Gespräch mit Mia Spengler

Gefährlicher Auftrag für Matei (Bogdan Iancu (links)). Michael Lübke (Michael Thomas) sitzt mit im Auto.
Gefährlicher Auftrag für Matei. Michael Lübke sitzt mit im Auto. Dabei entpuppt sich Falkes alter Freund und Mentor Lübke, ein Kiez-Urgestein, mehr und mehr als trickreicher Gegenspieler... | Bild: NDR / Christine Schroeder

Mia Spengler

Regie

Mia Spengler, 1986 in München geboren, begann 2009 ihr Studium der szenischen Regie an der Filmakademie Baden-Württemberg, wo sie mehrere preisgekrönte Kurzfilme umsetzte. Sie gewann mit „Nicht den Boden berühren“ u. a. auf dem Filmfestival San Sebastian den Torino Prize in der Kategorie Beste Regie. 2014 besuchte Spengler den Hollywood Extension Workshop an der UCLA in Los Angeles. 2016 schloss sie ihr Studium mit ihrem ersten Langfilm „Back for Good“ ab, der die Perspektive Deutsches Kino auf der Berlinale 2017 eröffnete und diverse Auszeichnungen sowie Nominierungen erhielt (z. B. Förderpreis der DEFA-Stiftung, FIPRESCI-Award [Internationale Filmkritikervereinigung], Nachwuchsdarstellerpreis im Rahmen des Filmkunstfestes Mecklenburg- Vorpommern 2017, Studio Hamburg Nachwuchspreis 2017, BUNTE New Faces Award in der Kategorie Bester Debutfilm). 2019 führte sie gemeinsam mit Arne Feldhusen bei der Serie „How to sell Drugs online (fast)“ Regie. Aktuell entwickelt sie einen Kinofilm nach eigenem Buch.

Gespräch mit Mia Spengler

Welcher visuellen Vision sind Sie auf St. Pauli gefolgt?

Mein Kameramann Moritz Schultheiss und ich sind große Fans des Hongkong-Kinos. Wir haben uns in der Vorbereitung besonders von den Filmen des Regisseurs Wong Kar-Wai inspirieren lassen. In gewisser Weise ist „Die goldene Zeit“ eine Hommage an Wong und seine Filme wie „Fallen Angels“ oder „Chungking Express“. Uns gefallen die engen Räume, in denen alles spielt, die bewegte Kamera und die weitwinkligen Objektive. Man rückt beim Drehen sehr dicht an die Schauspieler heran. Auch die Art der Beleuchtung, das schmutzige Licht, passt genau zum Kiez, so wie wir ihn wahrnehmen. Man ist hier wie in einem Sog unterwegs, aus Lichtern und engen Gassen.

Hat der Kiez auch einen bestimmten Sound?

Wir haben für die Figur des rumänischen Jungen eine eigene Soundebene entwickelt, auf der sich Musik und Umgebungsräusche miteinander vermischen. Matei taumelt über die Große Freiheit, er steht die ganze Zeit unter Drogen und nimmt die Dinge daher übersteigert wahr. Der Sound unterstützt seine Desorientierung und macht sein Verlorensein auch hörbar. Matei ist überwältigt von diesem hedonistischen Ort, der bevölkert ist von verlorenen Seelen, die etwas anderes suchen als das, was man hier finden kann.

Warum sind Sie in den Straßen immer zu Fuß unterwegs gewesen?

Ich bin in den fünf, sechs Jahren, die ich auf St. Pauli gewohnt habe, nur höchst selten mit dem Auto gefahren. Auch Kommissar Falke wohnt in dieser geschlossenen Welt. Man fährt nicht raus und wieder rein, man ist einfach drin. Unsere Guerilla-Drehs am Freitag- oder Samstagabend waren natürlich nicht ganz ungefährlich, weil zu diesen Stoßzeiten alle betrunken sind. Dann eskaliert das Leben auf der Meile. Richtig brenzlig ist es aber nie gewesen. Wir hatten ein sehr gutes Security- Team an unserer Seite. Es bestand aus lauter Türstehern, die ewig auf dem Kiez gearbeitet haben. Ich habe mich sehr gefreut, auf dem Kiez zu drehen. Diese Chance bekommt man nicht so häufig.

Wollten Sie die Prostitution in ihrer ganzen Hässlichkeit zeigen?

Prostitution ist ein hartes Geschäft, das viele Opfer fordert. Wir wollten diese Welt weder glorifizieren noch durch den Schmutz ziehen, als seien Wirtschafter und Prostituierte Menschen zweiter Klasse. Ich finde es bemerkenswert, dass sich die Bordelle inzwischen dem Massentourismus untergeordnet haben. Die Plüschpuffs der 80er-Jahre mit ihren Samtsofas gehören der Vergangenheit an. Heute dominiert so eine gewisse Abwaschbarkeit. In den Laufhäusern haben alle Zimmer glatte Oberflächen, und die Polster sind mit Mikrofaser überzogen. Schnell rein, schnell raus, Hauptsache, viel Umsatz. Es hat etwas sehr Unmenschliches. Aber das Geschäft boomt. Die Geldautomaten auf der Reeperbahn sind die meist genutzten in Deutschland.

Haben Sie in einem Laufhaus gedreht?

Wir durften in einem Laufhaus recherchieren, konnten dort aber leider nicht drehen, obwohl es unter den Wirtschaftern einige „Tatort“-Fans gab. Die Bedingungen waren für uns nicht haltbar. Da wir mit vielen Leuten angerückt wären, hätte der Laden eine Zeitlang schließen müssen. Es kam am Ende günstiger, das Laufhaus nachzubauen.

Stehen Falke und Grosz für die männliche und weibliche Sicht auf das Milieu?

Falke ist emotional stärker beteiligt als seine Partnerin, weil er auf dem Kiez groß geworden ist. Beim Drehen habe ich es mir so vorgestellt, dass der rumänische Junge, Kommissar Falke und der Ex-Lude Lübke eine Dreifaltigkeit bilden. Es handelt sich um die gleiche Person auf einem Zeitstrahl, die an den verschiedenen Kreuzungen des Lebens anders abbiegt. Falkes Leben hätte auch so verlaufen können wie das von Matei. Oder Falke hätte so enden können wie „Eisen-Lübke“, wenn er den Weg im Milieu weitergegangen wäre. Grosz dagegen sieht das Milieu ganz unverklärt. Sie sagt, Kriminalität ist Kriminalität, Prostitution ist Prostitution. Das Geschnörkel drumherum hat uns als Polizisten nicht zu interessieren. Sie kann aber menschlich nachvollziehen, in welcher Lage sich ihr Kollege befindet, was dazu führt, dass sich beide nicht länger streiten. Ich mochte Grosz immer sehr gern, schon seit ihrer Einführung. Es ist uns wichtig gewesen, ihr eine eigene Kraft zu geben und eine eigene Wut zu verleihen, mit der sie an den Fall herangeht.

Haben Sie eine große Offenheit gespürt, sich auf Ihre Konzepte einzulassen?

Uns ist schon bewusst gewesen, dass wir etwas machen wollten, was dem Format bisher nicht entsprochen hat. Doch die Wüste Film Produktion und die Redaktion des NDR haben uns in unserer Probierfreude tatkräftig unterstützt. Alle Ideen wurden positiv aufgenommen. Wir haben am Anfang viel gesprochen, bis alle Beteiligten unsere Vision geteilt haben, dann sind wir einfach nach vorn marschiert. Es gibt Projekte, die stehen unter einem guten Stern. Das ist bei diesem „Tatort“ der Fall gewesen.

Haben Sie für jede Rolle Ihre Idealbesetzung gefunden?

Dieser Cast und sein Zustandekommen waren für mich etwas ganz Besonderes. Michael Thomas konnte sich mit der Figur des „Eisen-Lübke“ voll identifizieren und hat dessen Tragik so tief gefühlt. Er hat während der kompletten Drehzeit in einer Herberge auf dem Kiez gewohnt, einem Ex-Puff mit Dusche auf dem Gang. Abends ist er durch die Bars gezogen – als Lübke. Also wenn jemand Method Acting ernst nimmt, dann Michael Thomas. Eine traumhafte Besetzung sind auch die große Hamburger Schauspielerin Jessica Kosmalla als Barbesitzerin und Bogdan Iancu als junger Killer. Bogdan ist in Rumänien schon ein etablierter Schauspieler. Ich habe zum ersten Mal erlebt, dass ich für eine Rolle nur einen einzigen Schauspieler gesehen habe, und das war er. Es war wunderschön, mit ihnen allen zu arbeiten.

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