Gespräch mit Axel Milberg

Borowski
Axel Milberg als Klaus Borowski, ermittelt dieses Mal in der Drogenszene. | Bild: NDR / Christine Schröder

»Nur wenn man die Faszination erlebt, weiß man auch, wo die Gefahren liegen.«

Herr Milberg, gerade am Tag vor unserem Gespräch hat die Polizei in Leipzig 2,9 Tonnen der Chemikalie Chlorephedrin sichergestellt. Das ist der Grundstoff für Crystal Meth. In Tschechien sollten daraus 2,3 Tonnen Crystal hergestellt werden, die in Deutschland für rund 184 Millionen Euro verkauft worden wären. Damit sollte wohl allen klar geworden sein, dass Crystal eine ernstzunehmende Droge ist?

Und eine tückische … Daher war es bei der Besetzung wichtig, dass die junge Frau nicht von Anfang an ein Opfer ist. Sondern, dass sie ein normales, eigentlich unauffälliges Mädchen ist, das neugierig in die Welt guckt und vital ist. Sie kommt durch ihren Freund langsam in diese Welt, in der ihr üble Dinge passieren, wie die nicht geahndete Vergewaltigung. Uns war wichtig, eine Entwicklung zu zeigen, bei der der Zuschauer spürt: Sie ist meine Tochter, meine Freundin, meine Kommilitonin. Übrigens: Crystal gibt es in kristalliner Form erst seit einigen Jahren. In flüssiger Form wird es hingegen seit mehr als 100 Jahre als Heil- oder leistungssteigerndes Mittel eingesetzt.

Erst einmal zu zeigen, wie toll es sein kann, wenn man "drauf" ist, dürfte für einige "Tatort"-Zuschauer ein leichter Schock sein?!

Nur wenn man die Faszination erlebt, weiß man auch, wo die Gefahren liegen, warum man überhaupt zu Crystal greift. Später schildern wir auch die fürchterlichen Konsequenzen. Da ist etwa der abgeschnittene Kopf, aber auch die nicht bestrafte Vergewaltigung. Lakonisch erzählt und ein großer Schmerz. Ganz entscheidend ist aber, dass der Konsum von Crystal zuerst einmal als Genuss dargestellt wird. Das ist im Fernsehen fast schon eine kleine Sensation. Wir sind ja immer pädagogischer Betreuung ausgesetzt. Mit Crystal hat man am Anfang Energie und kann zwei Tage und Nächte durchtanzen, man bewältigt seine Mathe-Hausarbeiten, man ist kontaktfreudig, redet mit den Leuten, ist euphorisch. Rita umarmt Borowski, weil sie sich freut, ihn zu sehen. Die Dinge, die uns sonst schwer fallen, macht diese Droge leicht. Leider.

Was wussten Sie vor dem "Tatort" über Crystal?

Das ganze Team hatte vor dem Dreh in Hamburg sowas wie eine kleine Schulung. Dort wurde uns alles über Crystal erzählt. Wie seine kristalline Struktur beschaffen ist, was es kostet. Wir haben auch Fotos von Konsumenten vor und nach dem Missbrauch gesehen, die vor allem aus den USA kommen. Die entstellten Gesichter, die wackeligen Zähne. Bis hin zu Geschichten, in denen Ermittler zu einem Ort gerufen wurden, wo sich Leute unter Crystal-Einfluss die eigenen Gedärme rausgerissen hatten und die anrückende Polizei damit bewarfen. Was davon wahr ist, konnten wir nicht überprüfen. Ende vergangenen Sommers gab es einen Bericht, in dem stand, dass alles übertrieben ist, was über Crystal im Umlauf ist. Was die harten Fakten betrifft, ist vielleicht noch nicht genügend Zeit vergangen, um das medizinisch und soziologisch auszuwerten.

Die Farbgebung dieses Borowski-"Tatorts" ist winterlich klar, stahlblau. Man fühlt richtig die Kälte darin. Der vorletzte Kieler Krimi war in sommerlichen 50er- Jahre-Farben gehalten. Eigentlich versucht man ja, einen Look beizubehalten. Aber Kiel und Umgebung werden immer sehr unterschiedlich, teilweise sogar gegensätzlich dargestellt. Das ist doch pure Fremdenverkehrswerbung für Ihre Heimatstadt – oder?

Absolut! Ein Zuschauer, der in Kiel auf der Straße auf mich zuschoss, sagte zu mir: "Herr Milberg! Wissen Sie, was das Gute am Kiel-'Tatort' ist? – Er ist eine Wundertüte. Du weißt nie, was du bekommst." So ist es auch. Mit Andreas Kleinert hatten wir damals einen sommerlichen Bildkontrast geschaffen zu den dramatischen Verbrechen, die in der Folge geschehen. Im aktuellen Fall haben wir das kalte, eisige, stahlgraue, auf Kontraste setzenden Bildkonzept gewählt. Ich habe den Film auf dem Filmfest in Hamburg auf der großen Leinwand gesehen und es kam auch gleich eine Frage aus dem Publikum dazu, so beeindruckend war die Visualität. Der Regisseur Christian Schwochow und sein Kameramann sind ungewöhnlich ehrgeizig, einfach großartig.

Sarah Brandt ist in diesem "Tatort" unglaublich selbstbewusst. Teilweise auf Borowskis Kosten. Es kommt zu Spannungen, als Borowski mit Rita zu dem Haus kommt, in dem sie mit dem Opfer gelebt hatte, und als Brandt bei einer verdeckten Observierung Borowskis Anweisung missachtet. Eigentlich geht Borowski ganz gelassen damit um. Woran liegt das?

Ein Kommissar hat keinen Assistenten. Das wird zwar gelegentlich geschrieben. Aber das gibt es bei der Polizei nicht. Die Kommissare ermitteln gleichberechtigt. Bei Borowski und Brandt ist es lediglich so, dass Borowski länger dabei ist und über mehr Erfahrung verfügt. Davon mal abgesehen wäre er in seinem Alter sowie längst im gehobenen Dienst irgendwo in der Verwaltung. Auch unser Berater Winfried Tabarelli hatte sich bestimmt vor 40 Jahren zum letzten Mal eine Waffe umgeschnallt. Brandt und Borowski können sich streiten, sie können sich auseinandersetzen. Mal hat sie Recht, mal er.

Also kein: Frau Brandt, holen Sie schon mal den Wagen?

Furchtbar! Auf gar keinen Fall! Ich möchte so einen Chef auch nicht spielen.

Immer wieder schön sind die stimmungsvollen Szenen zwischen Borowski und Schladitz, die ihre Freundschaft zelebrieren. Was verbindet die beiden, außer, dass Schladitz gerne für ihn kocht und Borowski sich gerne bekochen lässt, in diesem Fall sogar im Polizeipräsidium?

Sie sind beide gleich alt, beide von einer gescheiterten Ehe zerzaust. Wobei Schladitzs Frau erst vor kurzem gegangen ist, während Borowski schon länger allein ist. Schladitz ist mehr ein Hedonist als Borowski. Er genießt gutes Essen und er kann gut kochen. Bei Borowski stelle ich mir eher vor, dass er sich eine Dose aufmacht oder sich was vom Chinesen holt. Dieses "Savoir vivre" Schladitzs ist eine gute Ergänzung zum Pragmatismus des Borowski. Und so kommt es zu der Szene im Präsidium, in der Schladitz Huhn macht und stolz davon erzählt: ein wenig Butter unter die Brust … Das ist sehr realistisch. Wenn man an einem Fall dran ist, ist man damit als Ermittler 24 Stunden beschäftigt. Das lässt einen nicht wirklich los. Man kann um 19 Uhr gehen, aber man kann da um 22 Uhr noch sitzen und nachdenken. Wichtig in ihrer Beziehung ist vor allem, dass Schladitz Borowski vertraut. Er schützt kleine Übertretungen Borowskis gegenüber der Behörde. Nicht immer aus Großzügigkeit, er ist auch – pardon – etwas faul.

Nicht nur der Zuschauer soll bei Rita daran denken, dass es eine Tochter sein könnte. Auch Borowski denkt genau dies. Taucht seine Tochter demnächst auf oder bleibt sein Versuch, sie zu kontaktieren, erfolglos?

Ich denke, jeder wird irgendwann zurückkehren – nur wann, kann ich nicht sagen.

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