Gespräch mit Maria Furtwängler

Lindholm
Maria Furtwängler ist Kommissarin Charlotte Lindholm. | Bild: NDR / Christine Schroeder

Warum haben Sie eine so lange Auszeit vom "Tatort" genommen?

Ich liebe diese Rolle, ich will sie auf keinen Fall aus meinem Leben streichen. Ich empfinde aber auch eine gewisse Verantwortung für Charlotte Lindholm und fühle mich den Zuschauern verpflichtet, die diese Figur so sehr mögen. Wir hatten uns vorgenommen, etwas Humorvolles zu entwickeln, aber die Ergebnisse stellten uns nicht zufrieden. NDR-Fernsehfilmchef Christian Granderath und ich waren uns einig, dass wir die Figur ruhen lassen, bis ein geeigneter Stoff gefunden ist.

Was hat Sie nun zu Ihrem Comeback bewogen?

Es war schon lange mein Wunsch, einmal mit Alexander Adolph zusammenzuarbeiten. Er ist für mich ganz sicher einer der besten deutschen Autoren. Seit er die Krimireihe "Unter Verdacht" mit Senta Berger erfunden hat, schätze ich ihn sehr. Ich war schon ganz unglücklich und fast beleidigt, dass es so lange Zeit nicht klappte und er nichts für mich schrieb – bis mir Christian Granderath sagte: Er sitzt an einem Drehbuch für dich und wird den Stoff auch inszenieren. Das Buch gefiel mir sofort. Und es war toll, mit ihm zu drehen. Alexander Adolph inszeniert sehr genau und klug und fantasievoll, er ist immer auf Reduktion und Verdichtung aus. Das liegt mir sehr.

Ist er nicht auch Ihr Peiniger? War Ihnen von Anfang an klar, was die Kommissarin Charlotte Lindholm in ihrem neuen Fall erleiden muss?

Der Film beginnt harmlos, lieb und zart. Er zeigt eine schöne Welt. Leckere, knackige Würstchen. Ich dachte ja zunächst, man müsste sich mit dem Grauen in den Schlachthöfen ganz unmittelbar beschäftigen. Aber diese Erwartung hat Alexander Adolph nicht bedient. Der Kriminalfall geht Charlotte zwar emotional nicht so unter die Haut wie der Mädchenhandel, vom den wir in "Wegwerfmädchen" und "Das goldene Band" erzählt hatten. Dort ging es ja auch darum, dass in unserer Gesellschaft der weibliche Körper wie ein Stück Fleisch vermarktet wird. In diesem "Tatort" geht es um tierisches Fleisch, und Charlotte wird dabei mit einem mächtigen Fleischfabrikanten und seiner merkwürdigen Familie konfrontiert. In einer alptraumhaften Sequenz wird sie in einem Schlachthof attackiert wie nie zuvor und stirbt deswegen um ein Haar. Da ging es darum, auch diese extreme Schwächung und Desorientierung zuzulassen.

Sie erleben zuvor einen heftigen Flirt?

Ein charmanter Fleischfabrikant lebt allein in einem wunderschönen Haus auf einem riesigen Anwesen – und jemand trachtet ihm nach dem Leben. Das wirkt fast ein wenig tragisch und da möchte man ihm doch helfen als Frau. Es muss aber bei einem kurzen Flirt bleiben, weil Charlotte bald fürchtet, dass dieser mächtige Mann ein Schuft, ein Schwein ist. Heino Ferch und ich haben aus dieser Situation rausgeholt, was geht. Es war unser erster gemeinsamer Dreh, ich hoffe, es wird nicht der letzte sein.

Fühlt sich die Kommissarin angezogen und abgestoßen zugleich?

Ja, sie ist hin und her gerissen. Es war sehr spannend, dieses Nebeneinander gegensätzlicher Gefühle zu spielen. Es gibt Momente, in denen sie sich nichts sehnlicher wünscht, als dass er sie einfach in den Arm nimmt und sagt: Du, pass mal auf, es ist alles ein großer Irrtum. Sie hofft, dass er tatsächlich der gute Mensch ist, den sie in ihm sehen möchte. Der Zuschauer soll spüren, verdammt, die findet den wirklich ziemlich gut.

Ist sie immer noch eine einsame Seele?

Charlotte hat fast überhaupt kein Privatleben mehr. Und das wenige Private, das ihr geblieben ist, empfindet sie als grauenvoll. Das Verhältnis zu ihrer Mutter, die sich um ihren Sohn kümmert, ist total angespannt. Sie ist isoliert in ihrer eigenen Familie. Womöglich kommt sie in diesem "Tatort" noch einsamer rüber als in den vorherigen Filmen. Man möchte sie schützen und unter Menschen bringen: Komm, ich stelle dir ein paar Leute vor. Hab’ Spaß!

Ist es Ihnen schwer gefallen, eine schwache Frau zu spielen?

Überhaupt nicht. Das ist doch der Reiz des Schauspielens, unterschiedliche Gefühle im richtigen Moment aktvieren zu können. Distanziertheit ist immer leichter zu spielen. Das Offene, Verletzliche ist die größere Herausforderung, weil man sich öffnen muss.

Der Film erzählt auch die Geschichte einer Freundschaft.

Die Kommissarin freundet sich mit ihrer Assistentin an, obwohl mir diese Frau Bär am Anfang gehörig auf die Nerven geht. Als ich erfuhr, dass Bibiana Beglau die Rolle spielt, dachte ich: Hui, mal sehen, wer da kommt. Sie steht im Ensemble des Münchner Residenztheaters, und man konnte ja viel über sie lesen. Extremschauspielerin, furios, weit und wild, ein Irrwisch auf der Bühne. Dann hat es sehr viel Spaß gemacht, mit ihr zu drehen. Wir versuchen beide, die Dinge aus dem Innersten heraus zu begreifen und zu entwickeln. Da haben wir uns getroffen und gleich gemocht. Inzwischen sind wir wirklich befreundet. Ich habe sie bei der Premiere ihrer "Virginia Woolf" in München besucht. Da ist sie ihrem Ruf der Extremschauspielerin wieder voll gerecht geworden. Sie hat wirklich alles gegeben.

Hat sich die Kommissarin über die Jahre stark verändert?

Natürlich ist die Figur mit mir gewachsen und reifer geworden. Seit meinem ersten "Tatort" 2001 hat sich auch schauspielerisch für mich sehr viel getan. Entsprechend hat sich die Figur der Kommissarin verändert. Sie hat aus meiner Sicht einige Dimensionen dazu gewonnen.

Sind Sie Vegetarierin?

Nein, aber ich esse sehr selten Fleisch. Der Film hat mich noch wachsamer gemacht, sensibler dafür, wie das Produkt hergestellt wird, das ich konsumiere. Unter welchen Bedingungen hat das Tier gelebt, das ich esse? Wie wurde es geschlachtet? Ich würde mir unbedingt wünschen, dass dieser "Tatort" eine Diskussion über unseren Umgang mit Tieren und unseren Dauerfleischkonsum anregt. Morgens Schinken, mittags ein Hamburger, abends mein Schnitzel: Fast jede Familie isst jeden Tag Fleisch. Ist das richtig? Ist das gesund? Wenn die Zuschauer anschließend auch darüber sprechen und sich fragen, ob das alles so seine Richtigkeit hat, wäre das schön. Der Film verfolgt aber keine didaktischen Absichten, wir wollen unterhalten und erzählen eigentlich eine Familiengeschichte. Der Film kommt ohne diese furchtbaren Bilder aus. Es gab viele Stimmen, die sagten: Ihr müsst doch eine Schlachtung zeigen und die grauenvolle Massentierhaltung! Aber Alexander Adolph zeigt nur die Produkte der Fleischindustrie. Viel von diesem Lecker, Lecker! Ihm ist dadurch etwas Erstaunliches gelungen. Die Zuschauer kennen die Auslagen auf Fleischmärkten und in diesem "Tatort" sehen sie die idyllischen Bilder aus der Werbung und aus den Metzgereien. Aber durch die Art der Erzählung verändert sich plötzlich das Gefühl zu den Produkten … das zumindest hoffe ich. Adolph macht das Leid der Tiere und die Doppelmoral der fleischproduzierenden Wirtschaft auf eine Weise erfahrbar, dass mir graut.

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