestieren die zumeist jungen Menschen für mehr Freiheit und weniger Unterdrückung durch die staatlichen Organisationen. Wegen angeblicher Formfehler wurden viele oppositionelle Kandidaten von der Wahl ausgeschlossen: "Geben Sie Moskau die Wahlen zurück", stand deshalb auf vielen Plakaten auf den jüngsten Demonstrationen in der russischen Hauptstadt. Die Polizei geht häufig mit Härte gegen die Oppositionellen vor.

"Sie stehlen uns die Wahl – Und die Zukunft"

Vor einem Monat begannen die Proteste. Ljubow Sobol und ihre Mitstreiter hatten gerade erfahren, dass ihre Kandidaturen für den Stadtrat wohl abgelehnt werden würden. Für die Zulassung zur Wahl mussten sie jeweils 5.000 Unterschriften von Unterstützern vorweisen. "Sie sagen, die Unterschriften seien gefälscht – auch die meiner Familie, meiner Freunde, die wir persönlich gesammelt haben. Sie sagen einfach, wir hätten die nachgemacht. Sie stehlen uns die Wahl. Und die Zukunft", sagt die 31-jährige Juristin Ljubow. Seitdem protestieren sie jede Woche. Vor fast jeder Demo wird Ljubow von der Polizei aus ihrem Büro abgeführt. Sie postet alles live, bis das Video, das sie dreht, abbricht. Man will sie nicht reden lassen.

Wenig Hoffnung auf Liberalisierung

Zehntausende kamen am vergangenen Wochenende. Für Moskau ist das viel. Vor allem junge Leute sind da. Und viele, deren Unterschriften einfach nicht gezählt wurden. Aber es geht längst nicht mehr nur um die Wahl. Es geht um Bürgerrechte. Und auch ums Grundsätzliche. "Die Wahl zum Stadtparlament war nur der Auslöser. Die dreiste Ablehnung der Kandidaten hat in den Leuten das Gefühl geweckt: das war es jetzt. Es gibt keine Hoffnung mehr auf Liberalisierung. Viele denken: Jetzt haben wir nicht mal mehr die Imitation von Demokratie", sagt der Soziologe Lew Gudkow vom Lewada-Zentrum.

Für Putin zählt das "andere Volk"

"Putin müsste verstehen, dass es eine Botschaft an ihn ist, die die Leute senden. Sie signalisieren ihm, dass sie sich gedemütigt fühlen. Aber er ignoriert sie. Als gäbe es diesen Teil des Volks nicht. Für ihn zählt ein anderes Volk", so Andrej Kolesnikow von der Carnegie-Stiftung. Und für das "andere Volk" inszeniert Präsident Putin sich nach altbekannter Manier. Am Tag der bisher größten Demo war er auf der Krim, zusammen mit seinen Freunden vom Rocker-Club "Nachtwölfe". Die gelten als offen nationalistisch. Sie feierten das zehnjährige Bestehen ihrer Biker-Show. "Es gefällt mir sehr, dass solche männlichen, heldenhaften Kerle den jungen Leuten in unserem Land ein Vorbild sind. Sie zeigen, wie man zu Russland stehen muss. Ich danke euch sehr, ich wünsche euch alles Gute", lobt Putin die Rocker.

Abschreckung um jeden Preis

Protest soll offenbar kein Vorbild für die Jugend sein, erst recht, wenn er nicht genehmigt ist.  Mit Schlagstöcken geht die Polizei vor gegen friedliche Demonstranten. Härte und Brutalität, die viele erschüttert. Mehr als 1.300 Menschen werden laut Bürgerrechtlern allein an einem Wochenende festgenommen, am nächsten nochmal 1.000. Anscheinend wahllos werden Leute gegriffen. Das Erstaunliche: Den Behörden scheint völlig egal, dass diese Bilder um die Welt gehen. Sie sollen abschrecken. Es gibt hier auch kleinere Proteste. Einzel-Mahnwachen, im Abstand von mindestens 50 Metern voneinander. Die einzige Form von Protest, die ohne Genehmigung möglich ist. "Wenn die Polizei so brutal zuschlägt, dann ist das, finde ich, eine Demütigung der ganzen Gesellschaft. Unser Volk hat einen starken Gerechtigkeitssinn – und der wird mit Füßen getreten. Die Leute sind empört, überall wird jetzt geredet", erklärt Andrej Morew von der Jabloko-Partei. Der Protest richtet sich längst auch gegen den Präsidenten. Dennoch, die Demonstrationen sind vor allem ein städtisches Phänomen. Zwar sind Putins Beliebtheitswerte stark gesunken – doch landesweit würde er noch immer jede Wahl gewinnen.

Autorin: Ina Ruck, ARD-Studio Moskau

Stand: 19.08.2019 08:45 Uhr

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