"Chaos und Ordnung sind zwei Pole des Films"

Interview mit Regisseurin Katrin Gebbe

Im Grunde genommen ist Herr Kurani (André Benndorff) ein harmloser Spinner, der durch den Verlust seiner Wohnung aus der Bahn geworfen wurde. Doch als er sie angreift, muss Ellen Berlinger (Heike Makatsch) ihn überwältigen.
Im Grunde genommen ist Herr Kurani ein harmloser Spinner, der durch den Verlust seiner Wohnung aus der Bahn geworfen wurde. Doch als er sie angreift, muss Ellen Berlinger ihn überwältigen. | Bild: SWR / Ziegler Film

Sie hatten im "Tatort: Fünf Minuten Himmel" die Gelegenheit, gemeinsam mit Heike Makatsch eine neue Kommissarin Realität werden zu lassen.

Es war großartig mit Heike arbeiten zu dürfen. Sie ist eine ungeheuer charismatische Persönlichkeit, geht locker auf die Menschen zu und bringt viel Enthusiasmus mit. Die von ihr verkörperte Ellen Berlinger hingegen ist eine Frau, die einen schwierigen Zugang zu ihrer Gefühlswelt hat. Sie hat es nicht einfach mit zwischenmenschlichen Beziehungen und ist erst jetzt, wo sie erneut schwanger ist, bereit, sich mit ihrer Vergangenheit auseinanderzusetzen. Ich fand es ungeheuer spannend die Besetzung rund um diese Figur mitzugestalten; von Ellens Kollegen bis hin zu ihrer Mutter Edelgard, für die wir die wunderbare Angela Winkler gewinnen konnten.

Beim "Tatort" gibt es eine große Bandbreite des Erzählens, von straightem Ermitteln über witzig oder abgedreht bis zum Actionfilm. In welche Richtung wollten Sie mit "Fünf Minuten Himmel"?

Thomas Wendrich hat einen Film mit eher episodischem Charakter geschrieben, auf einen elliptischen Erzählstil gesetzt. Der Film spielt zwischen modernem Arbeitsamt und heruntergekommenem Mehrfamilienhaus, zwischen einem Traumhaus in Vauban und einer ausgedienten Fabriketage. Chaos und Ordnung sind zwei Pole des Films: der Lack blättert ab, Dinge sind im Bau, Neues kommt, Altes muss weichen. Stilistisch wollten wir kein betroffenes Sozialdrama erzählen, sondern fanden die starken Bilder, die Vielschichtigkeit und die Verstrickungen der Geschichte interessant, der Krimi wurde zum mystisch-poetischen Drama transformiert.

Sehr handfest in die Probleme einer Stadt führen die Untersuchungen im Mordfall. Sozialamt und Gentrifizierung statt Münster und Universität – war es für Sie eine reizvolle Aufgabe, in dieses Milieu einzutauchen?

Freiburg hat sich vor allem als Studenten- und Ökohochburg einen Namen gemacht. Es besticht durch eine wunderschöne Altstadt und ein gemütliches Flair. Doch nicht alle profitieren von diesem Saubermannimage und in manchen Ortsteilen kann es einem des Nachts schon mulmig werden. Es herrscht Wohnungsmangel und wer nicht über das nötige Kapital verfügt, hat schlechte Karten. Das ist ja in vielen Städten ein Problem. Wir lernen Menschen kennen, die aus ihren Wohnhäusern vertrieben werden, damit schöne, hochwertige Gebäude entstehen können. Menschen, die den Boden unter den Füßen unlängst durch persönliche Schicksalsschläge verloren haben, die keine Kraft haben sich gegen Kapital, Innovation, Spekulation, Wachstum und Politik durchzusetzen.

Ellen Berlinger hat eine Tochter im Teenageralter, die sie allerdings praktisch nicht kennt. Auch bei den Ermittlungen spielen Jugendliche und deren ganz spezielle Welt eine Rolle.

Wir folgen den Mädchen einer Jugendclique. Sie suchen in risikoreichen Spielen nach Rausch und Kontrollverlust, gleichzeitig sehnen sie sich nach Freundschaft, Halt, Liebe. Mir war wichtig, echte Jugendliche für den Film zu finden. Unsere Melinda, gespielt von Rosmarie Röse, ist die Jüngste; Jochanah Mahnke (Ruth) gibt ebenfalls ihre TV-Premiere. Das Ensemble haben wir dann mit erfahreneren jungen Darstellern wie Anna-Lena Klenke, Emilia Bernsdorf und Oskar Bökelmann komplettiert.

Inwiefern haben die Figur Berlinger oder der Schauplatz der Geschichte den Look Ihres Films beeinflusst?

Weil es sich um einen Event-"Tatort" handelt und Heike für mich vor allem den Kinofilm verkörpert, haben wir beschlossen, eine starke Bildsprache zu nutzen und das Breitbildformat gewählt. Da Freiburg eine der wärmsten Städte Deutschlands ist, wollten wir unbedingt mit dieser Hitze arbeiten. Aber leider wurde es ausgerechnet zu Drehbeginn Anfang September kalt und regnerisch. Der Film ist von der Tonalität daher herbstlicher geworden, ich finde diesen maroden Charakter allerdings sehr spannend in Bezug auf die Geschichte. Besonders Spaß gemacht hat mir die Arbeit mit dem Musiker Johannes Lehniger. Mit ihm habe ich bereits bei meinem ersten Film "Tore tanzt" zusammengearbeitet. Schnell haben wir uns auf eine soghafte elektronische Musik geeinigt, die dem Film nochmal eine ganz spezielle Note verleiht und die starken Kontraste bedient. Es entsteht eine kraftvolle Spannung im Wechselspiel zwischen modernen Elektroflächen und treibenden Beats kombiniert mit melodischen, melancholischen Songs. Die Musik ist irgendwie fremd, so wie Ellen, so wie für sie dieser Ort, und trotzdem will man mehr davon, ich jedenfalls.

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