Gespräch mit Maria Furtwängler

Maria Furtwängler ist Charlotte Lindholm
Maria Furtwängler ist Charlotte Lindholm | Bild: NDR / Frizzi Kurkhaus

»Dieser Film gehört den Frauen«

Rechtsextremismus hat man lange vor allem für eine Domäne der Männer gehalten. Ist es längt überfällig, die Rolle von rechtsextremen Frauen zu beleuchten?

Ja, absolut. In der rechtsextremen Szene werden gezielt Frauen eingesetzt, um dem brutalen Springerstiefel- Image ein anderes Narrativ entgegenzusetzen. Auf den ersten Blick wirken sie ganz harmlos und unschuldig. Deshalb wird ihre menschenverachtende Ideologie oft zu wenig ernst genommen. Auch bei den NSU-Verbrechen hat man lange nicht für möglich gehalten, dass mit Beate Zschäpe eine Frau die treibende Kraft war. Rechtsextreme Frauen werden in ihrer potentiellen Gefährlichkeit unterschätzt. Sie sind nicht harmloser als Männer.

Warum wirken diese rechten Frauen mit ihrem nationalen Feminismus anziehend?

Sie sagen, sie kämpfen gegen Gewalt gegen Frauen, aber ihre Lösungsvorschläge sind verknüpft mit Rassismus und Fremdenfeindlichkeit, und deshalb ist es so eine verdrehte Message. Nicht umsonst konfrontiert Charlotte Lindholm die Rechten mit den Fakten. In Deutschland wurden im letzten Jahr 122 Frauen von ihrem Partner oder Ex-Partner umgebracht, also an jedem dritten Tag eine Frau. Das ist eine erschreckende Zahl, und die Täter stammen aus allen sozialen Schichten, Kulturen, Nationalitäten. Es geht hier um die Gewalt von Männern gegen Frauen. Für eine Frau sind immer noch die heimischen vier Wände der gefährlichste Ort und nicht die Straße, wo der "böse" Asylant eine Frau sexuell belästigt, wie es die rechte Legendenbildung will.

Als Charlotte Lindholm die Professorin Sophie Behrens verhört, treffen zwei emanzipierte Frauen aufeinander, die offenbar unterschiedliche Sichtweisen auf die Errungenschaften des Feminismus haben. Was passiert da zwischen den beiden?

Das ist eine wunderbare Szene, ein Florettfechten zwischen zwei Frauen auf Augenhöhe. Sie sind beide streitbar und klar in ihrer Meinung, obwohl die Themen schmerzhaft sind. Denn Sophie Behrens zweifelt eben an, ob es so toll ist, Karriere und Kind zu verbinden. Bei einer Frau wie Charlotte trifft das ihren wunden Punkt. Im Zentrum ihres Lebens steht der Beruf, und sie ist angreifbar, wenn Sophie Behrens sie fragt, wie ist das für ein Kind ohne Vater, und wäre es nicht besser für dein Kind, wenn du Zuhause wärst? Auch wenn sie die für sie richtige Entscheidung getroffen hat, trägt sie, wie viele Frauen, eine tiefe Verunsicherung in sich. Es ist heute nach wie vor schwerer für Frauen als für Männer, Familien- und Berufsleben zu verbinden. Und dies als Argument zu nutzen, für traditionelle Rollenverhalten zu argumentieren, das ist der Trick der Rechten. Es ist gut, dass wir Frauen heute das Recht haben, alles zu tun, aber keine Frau sollte sich verpflichtet fühlen, das alles auch zu tun. Das Problem ist doch, dass die Männer sich nach wie vor nicht gleichermaßen einbringen in den Haushalt und die Kinderbetreuung. Mir gefällt, dass der Film hier Charlottes Zerrissenheit thematisiert. Was bleibt, sind widersprüchliche Gefühle.

Alle Frauen in diesem "Tatort" scheinen viele Widersprüche in sich zu tragen …

Für mich ist dieser Film ein schönes Beispiel für einen sehr diversen Frauenfilm. Dieser Film gehört den Frauen. Wir haben die jungen Frauen und ältere Frauen, die gleichberechtigt nebeneinanderstehen. Ich finde es schön, dass sich alle Frauen einer eindeutigen Zuschreibung entziehen. Sophie Behrens wirkt wie eine harte Karrieristin, die aber auch gebrochen und menschlich ist. Marie Jäger kommt daher wie ein ganz unschuldiges Mädchen, das sich total lieb einsetzt und dann dieses rassistische Gedankengut verbreitet. Aber alle Figuren drehen sich im Laufe des Films. Sie sind nicht eindeutig stark und gut oder eindeutig schlecht, sondern spannende, ambivalente Frauenfiguren jenseits von holzschnittartiger Charakterisierung.

Wie nähert sich Charlotte Lindholm den Frauen aus der rechten Bewegung?

Das fand ich reizvoll, wie sich Charlotte den Figuren nähert. Sie verhört zum Beispiel Pauline, deren Ideologie und Fanatismus sie verachtet, aber sie erkennt die Not der schwangeren Frau, deren Freund möglicherweise in den Mord verstrickt ist. Auch hier gefällt mir dieser Zwiespalt, dass man die Ideologie ablehnt und trotzdem Empathie für einen Menschen empfinden kann.

Warum kommt es bei Anaïs Schmitz nicht gut an, als Lindholm ihre Kollegin gegen die Angriffe von den Rechten in Schutz nimmt?

Charlotte bezieht sehr viel klarer Stellung gegen Rassismus, während Anaïs sich entzieht. Sie will diese Auseinandersetzung nicht führen. Es gibt einen Clash, weil Anaïs sagt, ich will nicht, dass du das stellvertretend für mich machst. Das ist auch ein reizvoller Konflikt zwischen den beiden. Anaïs will nichts Außergewöhnliches sein, und doch ist sie es, weil sich der Rassismus gegen sie als schwarze Kommissarin richtet und nicht gegen Charlotte.

Gehen sie nach diesem kurzen Clash wieder aufeinander zu?

Ich mag vor allem diese Szene im Badezimmer, in der sich beide aneinander lehnen. Das ist erst beim Drehen so entstanden. Charlotte folgt ihrem Impuls, der Kollegin wirklich nahezukommen. Die Polizeiarbeit ist manchmal so bitter und durch die Ermittlungen kommen auch andere Leute zu Schaden. Charlotte weiß, was Anaïs durchgemacht hat. Sie fühlt sich schuldig, weil ein junger Mann zu Tode gekommen ist, und sie steht im Fokus der Verachtung und des Hasses der Neuen Rechten. Da gibt es eine Form von Solidarität und Zuneigung, die aber nichts Schmusiges oder Süßliches hat. Das würde nicht zu den beiden passen.

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