"Die Hintergrundstory von Ellen Berlinger birgt noch viele Geheimnisse"

Interview mit Heike Makatsch

Ellen Berlinger (Heike Makatsch) wurde bei einem Einsatz zu Boden geworfen und sollte sich besser schonen. Deshalb machen sich ihr Chef Volker Gaus (Holger Kunkel) und der Kollege Hendrik Koch (Max Thommes) Gedanken, als sie keinesfalls ins Krankenhaus will.
Ellen Berlilnger muss den Tod eines Mitarbeiter des Jobcenters aufklären. | Bild: SWR / Ziegler Film

Für viele Schauspieler geht ein Kindheitstraum in Erfüllung, wenn sie im Tatort mitspielen dürfen; eine ganze Generation scheint mit diesem Wunsch herangewachsen zu sein. Wie erklären Sie sich das? Ging es Ihnen auch so?

Ich denke, dass der Tatort, ähnlich wie Formate wie "Wetten dass …?" oder früher "Dallas", "Einer wird gewinnen" oder "Dalli Dalli" die gesamte Familie vor dem Fernseher versammelt hat. Fernsehen hat hier zusammenführend gewirkt – was für den Tatort immer noch gilt. Um die Tradition von damals aufrecht zu erhalten gibt es – jedenfalls hier in Berlin – viele Kneipen, in denen der Tatort als Public Viewing angeboten wird. Irgendwie will man anscheinend den Mörder gemeinsam überführen. Als Schauspieler ist es natürlich eine Ehre, diese nationale Suche nach dem Bösewicht anzuführen. Aber ich erinnere mich persönlich nicht an das Ziel, Tatort-Kommissarin werden zu wollen. Ich finde eh, dass die Entwicklung des Tatorts in den letzten Jahren ihn für mich überhaupt interessant gemacht hat. Dass aus den üblichen Schemata ausgebrochen werden darf, dass sich junge und spannende Regisseure an den Tatort wagen dürfen und man nicht immer genau weiß, was man als Zuschauer serviert bekommt, das hat es für mich reizvoll gemacht, die Rolle der Ellen Berlinger anzunehmen. Ansonsten hätte ich mich wohl eher für die Rolle der Mörderin beworben.

Wie haben Sie sich Ihre Kommissarin anfänglich vorgestellt? Genauso lässig und unprätentiös, wie sie ist? Oder womöglich glamouröser?

Die Entwicklung der Figur der Ellen Berlinger war von Anfang an ein gemeinsamer Prozess mit dem Autor, der Produktion, der Regisseurin und mir. Insofern konnte es gar keine "Vorstellung" der Rolle geben, die weit von dem entfernt war, was jetzt dabei heraus gekommen ist. Glamourös habe ich sie mir sicherlich nie gedacht, eine verschlossene Einzelgängerin war von jeher das, was mir als richtig für diese Figur erschien. Die Hintergrundstory von Ellen Berlinger birgt noch viele Geheimnisse, die ich mir zurechtgelegt habe, um ihren Charakter für mich spielbarer, nachvollziehbarer und transparenter zu machen. Viele dieser Geheimnisse würden sich Schicht um Schicht aufdecken, wenn wir Ellen Berlinger noch länger bei ihrer Arbeit und ihrem Leben zuschauen.

Kommissarin Berlinger kommt nach 15 Jahren Abwesenheit aus London zurück in die Provinz, in ihre Heimstadt Freiburg. Was sind ihre Beweggründe dafür und können Sie ihre Schritte nachvollziehen?

Durch die Beschäftigung mit der Rolle, werden natürlich alle Entscheidungen, die Ellen Berlinger trifft, für mich als Schauspieler plausibel. Ellen Berlinger hat vor vielen Jahren ihre damals sehr kleine Tochter bei ihrer Mutter zurück gelassen. Sie hatte ihre Gründe dafür, verspürt aber nun den Wunsch, Nähe zu dieser unbekannten Tochter herzustellen und die komplizierte Beziehung zu ihrer Mutter zu bearbeiten. Die verlorene Zeit mit ihrer 16-jährigen Tochter geht Ellen sehr nah, insbesondere, da sie ein weiteres Kind erwartet und sich ihr Fragen nach Familie, Geborgenheit, Heimat und Zugehörigkeit stellen.

Dialekt liegt beim Tatort im Trend. Auch in "Fünf Minuten Himmel" hört der Zuschauer deutlich, dass wir uns im Breisgau befinden. Ellen Berlinger dagegen spricht reinstes Hochdeutsch. An was liegt das? Haben Sie mit dem Gedanken gespielt, sich Badisch anzueignen?

Ellen Berlinger hat vor vielen Jahren ihre Heimat verlassen und mit dieser auch zu einem gewissen Grad abgeschlossen. Sie hat sich von ihrer kleinen Tochter getrennt und unter die familiären Beziehungen einen Schlussstrich gezogen. Sicher ist dies und die Tatsache, dass sie sich in europäischen Metropolen aufgehalten hat, der Grund, dass sie nicht mehr in der heimeligen Provinz-Sprache spricht. Wenn sie es überhaupt je getan hat, was ich bezweifele. Ich persönlich finde Dialekt im Film eine Gratwanderung, bei der man abwägen muss, ob man die Figur als regional stark geprägt und eingebettet erzählen möchte – oder eben, wie bei Ellen Berlinger, eine unabhängige Figur zeichnet, die nicht auf den ersten Blick einzuordnen ist. Ellen Berlinger ist eine fremdelnde Heimkehrerin, durch den badischen Dialekt hätte sie jedoch mit einem Schlag dazu gehört.

In "Fünf Minuten Himmel" erleben wir Freiburg anders, als man sich es immer vorstellt: wenig sauber, ökologisch korrekt oder idyllisch. Wollte man mit dem Film zeigen, dass die Fassaden öfter bröckeln, als man meint? Und sind für die Zuschauer die Schattenseiten einer Vorzeigeidylle interessanter als die heile Welt?

Ich finde, der Blick hinter die Fassaden ist immer der interessantere. In Abgründe zu gucken, das macht für mich einen Krimi spannend – so sieht es natürlich auch mit den Schauplätzen, der Psyche der Protagonisten – egal ob Polizist oder Mörder – und den Fällen aus. Die Dinge, die uns der zweite, genauere Blick eröffnen, sind häufig ambivalenter, komplizierter und somit auch nicht so "heil", wie es die Oberfläche verspricht. Freiburg als niedliches Studentenstädtchen mit hübschen Häusern und wohlsituierten Gutmenschen zu zeigen, hätte uns nirgends hin geführt. Ungemütlich wird es, wenn man ein wenig an dieser Oberfläche kratzt und plötzlich den Preis erkennt, den die Gentrifizierung einer Stadt von der Gesellschaft verlangt.

Wie haben Sie die Zusammenarbeit mit Katrin Gebbe empfunden? Sie ist eine junge, aufstrebende Regisseurin, für die "Fünf Minuten Himmel" ihre erste TV-Premiere ist...

Katrin Gebbe als Regisseurin war für mich unter anderem ein Anreiz, bei "Fünf Minuten Himmel" mit zu wirken. Ich war stark von "Tore tanzt" beeindruckt und habe gehofft, dass Katrin diesen eigenwilligen kompromisslosen Stil auch hier bei ihrer ersten TV-Regie durchsetzt. Und so habe ich Katrin auch beim Dreh kennen gelernt – mit genauen Vorstellungen, visuell sowie inhaltlich sowie schauspielerisch. Sie hat nie locker gelassen, wenn ihr etwas wichtig war, gleichzeitig war sie jedoch offen für Anregungen. Ich mochte besonders an Katrins Herangehensweise, dass sie immer da zufrieden war, wo Ungewöhnliches entstand, Irritationen, nicht Bequemes. Vielleicht hat sie auch deshalb so ein Händchen dafür, mit jungen und unerfahreneren Schauspielern zu arbeiten, bei denen keine Routine zu erwarten ist.

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