SENDETERMIN Do., 11.05.23 | 05:30 Uhr

Service: ADHS bei Erwachsenen

mit Sabine Krämer, Fachärztin für Psychiatrie u. Psychotherapie

Service: ADHS bei Erwachsenen | Video verfügbar bis 11.05.2025 | Bild: WDR

ADHS entsteht im Kindesalter – erste Anzeichen treten vor dem 12. Geburtstag auf. Bei ADHS handelt es sich um eine neurobiologische Erkrankung und zwar um eine Funktionsstörung in jenen Teilen des Gehirns, die für Aufmerksamkeit, Konzentration, Planung von Handlungsabläufen, Problemlösung und Impulskontrolle zuständig sind.

ADHS

Das Phänomen des Zappelphilipps oder eines Hans-guck-in-die -Luft aus dem "Struwwelpeter" wurde von Heinrich Hoffmann schon 1871 erfasst. Franz Cramer und Hans Pollnow forschten in den 1930er Jahren zur Hyperkinetischen Störung im Kindesalter, wie sie damals genannt wurde. Doch erst nach 1968 nahm in den USA die Wissenschaft den Faden auf und untersuchte das, was seit 1987 unter dem Namen Attention Deficit Hyperactivity Disorder (ADHD) firmiert. In den 1990ern rückte dort auch ADHS bei Erwachsenen stärker in den Fokus.

Ursachen von ADHS

Es gilt als gesichert, dass bei ADHS ein Ungleichgewicht bestimmter Botenstoffe (Neurotransmitter, v.a. Dopamin und Noradrenalin) in diesen Hirnbereichen besteht. Diese neurobiologisch bedingte Funktionsstörung wird durch genetische und Umweltfaktoren bedingt, wobei die genetische Komponente im Vergleich zu anderen Erkrankungen im psychiatrischen Gebiet besonders ausgeprägt ist. Auch wenn eine starke genetische Verursachung bekannt ist und auch schon einige verantwortliche Gene identifiziert werden konnten, weiß man noch nicht genug zum Beispiel über den Vererbungsweg oderandere Einflussfaktoren auf dem Weg vom Gen zur Erkrankung.

ADHS bei Erwachsenen

Sie ecken an, kriegen ihr Leben nicht gut auf die Reihe, fallen – eher selten – ganz aus dem System. ADHS ist nicht heilbar, aber es ist gut behandelbar. Es ist nichts, was ab und zu auftritt, impulsiv oder unkonzentriert sind alle von Zeit zu Zeit. ADHS bestimmt und beeinträchtigt den Alltag. Die Symptomatik kann sich im Lauf eines Lebens abschwächen und es lassen sich Strategien erlernen, damit umzugehen. Menschen mit ADHS sind spontan, kreativ, emotional, gesellig.

Späte Diagnosen

ADHS galt bis zu den 1990er Jahren als Verhaltens- oder Entwicklungsstörung, die ausschließlich Kinder betraf. Heute leiden etwa 5 Prozent aller Kinder in Deutschlandan ADHS. Auf ein Mädchen kommen drei bis vier Jungen. Inzwischen weiß man, dass ADHS bei bis zu 70% der betroffenen Kindern in das Erwachsenalter anhält. Dabei unterliegt die Symptomatik entwicklungspsychologischen Veränderungen und wandelt sich im Erwachsenwerden.

Unterschied zwischen Frauen und Männern

Unabhängig vom Geschlecht äußert sich ADHS bei allen Menschen individuell unterschiedlich. Dennoch werden in Studien typische Unterschiede der ADHS-Ausprägung bei Frauen und Männern beschrieben. Geschlechterdiverse Personen finden in der ADHS-Forschung bislang noch wenig Beachtung, weswegen hier lediglich binär die Unterschiede zwischen Männern und Frauen berichtet werden können:

Frauen werden häufiger als primär unaufmerksam, vergesslich und verträumt beschrieben. Sie haben also öfter das unauffälligere ADS ohne Hyperaktivität. Dafür werden unter anderem gesellschaftliche Erwartungen an Frauen und Mädchen verantwortlich gemacht. Eine nach außen sichtbare, motorische Unruhe ist bei ihnen seltener als bei Männern. Während Männer ihre Probleme häufiger nach außen tragen, also unruhig und impulsiv reagieren, bis hin zu aggressivem oder regelübertretendem Verhalten, neigen Frauen eher dazu alles in sich hineinzufressen: Sie haben häufiger Selbstzweifel, Ängste oder Depressionen. Weil sie so unauffälliger sind und außerdem eher zu einer Untertreibung ihrer Symptome neigen, wird ADHS bei Frauen seltener diagnostiziert.

Symptome

  • Typische Symptome von ADHS bei Erwachsenen sind:
  • Konzentrationsschwäche mit abnorm erhöhter Ablenkbarkeit und kurzer Aufmerksamkeitsspanne, ferner Vergesslichkeit. Impulsivität, innere und zum Teil auch motorische Unruhe
  • Defizite in der Selbstorganisation, keine Struktur, chaotisch
  • Probleme in der Emotionsregulation mit ausgeprägten Stimmungsschwankungen
  • ADHS-Symptome bestehen laut Definition seit dem Kindesalter, manchmal werden sie aber erst bei Erwachsenen als solche erkannt.
  • Frauen sind häufiger weniger hyperaktiv und impulsiv und bleiben daher häufiger ohne Diagnose. ADHS kann auch im Erwachsenenalter gut behandelt werden. Die am besten wissenschaftlich untersuchte und effektivste Behandlung ist eine medikamentöse Therapie. Eine kognitive Verhaltenstherapie hilft, mit den Symptomen besser umzugehen und Begleiterkrankungen in den Griff zu bekommen. Aber auch Maßnahmen wie Meditation und Sport führen wissenschaftlich erwiesenermaßen zu einer Symptomreduktion. (Anmerkung: Der Nutzen von Neurofeedback ist bei Erwachsenen nicht ausreichend belegt, Neurofeedback ist keine in den Therapieleitlinien von ADHS empfohlene Maßnahme)  

Diagnostik

Es handelt sich um eine sog. klinische Diagnose. Entscheidend sind die typischen Symptomschilderungen des Patienten. Die Diagnostik umfasst daher immer ein ausführliches Erstgespräch und eine biographische Anamnese, ergänzend kommen oftmals testpsychologische Instrumente wie standardisierte Fragebögen oder Aufmerksamkeitstests zur Anwendung. Gespräche mit Bezugspersonen sind ebenso wie eventuell vorhandene Schulzeugnisse ergänzend hilfreich. (Anmerkung: Lehrergespräche nur bei Kindern, cave Schweigepflicht! )

Folgeschäden

Bis zu 80 Prozent der erwachsenen ADHS-Patienten haben oder hatten eine oder mehrere zusätzliche psychiatrische Erkrankungen. Die häufigsten begleitenden Störungen sind depressive Erkrankungen, Angststörungen wie Suchterkrankungen. Das Risiko, depressiv zu werden, ist bei Menschen mit ADHS um das Fünffache erhöht. Liegt einer Depression oder Angststörung eine unerkannte ADHS zugrunde, hätte dies Auswirkungen auf Therapie und Medikation.

Therapie

Die Therapie der ADHS ist sehr umfangreich und umfasst verschiedene Bausteine, die je nach individueller Symptomatik und auch Bedürfnissen und Wünschen des Patienten zusammengestellt werden.
Dazu gehören: Die ausführliche Aufklärung über das Krankheitsbild und die Beratung des Patienten. Die Teilnahme an Selbsthilfegruppen und die Einbeziehung von Bezugspersonen sind oftmals hilfreich, um eine psychische Entlastung der Betroffenen und ihrer Familie zu erreichen.

Wenn die Symptome stark ausgeprägt sind und in mehreren Lebensbereichen Beeinträchtigungen bestehen, sollte eine medikamentöse Behandlung unbedingt in Erwägung gezogen werden. Coaching oder eine störungsspezifische Verhaltenstherapie können helfen, mit den krankheitsbedingten Einschränkungen und Konflikten besser umgehen zu können oder einzelne Symptome abzumildern.

Eine Psychotherapie im engeren Sinne ist vor allem dann angezeigt, wenn zusätzliche Probleme, etwa eine Depression, Ängste oder eine gravierende Störung des Selbstwertgefühls vorliegen.

Weitere Informationen

• ARD Mediathek, Frau TV: Wie gehts es uns Frauen?
https://www.ardmediathek.de/video/frau-tv/mental-gesund-wie-geht-es-uns-frauen/wdr/Y3JpZDovL3dkci5kZS9CZWl0cmFnLTBkOWVmY2UzLTdhNjUtNDBhMi1iY2Q1LWI0NzFjNjNmM2VhMw

• RBB, Praxis: ADHS bei Erwachsenen
https://www.rbb-online.de/rbbpraxis/rbb_praxis_service/gehirn-nerven-psyche/neurologie/adhs-bei-erwachsenen-symptome-und-behandlung.html

• SWR, Wissen: Oft unerkannt – ADHS bei Erwachsenen
https://www.swr.de/swr2/wissen/adhs-bei-erwachsenen-oft-unerkannt-aber-gut-behandelbar-swr2-wissen-2023-01-19-106.html

• ARD Mediathek, Die Ratgeber: ADHS bei Erwachsenen
https://www.ardmediathek.de/video/die-ratgeber/adhs-bei-erwachsenen/hr-fernsehen/Y3JpZDovL2hyLW9ubGluZS8xOTY1MjI

• NDR, Ratgeber Gesundheit, ADHS – häufig nicht erkannt
https://www.ndr.de/ratgeber/gesundheit/ADHS-Noch-immer-haeufig-nicht-erkannt,adhs152.html

• WDR Mediathek, ADHS – Kirmes im Kopf
https://www1.wdr.de/mediathek/audio/wdr/besser-so/audio-kirmes-im-kopf-wie-fuehlt-sich-adhs-fuer-erwachsene-an-100.html

• ARD Mediathek, Live nach Neun: ADHS – Chaos im Kopf
https://www.ardmediathek.de/video/live-nach-neun/chaos-im-kopf-adhs-bei-erwachsenen/das-erste/Y3JpZDovL2Rhc2Vyc3RlLmRlL2xpdmUgbmFjaCBuZXVuL2Y5ZWFmODRiLWQ4NjUtNDM5Zi05MWNiLWQ3NTA4ZmQ2Y2VmOQ

Anlaufstellen
https://www.zentrales-adhs-netz.de/spezialambulanzen/
https://www.adhs.info/
https://www.adhs-deutschland.de/Home.aspx
https://www.adhs-ratgeber.com/adhs-selbstmanagement.html
https://www.adhs-ratgeber.com/adhs-selbsttest.html#test-index=0

Stand: 11.05.2023 07:23 Uhr